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GesellschaftDeutschland

Nazi-Parolen auf Sylt: Ist das "Wohlstandsverwahrlosung?"

27. Mai 2024

Das Video mit ausländerfeindlichen Parolen auf Sylt macht weiter Schlagzeilen. Es gibt Berichte weiterer Vorfälle. Die Kinder reicher Eltern rücken in den Fokus. Gibt es in Deutschland eine "Wohlstandsverwahrlosung?"

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Einige Menschen stehen vor einem Gebäude mit der Aufschrift "Pony". Im Vordergrund ein Luxuswagen
Hier wurde das Video aufgenommen: Die Diskothek "Pony" auf SyltBild: Carsten Rehder/dpa/picture alliance

Es ist nur ein kurzes, etwa 15 Sekunden langes Internet-Video, aufgenommen am Pfingstwochenende in Kampen auf der Nordseeinsel Sylt. Aber seit vergangenem Freitag schlägt es in Deutschland hohe Wellen. "Eklig" nennt es etwa Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), und Bundesinnenministerin Nancy Faeser, ebenfalls SPD, spricht von einer "Schande für Deutschland."

Zu sehen sind in dem Video eine Gruppe junger Menschen, gekleidet in schicken Hemden und Pullovern, die auf einer Gaststätten-Terrasse ausgelassen feiern. Die Stimmung ist prächtig, im Hintergrund wird es Abend über dem Meer. Fünf von ihnen rufen laut und vernehmbar: "Deutschland den Deutschen, Ausländer raus." Einer der Gefilmten reckt den Arm offenbar zum Hitler-Gruß und hält zwei Finger der anderen Hand zwischen Oberlippe und Nase, eine verbreitete Geste, um den Hitler-Bart anzudeuten. Es wird viel und intensiv gelacht.

Berichte über weitere Vorfälle auf Sylt

Das Video entstand in der bekannten Diskothek "Pony" auf Sylt.  Und es beschäftigt seit Ende vergangener Woche die Polizei im nördlichsten deutschen Bundesland, in Schleswig-Holstein. Über das Wochenende gab es Berichte darüber, dass es am besagten Pfingstwochenende mehrere mutmaßlich rechtsextreme Vorfälle gab.

Die zuständige Polizei in Flensburg an der Grenze zu Dänemark gab jetzt bekannt, dass auch in einer zweiten Bar auf Sylt Lieder mit rechtsextremem Inhalt gesungen worden seien. Und die Polizei bestätigte, dass auch auf Sylt eine 29-jährige Schwarze angegriffen und leicht verletzt wurde. Im Zusammenhang mit dem Video wird jetzt wegen Volksverhetzung und der Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen ermittelt.

Eine Parallelgesellschaft, die Werte mit Füßen tritt?

Ein Begriff macht seitdem in der empörten Debatte über das Video die Runde, der Begriff der "Wohlstandsverwahrlosung."  So sagte Nancy Faeser, es stelle sich die Frage, "ob wir es hier mit Menschen zu tun haben, die in einer wohlstandsverwahrlosten Parallelgesellschaft leben, die die Werte unseres Grundgesetzes mit Füßen tritt". 

Blonde Frau vor einem Mikrofon
"Aufpassen, dass sich Werte nicht verschieben" - Bundesinnenministerin Nancy FaeserBild: Sebastian Gollnow/dpa/picture alliance

Was soll das sein, eine "Wohlstandsverwahrlosung"? Die psychoanalytische Praxis von Professor Wolfgang Albrecht in Berlin schreibt auf ihrer Website dazu: "Wohlstandsverwahrlosung (oder auch Verwöhn-Verwahrlosung) beschreibt die mentale Haltlosigkeit und psychische Labilität von Kindern, Jugendlichen, jungen oder älteren Erwachsener aus wohlhabenden Schichten."

Und weiter: "Diese Störungen können zurückgehen auf das Erleben von fordernden, perfektionistischen und emotional abwesenden Eltern, die z.B. nicht ihr Kind in seinen realen Lebens Bezügen vor Augen hatten." Diese Eltern würden, fokussiert vor allem auf ihre eigenen Karrieren, Vorstellungen vom zukünftigen Ruhm auf ihre Kinder projizieren und so an ihrem Kind emotional vorbei leben. Und den Nachwuchs überfordern.

Die Medien, die Reichen und die Klischees

Ob es eine solche soziale "Verwahrlosung" auch bei den jungen Menschen in dem Video gab? Für Pia Lamberty von der gemeinnützigen Organisation "CeMAS" ist der Vorfall ein Hinweis darauf, dass es rechtsextreme und ausländerfeindliche Positionen in allen Gesellschaftsschichten gibt.

Die Sozialpsychologin sagt der dpa: "Die mediale Aufmerksamkeit hat damit zu tun, dass es jetzt nicht klischeehaft irgendwo tief in Sachsen, in einer Kneipe oder Diskothek stattfindet, sondern eben da, wo die Reichen und Schönen sind." CeMAS sammelt kontinuierlich neuste Erkenntnisse zu Themen wie Verschwörungs­ideologien, Antisemitismus und Rechtsextremismus. Gibt es eine spezielle Schicht in Deutschland, die reich und offenbar ausländerfeindlich, vielleicht sogar rechtsextrem ist?

Sylt und die Tradition der Reichen im Luxus

Tatsächlich ist die Insel Sylt, speziell der Ort Kampen direkt am Nordseestrand, schon seit vielen Jahren Urlaubsort feierfreudiger junger Menschen aus vermögenden Elternhäusern. Im Gegensatz zur eher beschaulichen Nachbarinsel Föhr, die vor allem bei Familien mit Kindern beliebt ist, hat Kampen mit seinen gerade mal rund 500 Einwohnern das Image eines Ortes zum Feiern für die Reichen und Schönen.

Zudem kauften sich auf den ganzen Insel nach dem Zweiten Weltkrieg viele Industrielle, Film -und Fernsehstars Ferienhäuser. Die Preise für Essen und Getränke sind hoch, die Hotelpreise auch.

Kampen wehrt sich gegen ein pauschales Urteil

Immer mehr Details rund um das Video auf Sylt werden bekannt: Die rassistischen Parolen werden zum bekannten Song des italienischen DJs Gigi D'Agostino mit dem Titel "L'amour toujours" gegrölt. Kein Zufall, denn das Lied, das schon aus dem Jahr 1999 stammt, wurde des Öfteren schon als Folie für das Rufen von rechtsextremen Parolen missbraucht. So vor einiger Zeit in Erlangen, auch in einigen Orten in Mecklenburg-Vorpommern. Die Betreiber des Oktoberfestes in München gaben jetzt bekannt, das Lied nicht mehr spielen zu wollen.

In Kampen ist die Welt jetzt nicht mehr die gleiche wie noch vor wenigen Tagen. Gegen die Betreiber der Discothek "Pony" soll es Morddrohungen gegeben haben. Und die Insel-Offiziellen fürchten um den guten Ruf. So sagte Bürgermeisterin Stefanie Böhm: "Kampen ist ein weltoffenes Dorf, diese Personen repräsentieren weder das Dorf noch die Insel." Doch fürs Erste ist es mit der Ruhe auf Sylt vorbei.