Nahost-WM: Machbar oder illusorisch?
13. Oktober 2021Die Fußball-Weltmeisterschaft kann - ebenso wie die Olympischen Spiele - zur Völkerverständigung beitragen. Das hatte FIFA-Boss Gianni Infantino wohl im Sinn, als er sich nun mit einer schlagzeilenträchtigen Idee nach Israel aufmachte. Dort hat Infantino zunächst Andeutungen gemacht, und dann bei einem Treffen mit dem israelischen Ministerpräsidenten die Katze bzw. den Ball aus dem Sack gelassen: Wenn es nach dem FIFA-Boss geht, könnte im Jahr 2030 eine Weltmeisterschaft in Israel und anderen Staaten aus der Region stattfinden. Diese sollten von den Vereinigten Arabischen Emiraten angeführt werden, teilte das Büro von Israels Regierungschef Naftali Bennett nach einem gemeinsamen Treffen mit.
"Visionen, Träume und Ambitionen"
Man hätte sich denken können, mit welchem Vorstoß Infantino in Israel um die Ecke kommt. Zuvor hatte er bei einer Konferenz der "Jerusalem Post" auf die Frage nach der Möglichkeit einer WM in Israel geantwortet, dass "nichts unmöglich" sei. "Man muss Visionen, Träume und Ambitionen haben", betonte der 51-Jährige und verwies auf den Normalisierungsprozess zwischen Israel und den Vereinigten Arabischen Emiraten. "Also ist es eine Option, Co-Gastgeber zu sein."
Natürliche Partner?
Eine realistische Option? "Also, ich denke, da sind wir nicht ganz weit entfernt", sagt Robert Chatterjee, stellvertretender Chefredakteur der auf Nahost-Themen spezialisierten Zeitschrift Zenith. Zumal eher Ägypten oder Jordanien ein natürlicher Partner für die Israelis wären, wie Chatterjee im Gespräch mit der DW betont. Einen solchen Wettbewerb könnten die Israelis aber durchaus ausrichten, schließlich hätten sie das bei der U21-Europameisterschaft bereits unter Beweis gestellt.
Konkurrenzlos ist die Sache nicht. Für das Turnier in neun Jahren planen auch die südamerikanischen Länder Uruguay, Argentinien, Paraguay und Chile einem gemeinsame Bewerbung. Die vier britischen Verbände bereiten ebenfalls gemeinsam mit Irland eine Kandidatur vor, wie Premierminister Boris Johnson im Frühjahr angekündigt hatte. Offiziell ihr Interesse angemeldet hatten bereits Portugal und Spanien, auch China gilt als möglicher Bewerber. Von einem solchen Kandidaten-Gedrängel kann das Internationale Olympische Komitee nur träumen.
Das Turnier soll im Jahr 2024 vergeben werden. Nach der WM in Katar im Winter 2022 findet die WM 2026 in den USA, Kanada und Mexiko mit erstmals 48 Nationen statt.
Der Test in Katar
"Israel ist ja durchaus Teil des internationalen Liga-Kalenders", sagt Nahost-Experte Chatterjee. Sicherheitsaspekte dürften also zu bewältigen sein, wobei die jetzt bevorstehende WM in Katar da "schon einmal ein Lackmus-Test" darstelle.
Israel unterzeichnete im September vergangenen Jahres mit den Vereinigten Arabischen Emiraten und Bahrain Abkommen über die Aufnahme diplomatischer Beziehungen. Zuvor hatten nur zwei arabische Staaten, die Nachbarländer Ägypten und Jordanien, diplomatische Beziehungen zu Israel unterhalten. Die beiden Golfstaaten rückten von der jahrzehntelangen Linie arabischer Staaten ab, Beziehungen mit Israel zu verweigern, solange der Konflikt mit den Palästinensern nicht gelöst ist.
Der Affront
Womit man bei den Palästinensern wäre, die das Treiben Infantinos mit äußerster Säuernis aufnahmen. Der palästinensische Fußballverband sagte ein geplantes Treffen mit dem FIFA-Präsidenten aus Protest in letzter Minute ab. Der Grund sei Infantinos Teilnahme bei einer Veranstaltung im Toleranz-Museum in Jerusalem, das auf einem muslimischen Friedhof erbaut worden sei, hieß es in einer Mitteilung des Verbands. Dies sei ein "totaler Affront gegen die Werte religiöser Toleranz und friedlicher Koexistenz", für die auch FIFA stehe. Der oberste Fußball-Funktionär hatte am Montag an der Eröffnung des Friedman-Zentrums für Frieden durch Stärke im Toleranz-Museum in Jerusalem teilgenommen. Initiator der Einrichtung ist David Friedman, früherer US-Botschafter in Israel und Vertrauter des ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump. Er steht für eine klar pro-israelische und auch siedlerfreundliche Politik.
Und spätestens da dürfte dem FIFA-Chef klar gewesen sein, auf welches diplomatische Parkett er sich mit seiner WM-Idee begibt. Nahost-Experte Robert Chatterjee weiß, dass sich bereits eine Reihe internationaler Fußball-Stars wie etwa Paul Pogba pro-palästinensisch geäußert haben.