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Schmerzhafte Begegnung mit der Vergangenheit

12. Oktober 2018

Am 12. Oktober 1944 zog die Wehrmacht aus Athen ab. Isabella Palaska ist die Tochter des zweimal als Nazi-Kollaborateur angeklagten und beide Male freigesprochenen Ioannis Voulpiotis. Sie begab sich auf Spurensuche.

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Bildkombo Nazikinder Isabella Palaska

"Dass mein Vater angeklagt wurde, war sehr schmerzhaft für mich. Ich war wütend und hatte Schamgefühle. Ich konnte nicht allen sagen, dass das nicht stimmt", sagt Isabella Palaska. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde ihr Vater zweimal als Kollaborateur angeklagt und zweimal freigesprochen. Das war 1947 und 1948.

Doch der Reihe nach: Ihr Vater Ioannis Voulpiotis war ein hochbegabter Ingenieur, der an der Technischen Universität München studiert hatte. Karl Friedrich von Siemens schätzte seine Fähigkeiten sehr, und so hatte der junge Grieche schnell wichtige Führungspositionen übernommen. Und nicht nur das: Voulpiotis hatte Herta, die Tochter von Werner von Siemens geheiratet, mit der er ein gemeinsames Kind bekam. Doch die Ehe hielt wegen der labilen Gesundheit seiner Frau nicht lange.

Karriere in der Heimat

Ionnis Voulpiotis mit seiner zweiten Frau Elena
Die Eltern von Isabella Palaska: Ionnis Voulpiotis mit seiner zweiten Frau Elena Bild: Privat

Noch vor dem Zweiten Weltkrieg kehrte Ioannis Voulpiotis nach Griechenland zurück. Er heiratete die erst 18-jährige, aber gut betuchte Elena Eugenidis aus Thessaloniki. Aus der Ehe entstammt Isabella Palaska. Voulpiotis war nun Vertreter von Siemens und Telefunken in Griechenland und hatte sogar die Technologie für die Gründung des staatlichen Radios geliefert - ein willkommenes Propagandamittel für das Regime des griechischen Diktators Ioannis Metaxas - und später auch für das Nazi-Regime in Deutschland: Hitler hatte sich von Voulpiotis beraten lassen und war beeindruckt von dessen fundierten Kenntnissen über Elektrotechnik.

Einflussreich, aber umstritten

Voulpiotis gehörte zur griechischen Oberschicht, war Generaldirektor des griechischen Radios und Gesprächspartner damals wichtiger Persönlichkeiten wie des Premierministers und zahlreicher Generäle. Während des Zweiten Weltkriegs war er sowohl mit deutschen als auch britischen Diplomaten bestens vernetzt. Die Gründung der brutalen griechischen Sicherheitsbataillone (Tagmata Asfalias) war Voulpiotis' Idee. Sie sollten die Deutschen dabei unterstützen, die Kommunisten zu bekämpfen. Nach dem Krieg wurde der Vater von Isabella Palaska als Unterstützer und Vermittler der deutschen Propaganda angeklagt.

Dankesbriefe von Juden und Kommunisten

Voulpiotis bleibt bis heute eine umstrittene Persönlichkeit: einerseits die beiden Anklagen wegen Nazi-Kollaboration - andererseits hat Tochter Isabella in seinem Archiv mehr als 1.500 Dankesbriefe von Juden, Kommunisten und anderen Griechen entdeckt. Deshalb hat sie sich dazu entschieden, zwei Bücher zu schreiben ("Engel oder Teufel, mein umstrittener Vater" und "Die Jahre des Sturmes"), um auch die positive Seite ihres Vaters zu zeigen und mit den Schamgefühlen, die sie jahrzehntelang begleitet haben, umgehen zu können.

Dankesbrief an Voulpiotis
Dankesbrief an VoulpiotisBild: DW/M. Rigoutsou

Isabella Palaska beschreibt ihren Vater als "gierig", sieht ihn aber nicht als Verräter. Wusste er wirklich nichts von den Verbrechen der Nazis? "Das Gleiche könnte ich auch die Deutschen fragen", antwortet Palaska selbstbewusst. "Wussten die nicht, was in ihrem Land passierte? Das ist eine Wahrheit, die viele nicht wahrhaben wollten." Ioannis Voulpiotis sei "kein guter Vater" gewesen, aber nach ihrer Meinung war er kein Verräter. "Er hat die deutsche Kultur sehr bewundert. Das wird ihm vorgeworfen."

Die wenigsten Fälle kamen vor Gericht

Einige hundert Prozesse gegen Kollaborateure haben nach dem Krieg in Griechenland stattgefunden - die meisten von 1944 bis 1949. Die Tatsache, dass Ioannis Voulpiotis freigesprochen worden ist, war damals kein Ausnahmefall. Der griechische Historiker Dimitris Koussouris, der an der Universität Wien lehrt, sagt im Gespräch mit der Deutschen Welle, dass 85 Prozent aller Kollaborationsfälle erst gar nicht vor Gericht kamen. So seien etwa von 15.000 Anklagen in Athen nur 2.200 Fälle verhandelt worden. 114 Kollaborateure wurden von 1945 bis 1949 zum Tode verurteilt, aber nur 25 Urteile in ganz Griechenland tatsächlich vollstreckt. 121 Angeklagte wurden zu lebenslanger Haft verurteilt, 614 haben mildere Strafen bekommen und 1.356 wurden freigesprochen. Reiche, beziehungsweise durch den Krieg reich gewordene Kollaborateure konnten zudem durch Schmiergelder einer Bestrafung entgehen.

Nazikinder Ioannis Voulpiotis
Ioannis Voulpiotis in jungen JahrenBild: Privat

Der griechische Historiker Professor Stratos Dordanas, der an der Universität Makedonien in Thessaloniki lehrt, meint, dass Griechenland bei der Frage der Bestrafung der Kollaborateure "im Vergleich zu anderen europäischen Staaten keine Ausnahme darstellt". Dordanas: "Wenn sich der griechische Fall in etwas unterscheidet, so in der geringen Anzahl derer, die letztlich verurteilt worden sind. Wobei nicht vergessen werden darf, dass dem Ende der Besatzungszeit ein blutiger Bürgerkrieg gefolgt ist." Viele Kollaborateure schlossen sich nach dem Krieg den Alliierten an und unterstützten später während des griechischen Bürgerkriegs (1946 - 1949) den Kampf gegen die Kommunisten.

Die Vergangenheit einfach vergessen?

Nazikinder Isabella Palaska
Isabella PalaskaBild: DW/M. Rigoutsou

Das Thema der Kollaboration ist bis heute ein heikles in Griechenland. Viele, darunter auch prominente Politiker und Unternehmer, würden am liebsten die Vergangenheit ihrer Familien vergessen. "Die Kollaborateure haben sich durch den Bürgerkrieg nicht nur in der Gesellschaft schnell wieder integriert: Einige von ihnen haben Führungspositionen übernommen und sind sogar in weniger als 15 Jahren Mitglieder der Athener Akademie geworden", sagt Koussouris. Wiederholte Anfragen der Deutschen Welle an Nachfahren, über das schwere Erbe zu sprechen, wurden abgelehnt. Die Schriftstellerin Isabella Palaska ist eine Ausnahme. In ihren beiden Büchern hat sie ihr Schweigen gebrochen. Aber dennoch, so sagt sie, sei "die Wunde tief geblieben".

Maria Rigoutsou | Freie Redakteurin für die DW, Griechische Redaktion
Maria Rigoutsou Journalistin in der griechischen Redaktion der DW