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Politik

NATO will Raketenverbot noch retten

25. Januar 2019

Ohne Raketenverbot im INF-Vertrag wird es schwieriger ein Wettrüsten in Europa zu verhindern, sagt die NATO. Erinnerungen an die 1980er Jahre, den Kalten Krieg werden wach. Aus Brüssel Bernd Riegert.

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Belgien Brüssel NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg
NATO-Generalsekretär Stoltenberg: Letzte Chance für RüstungskontrolleBild: picture-alliance/AP Photo/V. Mayo

Die Sitzung des NATO-Russland-Rates im Hauptquartier der Allianz in Brüssel verlief so wie viele Treffen zuvor. "Es gab keine echten Fortschritte", stellte der norwegische Generalsekretär der NATO, Jens Stoltenberg, ist seiner nüchternen Art fest. "Gerade wenn die Spannungen hoch sind, ist es wichtig miteinander zu reden. Und genau das machen wir hier." Vor dem Treffen des Dialogforums von westlicher Allianz und russischem Gegner hatte auch niemand erwartet, dass Russland oder die NATO ihre Auffassungen zum Waffenkontrollvertrag für nukleare Mittelstreckenraketen (INF) ändern würden.

Im Namen der Allianz macht Jens Stoltenberg noch einmal klar, dass Russland mit der Aufstellung von neuen Marschflugkörpern (NATO-Bezeichnung SSC-8) in Europa den INF-Vertrag eindeutig verletzte, und das bereits seit Jahren. Die russische Seite hingegen behauptet, die umstrittenen atomar bestückbaren Waffensysteme könnten nur 480 Kilometer weit fliegen. Sie blieben damit knapp unter der 500 km-Grenze, die der INF-Vertrag vorschreibt. Die NATO-Verbündeten in Europa und Kanada sind sich mit der US-Administration dagegen einig, dass die russischen Raketen viel weiter fliegen können und der Vertrag schon lange verletzt wird. Bereits unter Präsident Barack Obama war das Thema immer wieder mit Russland besprochen worden. "Es gab 30 Unterredungen mit den Russen zu dieser Frage, aber keine Fortschritte", beklagte NATO-Generalsekretär Stoltenberg in Brüssel.

Russland Pressekonferenz zur Vorstellung neuer Raketen
Russland führte seine Rakete vor zwei Tagen in Moskau vor: Nur begrenzte Reichweite?Bild: picture-alliance/Sputnik/V. Astapkovich

Letzte Chance für den INF-Vertrag

US-Präsident Donald Trump riss, wie bei anderen internationalen Fragen auch, der Geduldsfaden. Er droht damit, am 2. Februar, also Ende kommender Woche, den INF-Vertrag formal aufzukündigen. Nach sechs Monaten würde er dann null und nichtig. Die beiden Vertragsparteien USA und Russland könnten neue oder mehr Waffensysteme aufstellen. Doch soweit muss es nach Auffassung von NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg nicht kommen. "Es gibt immer noch die Gelegenheit für Russland bis zum 2. Februar den Vertag wieder einzuhalten." Auch in den sechs Monaten der Ausstiegsphase wäre ein Rückkehr zu den Vorgaben des Vertrages oder eine Ergänzung möglich. "Wir wollen auch kein neues Wettrüsten, aber es wird ohne den INF-Vertrag natürlich schwieriger das zu verhindern", sagte Jens Stoltenberg.

Der deutsche Außenminister Heiko Maas hatte noch vor wenigen Tagen bei einem Besuch in Moskau versucht, den russischen Außenminister Sergej Lawrow dazu zu bewegen, den INF-Vertrag noch zu retten. Europäische Sicherheitsinteressen seien "auf elementare Art und Weise" berührt, sagte Maas. Moskau müsse seine "vertragswidrigen Marschflugkörper verifizierbar abrüsten".

Russland Sergej Lawrow & Heiko Maas in Moskau
Freundlich, aber unnachgiebig: Außenminister Maas beim russischen Amtskollegen in MoskauBild: picture-alliance/dpa/K. Nietfeld

Was will Russland erreichen?

Sollte das nicht passieren und der INF-Vertrag in sechs Monaten aufhören zu existieren, müssen die USA und die NATO über Gegenmaßnahmen und eine eventuelle Nachrüstung nachdenken. Der Generalsekretär der Allianz sagte in Brüssel, die militärischen Experten würden das prüfen. Noch sei es aber zu früh über eine Aufstellung amerikanischer Raketen zu spekulieren. "Jetzt geht es erst einmal darum, den bestehenden Vertrag zu retten." Jens Stoltenberg entnimmt den öffentlichen Äußerungen aus Moskau ohnehin, dass es den Russen nicht so sehr um mögliche amerikanische Raketen in Europa gehe, sondern um die globalen Auflagen, die der 31 Jahre alte INF-Vertrag macht. Russland und die USA dürfen weltweit keine atomaren Mittelstreckenwaffen besitzen. Der Iran, Nordkorea, China, Indien und Pakistan dürfen das aber sehr wohl und haben solche Waffen auch entwickelt. Diese wiederum werden von Russland als Bedrohung angesehen.

Die russische Seite hat heute im NATO-Russland-Rat noch einmal die Vorwürfe gegen die USA wiederholt. Sie und nicht Russland verstießen gegen den INF-Vertrag, weil die USA Drohnen und Abwehrraketen in Europa stationiere, die auch nukleare Sprengköpfe nach Russland transportieren könnten. NATO-Generalsekretär Stoltenberg wies diese Vorwürfe in Brüssel zurück. Es sei eindeutig Russland, das den Vertrag verletze, behauptete Stoltenberg wiederholt.

Die Baskenmütze - und Heinrich Böll
Erinnerungen werden wach: 1983 demonstrierte u. a. Schriftsteller Heinrich Böll gegen NATO-Nachrüstung in MutlangenBild: picture-alliance/dpa

Neue Debatte um Nachrüstung?

Steht Europa also nach der harten Nachrüstungsdebatte Anfang der 1980er Jahre eine Neuauflage ins Haus? Damals fasste die NATO den sogenannten Doppelbeschluss, der die Aufstellung von neuen Raketen als Antwort auf sowjetische Systeme, aber auch Abrüstungsgespräche vorsah. Etwas Ähnliches hat der deutsche Bundesaußenminister Heiko Maas bereits zurückgewiesen. "Nukleare Aufrüstung ist mit Sicherheit die falsche Antwort", sagte der SPD-Politiker kurz nach Weihnachten in einem Interview. "Eine Stationierung neuer Mittelstreckenwaffen würde in Deutschland auf erheblichen Widerstand stoßen." In Europa solle man nicht über Nachrüstung debattieren, sondern lieber neue Abrüstungsinitiativen starten, meinen Heiko Maas und jetzt auch NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg.

Der INF-Vertrag, den die NATO unbedingt retten will, ist übrigens eine direkte Folge des Doppelbeschlusses. Ohne die Aufrüstung auf Seiten der NATO, also eine Demonstration der Stärke, hätten die damaligen Sowjetführer Mitte der 1980er Jahre einem Verbot dieser Waffen und anderen Rüstungskontrollverträgen wohl nicht zugestimmt.

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Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union