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"Entartete Kunst"-Schau verspottete Moderne

Nadine Wojcik
19. Juli 2017

Für die von Hitler protegierte Ausstellung "Entartete Kunst" beschlagnahmten NS-Trupps moderne Kunst. Die gezeigten Werke wurden verhöhnt - und verschwanden. Mit den Folgen der "Säuberung" kämpfen die Museen bis heute.

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"Entartete Musik" im Dritten Reich
Bild: picture-alliance/dpa

Es musste schnell gehen. Keine drei Wochen vor der Eröffnung der "Großen Deutschen Kunstausstellung" in München 1937, die Adolf Hitler zur Chefsache erklärt hatte, sollte nun noch eine weitere Ausstellung auf die Beine gestellt werden - als Gegenüberstellung zur neuen völkischen Kunst. In einer diffamierenden Schau sollte so genannte "entartete Kunst" präsentiert werden. Darunter fielen Werke, die mit der nationalsozialistischen Kunstauffassung nicht konform waren: Malerei und Skulpturen des Expressionismus, des Surrealismus, des Dadaismus, des Kubismus, der Neuen Sachlichkeit, des Fauvismus. Kurz: Moderne Kunst sollte an den Pranger gestellt, belächelt und verhöhnt werden.

Forschungsstelle Entartete Kunst (Freie Universität Berlin)
Meike Hoffmann forscht bereits seit 2006 an der Freien Universität Berlin zum Thema "Entartete Kunst" Bild: DW/B. Schröder

In ganz Deutschland wurden daraufhin Kunstwerke eingesammelt. Eine Beschlagnahmekommission zog samt Führererlass am 30. Juni 1937 los, um "geeignete" Ausstellungsstücke bei den Museen einzutreiben. "Die Idee die Kunst zu säubern war nicht neu und so gab es bereits gewisse Listen, die die Museen schon Jahre zuvor erstellt hatten", erklärt Meike Hoffmann, Projektkoordinatorin der Forschungsstelle "Entartete Kunst" an der Freien Universität Berlin. "Die Museen waren zu dem Zeitpunkt bereits gleichgeschaltet, nicht NS-konforme Museumsleiter ausgetauscht." Auf diese Listen griff die Beschlagnahmekommission in der Kürze der Zeit nun zurück. Dennoch wurden gerade kleinere Institutionen von der plötzlichen Anfrage überrumpelt. Schließlich sollte die Münchner Ausstellung bereits am 19. Juli 1937 eröffnen, einen Tag nach der "Großen Deutschen Kunstausstellung".

In dieser Hauruck-Aktion wurden 650 moderne Gemälde, Grafiken und Skulpturen aus 32 Museen konfisziert, darunter bedeutende Meister wie Wassily Kandinsky, Emil Nolde, Lyonel Feininger, Ernst Barlach oder Ernst Ludwig Kirchner. "Es gab dennoch einen gewissen Spielraum. So wurde beispielsweise nicht geprüft, ob die Listen vollständig waren", sagt Hoffmann. "Die Herausgabe der Kunstwerke war auch abhängig von der jeweiligen Besetzung. Manche Lokalpolitiker sahen beispielsweise extra weg, während andere die jeweilige Museumsleitung vehement aufforderten, ein bestimmtes Gemälde auszuhändigen." Die Eintreibung sei also recht willkürlich vonstatten gegangen, auch hätte eine gewisse Unsicherheit geherrscht, so dass mancher Museumsleiter im vorauseilenden Gehorsam handelte.

Wendepunkt in der NS-Kunstpolitik

Was jedoch den Wenigsten klar war: Die Eintreibung war keine kurzzeitige Leihgabe für eine Ausstellung in München. Vielmehr war sie Teil eines Prozesses, der die deutsche Kunstwelt grundlegend "säubern" sollte. "Viele Museumsleiter interpretierten die Konfiszierung wie eine Leihgabe, ließen beispielsweise den jeweiligen Versicherungswert feststellen", sagt Meike Hoffmann, die bereits seit 2006 an der Freien Universität Berlin zu dem Thema forscht.

Die Gemälde, Skulpturen und Grafiken sollten nie zurückkehren. Im Gegenteil: Die Münchner Wanderausstellung "Entartete Kunst" markierte einen Wendepunkt in der NS-Kunstpolitik. Ab August 1937 wurden die Museumsbestände moderner Kunst fast vollständig geplündert. In einer zweiten, gründlicheren Beschlagnahmung wurden weitere 20.000 Werke von rund 1400 Künstlern konfisziert, in einem Berliner Depot eingelagert, verbrannt oder im Ausland versteigert.

Adolf Hitler und Propagandaminister Joseph Goebbels besuchen 1937 die Münchner Ausstellung "Entartete Kunst" (Foto: picture-alliance/dpa)
Hitler und Propagandaminister Goebbels besuchen 1937 die Münchner Ausstellung "Entartete Kunst"Bild: picture-alliance/dpa

Doch zunächst wurden einige Werke in München ausgestellt. Damit es unter den Besuchern nicht zu Missverständnissen kam, wurden die Wände zusätzlich mit Parolen und höhnischen Kommentaren beschmiert. "Wir sehen um uns herum diese Ausgeburten des Wahnsinns, der Frechheit, des Nichtskönnertums und der Entartung", soll der Ausstellungsleiter Adolf Ziegler damals gesagt haben. Er war selbst Maler, Präsident der NS-Reichskammer der bildenden Künste und hatte die Beschlagnahmung der unerwünschten Kunstwerke höchstpersönlich vorangetrieben.

Die Schau, die anschließend in weiteren zwölf Städten zu sehen war, wurde zum Publikumsrenner: Mehr als zwei Millionen Menschen sahen die Wanderausstellung. Es war die bis dahin erfolgreichste Schau moderner Kunst.

Viele Kunstwerke für immer verloren

Viele Besucher sollen die Ideologie dahinter geteilt haben. Zeitzeugen erinnern sich, wie Bilder bespuckt worden seien. "Manche jedoch sind sicherlich auch in die Ausstellung gegangen, um all diese Werke noch ein letztes Mal zu sehen", sagt Ulrich Wilmes, Hauptkurator vom Haus der Kunst in München. Sein Haus muss täglich mit dem Erbe der "Großen Deutschen Kunstausstellung" umgehen, das 1937 eigens dafür gebaut wurde. Anlässlich des 80. Jahrestages am 19. Juli hat das Haus der Kunst die Präsentation zur eigenen Geschichte und der Gegenausstellung "Entartete Kunst" überarbeitet, zeigt historische Fotos, Filmausschnitte und Materialien zur Baugeschichte.

Museum Kunstpalast Düsseldorf (Foto: picture-alliance/dpa)
Mehr als 1000 Werke verloren: Museum Kunstpalast in DüsseldorfBild: picture-alliance/dpa

Der zerstörerischen NS-Kunstpolitik wird derzeit auch im Düsseldorfer Kunstpalast gedacht. Am 13. Juli eröffnete eineAusstellung, die rekonstruiert, welche Kunstschätze dort verloren gegangen sind. Die Schau zeigt nur wenige Werke: Düsseldorf hatte es nach Berlin und Essen besonders hart getroffen. Mehr als 1000 Gemälde, Skulpturen und Grafiken wurden beschlagnahmt.

"Wir zeigen eine Ausstellung über eine Sammlung, die gar nicht mehr da ist", sagt Kathrin DuBois vom Museum Kunstpalast. Es sei ein regelrechter Kahlschlag gewesen. Zwar kann über eine Leihgabe aus Sydney das großformatige Gemälde "Drei Badende" von Ernst Ludwig Kirchner zum ersten Mal wieder in Düsseldorf gezeigt werden, doch der Rest werde über die eigenen spärlichen Bestände abgedeckt. "Nach 1945 konnte nicht mehr viel zurückgeholt werden. Manches gilt weiterhin als verschollen, wie beispielsweise das Bild 'Die schöne Gärtnerin' von Max Ernst, das noch in der Münchner Ausstellung 'Entartete Kunst' zu sehen war. Vieles wurde zerstört, vor allem Bilder von damals noch unbekannten und lokalen Künstlern", so DuBois.

Säuberungsaktionen wirken bis heute nach

Auch Meike Hoffmann bedauert diesen großen Verlust. "Junge Künstler, die gerade erst am Anfang ihrer Karriere standen, sind nun gänzlich vergessen, anders als die schon damals bekannten Maler." Grundsätzlich habe die deutsche Kunstwelt durch die nationalsozialistische Säuberungsaktion nicht nur quantitativ einige der wertvollsten Gemälde verloren, die gesamte Kunstentwicklung sei auch heute noch davon geprägt. "Der Nationalsozialismus konnte zwar die moderne Kunst glücklicherweise nicht komplett unterbinden, dennoch folgte nach 1945 erst einmal eine intensive Wiedergutmachung." Dabei sei jedoch wieder ein Blick zurück auf ein bereits veraltetes Verständnis von moderner Kunst gegangen. "So entstand wieder eine Schieflage."

Gemälde "Schlachtfeld" von Emil Nolde (Foto: Bundeskunsthalle)
Geächteter Künstler trotz NSDAP-Parteibuch: Expressionist Emil Nolde, der 1913 sein "Schlachtfeld" malteBild: Bundeskunsthalle

 Auch könne man die Kunstwelt im Nationalsozialismus nicht nur in schwarz oder weiß einteilen, also in "entartet" und rassenideologisch. "Dann erliegen wir ebenfalls der NS-Propaganda, auch wenn wir sie umdrehen", meint die Forscherin. So war der Expressionist Emil Nolde beispielsweise bereits seit 1934 NSDAP-Mitglied und Antisemit, stand aber trotzdem auf dem Index.

Zahlreich sind nun die Ausstellungen, Podiumsdiskussionen und öffentlichen Auseinandersetzungen anlässlich des 80. Jahrestages. Nicht zuletzt durch den unerwarteten Fund der Kunstsammlung Gurlitt, eines privilegierten Kunsthändlers Hitlers, der geächtete Kunst gegen Devisen im Ausland verkaufte. "Das war spektakulär", sagt Hoffmann, die auch als Gutachterin im Fall Gurlitt tätig war. "Plötzlich sind Werke aufgetaucht, die wir längst verloren geglaubt hatten." 

Neben der Ausstellung in Düsseldorf und der überarbeiteten Präsentation in München eröffnen in diesem Jahr weitere Schauen unter anderem imZentrum für verfolgte Künste in Solingen  und eine Ausstellung zum Gurlitt-Bestand in Bern. Zudem werden derzeit einzelne verfolgte Künstler in Sonderausstellungen gewürdigt, darunterRudolf Belling im Hamburger Bahnhof in Berlin,Max Pechstein im Bucerius Kunst Forum in Hamburg undOtto Freundlich im Kunstmuseum Basel.