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NATO baut auf afghanische Armee

Bernd Riegert30. September 2015

Die Eroberung von Kundus durch die Taliban zeigt: Eine NATO-Präsenz in Afghanistan könnte länger als geplant nötig sein. Darüber beraten die Verteidigungsminister kommende Woche. Bernd Riegert berichtet aus Brüssel.

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Afghanistans Gegenoffensive nach Einnahme Kundus durch Taliban, Foto: reuters
Gegenoffensive in Kundus am Dienstag: Kampfhubschrauber der afghanischen ArmeeBild: Reuters

Eine offizielle Reaktion der NATO auf den Fall der nordafghanischen Stadt Kundus gab es in Brüssel nicht. Lediglich ein Sprecher des Bündnisses in Kabul teilte mit, dass amerikanische Kampfjets einen Angriff auf Stellungen der Taliban am Stadtrand von Kundus geflogen hätten. "Gefahren für die afghanische Armee und Truppen der Allianz wurden ausgeschaltet", sagte NATO-Oberst Brian Tribus nach dem Luftangriff in den frühen Morgenstunden. Insgesamt soll es sich um 18 Luftangriffe gehandelt haben. Das afghanische Verteidigungsministerium spricht davon, dass ein zentraler Bezirk von Kundus den Taliban-Aufständischen bereits wieder abgenommen wurde.

Taliban-Rebellen erobern Zentrum von Kundus am Montag, Foto: Getty
Taliban-Rebellen erobern Zentrum von Kundus am MontagBild: Getty Images/AFP

Im Prinzip ist die afghanische Armee für die Verteidigung und Rückeroberung der Provinzhauptstadt zuständig. Denn bereits seit Ende letzten Jahres hat die afghanische Armee die Verantwortung für die Sicherheit im ganzen Land. Die NATO hatte ihre Kampftruppen abgezogen. Sie unterhält nur noch eine Ausbildungs- und Beratungsmission mit dem Namen "Resolute Unterstützung". Etwa 13000 Soldaten befinden sich noch im Land, um die afghanische Armee anzuleiten. Darunter sind 850 Bundeswehrsoldaten. "Ich denke mal, dass die afghanische Armee schon in der Lage ist, militärische Operationen durchzuführen. Es gibt ja auch noch alliierte Truppen im Land. Ich glaube, dass möglicherweise Kundus in ein paar Wochen nicht mehr in den Händen der Taliban sein wird", sagt der Experte für Sicherheitspolitik, Roland Freudenstein, über die Fähigkeiten der afghanischen Armee. Roland Freudenstein arbeitet für die konservative Denkfabrik "Martens" in Brüssel.

Weiteren Rückzug verlangsamen?

Aus Kundus hatte sich die Bundeswehr vorletztes Jahr planmäßig zurückgezogen. Sie hatte dort zehn Jahre lang ein Feldlager unterhalten. Ende 2016 soll auch die NATO-Mission "Resolute Unterstützung" auslaufen. So waren die bisherigen Planungen, die aber nach Angaben von Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen noch einmal überprüft werden sollen. In der kommenden Woche treffen sich die Verteidigungsminister der NATO in Brüssel, auch um über die Lage in Afghanistan zu beraten. "Die Lage ist Besorgnis erregend", sagte von der Leyen in Berlin. Man müsse jetzt sorgfältig analysieren und "nicht nach starren Zeitlinien" entscheiden. Die NATO hatte über Jahre die afghanische Armee aufgebaut und ausgebildet. Finanziert wird die Truppe immer noch von den Mitgliedsländer der Allianz.

Ursula von der Leyen , Foto: dpa
Dr. Ursula von der Leyen: Keine starren ZeitpläneBild: picture-alliance/dpa/M. Gambarini

"Die Bilanz ist positiv"

Die Sicherheitslage hat sich in den letzten Monaten verschlechtert. Auch in der Hauptstadt Kabul kam es immer wieder zu Anschlägen. Das sei aber noch kein Grund in Panik zu verfallen, warnt der Politikanalyst Roland Freudenstein im Gespräch mit der DW. "Die große Offensive der Taliban gegen die Regierungstruppen sehe ich bisher nicht. Das Ganze hält viel besser zusammen, als man das vor einem Jahr noch befürchtet hat." Die Bilanz des afghanischen Präsidenten Aschraf Ghani, der genau ein Jahr im Amt ist, sei positiv. Die Regierung sei weniger korrupt als ihre Vorgänger. Zwischen den beiden wichtigsten ethnischen Gruppen, Paschtunen und Tadschiken, herrsche einigermaßen Einverständnis, so Roland Freudenstein. "Militärisch ist der große Zusammenbruch der afghanischen Streitkräfte und das Überrennen von Kabul nicht passiert. Und das wird auch in naher Zukunft nicht passieren."

Freudenstein: Noch keine Katastrophe in Afghanistan

Der Abzug der alliierten Kampftruppen sei dennoch zu schnell geschehen, kritisiert Roland Freudenstein vom "Martens"-Center in Brüssel. Die verbliebenen Truppen sollten länger als geplant im Land bleiben, glaubt der Sicherheitsexperte. "Man muss nicht zweimal den gleichen Fehler machen. Ich bin der Meinung, dass die Truppen, die jetzt noch da sind, auf jeden Fall länger bleiben sollten, gerade weil es einen Hoffnungsschimmer gibt." Für Katastrophenstimmung nach dem zeitweisen Fall von Kundus sieht Freudenstein keinen Anlass.