Nachwuchssport in Corona-Zeiten: Ein verlorenes Jahr?
25. Dezember 2020"Nach langer Bedenkzeit hat sich unser Sohn entschieden, den Verein zu verlassen." So lautete eine Whatsapp-Nachricht von Eltern eines jungen Fußballtalents an einen Regionalligisten. Der 14-Jährige, der beste Stürmer seiner Mannschaft, entschied sich, den Sport aufzugeben. Sein Entschluss kam für alle überraschend, selbst für seine Eltern.
"Ich hoffe nicht, dass es in diesem Fall eine endgültige Entscheidung ist. Doch es könnte sogar das Ende seiner sportlichen Karriere bedeuten", sagt Professor Hans-Georg Predel von der Deutschen Sporthochschule Köln der DW. Der Ausfall von Training und Spielen aufgrund der COVID-19-Beschränkungen habe sehr wahrscheinlich eine Rolle bei der Entscheidung des Jugendlichen gespielt, glaubt der Wissenschaftler, der sich mit Hochleistungssport im Kindes- und Jugendalter beschäftigt. "Wir beobachten häufig, dass Sport-Biografien gerade von jungen Menschen durch die aktuellen Entwicklungen unterbrochen werden." Allerdings unterschieden sich die Verhaltensmuster bei 10- bis 18-Jährigen durchaus, so Predel: "Es liegt in der Natur junger Menschen, dass sie die Tendenz haben, sehr viele verschiedene Dinge auszuprobieren."
Ein verlorener Jahrgang in Kenia
Die Corona-Pandemie hat die sportlichen Karrieren junger Athleten weltweit auf Eis gelegt. So kam in Kenia der Sport vom ersten Lockdown im März bis Anfang Oktober komplett zum Erliegen. Erst danach konnten die Sportler in einzelnen Sportarten wieder trainieren. Im Fußball wurde der Spielbetrieb der kenianischen Premier League erst im November wieder aufgenommen.
Doch als die Schulen im Oktober wieder öffneten, konnten die jungen Sportler nicht auf die Plätze zurückkehren. "In diesem Alter ist es aber extrem wichtig, aktiv zu bleiben und weiter zu trainieren", sagt die kenianische Sportjournalistin Carol Radull der DW. "Wir haben im Grunde fast ein Jahr verloren und damit gewissermaßen einen ganzen Jahrgang."
Anders als in Deutschland gibt es in Kenia kein weit verzweigtes Netz von Sportvereinen, der Jugendsport findet vor allem in den Schulen statt. Sportakademien sind denjenigen vorbehalten, deren Eltern über die nötigen finanziellen Mittel verfügen. Für die anderen jungen Sporttalente besteht laut Radull die einzige Chance darin, dass professionelle Scouts auf sie aufmerksam werden. Und das geschehe etwa bei Fußball-, Hockey- oder Schwimmveranstaltungen, die von Schulen organisiert würden, wo diese Sportarten auf dem Lehrplan stünden.
Neue Wege in Deutschland
Auch in Deutschland, das gerade in der zweiten Welle der Corona-Pandemie steckt, wurde die Zahl der Wettkämpfe im Jugendsport drastisch reduziert. "Für die Spielerinnen und Spieler ist es dramatisch, weil es ganz neu ist. Vorher war ihr Leben komplett anders", sagt Friederike Kromp, Cheftrainerin der U17-Juniorinnen des DFB.
Um die jungen Spielerinnen während des Lockdowns zu motivieren, haben Kromp und Trainer wie Nate Weiss, Technik- und Individualcoach beim 1. FC Nürnberg, virtuelle Übungseinheiten entwickelt. Sie sollen die Mädchen nicht nur fußballerisch weiterbringen. Auch Themen wie mentale Stabilität, richtige Ernährung oder soziale Medien werden behandelt. Mehrere tausend Spielerinnen und Spieler aus über 300 Leistungszentren in ganz Deutschland haben an dem DFB-Talentförderprogramm "Fußball Stützpunkt" teilgenommen.
"Wir haben angefangen, die Spieler über Zoom oder andere Online-Plattformen zusammenzubringen, um gemeinsam zu trainieren", sagt Kromp der DW. "Jeder in seinem Wohnzimmer, im Garten, auf der Terrasse oder wo auch immer. Das hat im Sommer schon sehr gut funktioniert." Man müsse einfach versuchen, so die Trainerin, "das Beste aus der Situation zu machen und die Jugendlichen zu motivieren. Wir müssen für sie da sein und ihnen eine Perspektive geben."
USA: Kommunikation verpufft
In den USA wurde der Jugendsport wieder aufgenommen, als die Schulen nach der Sommerpause wieder öffneten. Es gab jedoch Kritik an den uneinheitlichen Richtlinien der Behörden für den Jugendsport, mit denen das Infektionsrisiko gesenkt werden sollte. Während in einigen Bundesstaaten Fußballturniere wie jene der Youth Soccer National League, der größten Jugendsport-Organisation des Landes, verschoben wurden, erlauben andere weiterhin alle sportlichen Aktivitäten.
Sporting Omaha FC gilt als Talentschmiede des US-Frauenfußballs. Wenn der Klub aus Nebraska Turniere veranstaltet, stehen die Scouts und Trainer der Frauen-Profiklubs Schlange. Aktuell gilt bei den Vereinen eine Maskenpflicht. "Für junge Spielerinnen ist es wirklich schwer, die Mimik zu deuten, wenn die Trainer Schutzmasken tragen", sagt Coach Alex Mason der DW. "Eine Menge an Kommunikation verpufft einfach. Gerade unsere jungen Spielerinnen kommen dabei zu kurz."
Er sei sich zwar nicht sicher, "ob wir gleich eine ganze Generation von Spielerinnen verlieren werden", so Mason. Vor allem im Freizeit-Sportbereich habe die Pandemie jedoch tiefe Wunden geschlagen: "Dort sind die Anmeldungen um mindestens 30 Prozent zurückgegangen."
"Der Tag wird kommen"
Weltweit sucht der organisierte Sport nach Wegen, um die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf den Amateur-, Jugend- und Kindersport möglichst gering zu halten. Es sei wichtig, den jungen Athletinnen und Athleten klar zu machen, dass ihre Bemühungen in Zeiten des Lockdowns nicht umsonst seien, sagt Friederike Kromp, Nationaltrainerin der U17-Fußballerinnen des DFB: "Bleibt dran! Der Tag, an dem die Pandemie vorbei ist, wird kommen."
Adaption: Stefan Nestler