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Reise

Nahaufnahme Checkpoint Charlie

Silke Bartlick

Am 13. August 1961 begann der Bau der Berliner Mauer. An der Friedrichstraße entstand einer von acht innerstädtischen Grenzübergängen. Heute ist der Checkpoint Charlie ein besonderer Erinnerungsort.

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Deutschland Checkpoint Charlie Berlin | Friedrichstrasse
Bild: imago/robertharding/A. Tambol

Der Junge, er kommt aus Indien, steht rechts neben dem rotbraunen Band aus Pflastersteinen, sein Vater auf der linken Seite. Sie reichen sich die Hand, lachen in die Kamera, die Mutter drückt auf den Auslöser. Ein Erinnerungsfoto an den Berlin-Besuch und an eine Straßenkreuzung, an der sich deutsche Nachkriegsgeschichte auf bemerkenswerte Weise verdichtet: Hier, wo Friedrich-  und Zimmerstraße einander queren, befand sich bis 1990 der berühmteste Grenzübergang innerhalb der geteilten Stadt, der sogenannte Checkpoint Charlie.

Vieles, was hier einst stand, ist verschwunden. Auch die Mauer, die die DDR und Ostberlin vom 13. August 1961 bis zum 9. November 1989 hermetisch vom Westteil der Stadt abgeriegelt hat. Nur das Band aus rotbraunen Pflastersteinen, über das sich der indische Junge und sein Vater so selbstverständlich die Hand gereicht haben, markiert heute ihren Verlauf. Auch das Wachhaus der westlichen Alliierten mitten auf der Friedrichstrasse wurde kurz nach dem Mauerfall entfernt. Heute befindet es sich im AlliiertenMuseum in Berlin-Dahlem.

Checkpoint Charlie Anfang der 60er Jahre
Blick vom amerikanischen Sektor auf den Checkpoint Charlie Anfang der 60er JahreBild: picture-alliance/dpa/K. Giehr

Der authentische Ort muss sich mit einer Kopie begnügen, die am 13. August 2000 eingeweiht wurde - ein weißer Schuppen mit Lautsprechern, Scheinwerfern und einem Schild "US Army Checkpoint" auf dem Dach und einer Sandsack-Barrikade vor der Tür. Die Säcke sind aus Gründen der Haltbarkeit und Stabilität mit Beton gefüllt, denn kaum ein Tourist verlässt das Areal, ohne sich hinter ihnen für ein Foto zu positionieren.

Geschichte zum Mitnehmen

Berliner verirren sich selten hierher. Für Touristen aus aller Welt aber zählt der Checkpoint Charlie zu den wichtigsten Sehenswürdigkeiten der Stadt. Sie kommen mit U-Bahn, E-Roller und Sightseeing-Bussen und bevölkern den lieben langen Tag diese kuriose Melange aus Geschichtswerkstatt und Rummelplatz.

Touristin vor der Open-Air-Galerie am Checkpoint Charlie
Touristin vor der Open-Air-Galerie am Checkpoint CharlieBild: DW/S. Bartlick

Ein windschiefer Bauzaun muss als Stellwand einer Open-Air-Galerie herhalten. In wenigen Worten und mit angegilbten Bildern wird dort erzählt, wie die alliierten Siegermächte Deutschland 1945 in Besatzungszonen aufgeteilt haben, wie es zu Spannungen zwischen Franzosen, Engländern und Amerikanern einerseits und den Russen andererseits kam, wie BRD und DDR gegründet wurden und dass die Führung der DDR am 13. August 1961 die Grenze zu Westberlin abriegelte.

So geht es weiter bis zur Öffnung dieser Grenze am 9. November 1989 und endet mit den sogenannten Mauerspechten, die übermütig Stücke aus der nutzlos gewordenen Mauer herausgeschlagen haben. Solche Stücke kann man, versehen mit einem vermeintlichen Echtheits-Zertifikat, gleich nebenan am Kiosk kaufen, ab 6.99 Euro das Stück. Außerdem im Angebot: Mauerpostkarten, Berlin-Magneten und Nachdrucke von Zeitungen aus den Schicksalsjahren 1961 und 1989.

Souvenirs: Hauptsache, irgendetwas mit Mauerbezug

Im benachbarten Blackbox Café stehen Sandwiches auf der Karte, die "American Mousetrap" heißen oder "4 Sectors". Und gleich gegenüber wieder ein hübsches Selfie-Motiv: ein originales Mauersegment, aufgebrochen von Mauerspechten. Man stellt sich einfach in die Lücke, lächelt und irgendjemand drückt schon ab. Eine chinesische Reisegruppe amüsiert sich dabei prächtig. Plötzlich schnuppern alle. Was riecht  denn so sonderbar? Auflösung: eine Kolonne originaler Trabis naht auf der Zimmerstraße mit Touristen am Steuer und verbreitet den Mief der DDR-Zweitakter.

Spielzeug-Trabis
Spielzeug-Trabis - auch ein SouvenirBild: DW/S. Bartlick

Vorbei an weiteren Souvenirshops geht es ins Mauermuseum, das in kleinen vollgestopften Räumen mit Texttafeln, Bildern, Videos und Original-Exponaten "die ganze Geschichte" erzählt - wobei die Flucht aus der DDR in Koffern, umgebauten Autos, durch Tunnel und über die Ostsee besonders viel Raum einnimmt. Dieses Museum soll eines der meistbesuchten der Stadt sein, es kostet 14,50 Euro Eintritt und hat natürlich einen riesigen Museumsshop, in dem es von Caps über T-Shirts, Becher, Taschen und Schirme alles gibt, auf das sich irgendetwas mit Mauerbezug drucken lässt.

Ein Blick über die Mauer

Die Straße vor dem Ausgang heißt nach Rudi Dutschke, dem legendären Wortführer der Westberliner Studentenbewegung, der bei einem Attentat im April 1968 schwere Hirnverletzungen erlitt. Sein Berlin war eingemauert. Besonders betroffen: ein Teil von Kreuzberg mit der Mauer an gleich drei Seiten. In deren Schatten lebten höchst alternativ Punks, Musiker, Künstler und Studenten in Wagenburgen und besetzten Häusern.  Die Teilung war normal geworden, man hatte sich mit dem Zustand arrangiert.

Wie das aussah, kann man schräg gegenüber des Mauermuseums bestaunen. Der Künstler Yadegar Asisi hat dort eines seiner berühmten Panoramen aufgebaut: Im Vordergrund die herunter gekommenen Kreuzberger Straßenzüge, einen Steinwurf entfernt der mehrere Meter breite Todesstreifen mit den Grenzanlagen. Verdichtete Normalität in der geteilten Stadt.

Das Mauerpanorama in Berlin

Einer, der dazu viel erzählen kann, ist Michael Hartmann, Ex-Punk und Fotograf, und einer von drei Zeitgenossen aus Ost- und Westberlin, mit denen man sich jetzt selbst in jene Jahre begeben kann. Eine neue Attraktion ermöglicht seit August diese ungewöhnliche Reise in die Vergangenheit.

Bustour nach Ostberlin

Unter einer Virtual-Reality-Brille können Gäste der TimeRide-Schau in der Zimmerstraße in das Ostberlin der 80er Jahre eintauchen - nachdem sie mit Hilfe kurzer Videos und der Erinnerungen der Zeitzeugen einen Eindruck vom Leben in der geteilten Stadt bekommen haben. Dann muss man sich entscheiden: Wer kommentiert die abschließende virtuelle Zeitreise? Der Pankower Fliesenleger Harry Liedeke, die Ostberliner Architektin Elke Makowski oder der Kreuzberger Michael Hartmann? Der nachgebaute  80er-Jahre-Bus, in dem man mit VR-Brille und Kopfhörern Platz nimmt, fährt natürlich nicht wirklich. Aber die Sinnestäuschung ist nahezu perfekt: der Motor springt an, das Gefährt rumpelt los und man hört Harrys, Elkes oder Michaels Anmerkungen.

Leute mit VR-brillen sitzen im TimeRide-Bus
Im virtuellen Bus: Zeitreise durch Ost-BerlinBild: TimeRide/Marco Urban

Über den Grenzübergang Checkpoint Charlie geht es nach Ostberlin, an sächselnden Grenzern und Jungpionieren vorbei über den Gendarmenmarkt bis auf den Parkplatz neben dem Palast der Republik. Und hier stehen sie wieder, die Trabis, in denen heute Touristen auf Safari durch Berlin gehen. Brille ab, und sofort ist man wieder in der Gegenwart. Erst mal was trinken. Auf dem ehemaligen Todesstreifen. Im Niemandsland des Kalten Krieges lädt Charlies Beach Bar zu Food, Drinks und Chill Out ein. Unter Palmen, mit Liegestühlen und Sandstrand.