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Ndungane: "Die Macht steigt manchen zu Kopf"

Katrin Matthaei30. April 2013

Südafrika leidet unter sozialen Problemen und politischem Stillstand. Doch Njongonkulu Ndungane bleibt optimistisch: Im DW-Interview bekräftigt der ehemalige Erzbischof von Kapstadt seinen Glauben an die Demokratie.

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Njongonkulo Ndungane, der ehemalige Erzbischof von Kapstadt (Foto: African Monitor)
Bild: African Monitor

Deutsche Welle: Nach dem Ende der Apartheid vor zwanzig Jahren hatten viele Südafrikaner auf eine bessere Zukunft gehofft. Stattdessen wächst die soziale Ungleichheit. Armut und Aids sind weiterhin große Probleme. Wohin steuert Südafrika?

Ganz wichtig ist zunächst einmal: Wir sind eine Verfassungsdemokratie, und das eint uns. Das ist der Grundstein. Wir kommen vielleicht manchmal etwas vom Weg ab, aber das wichtigste ist: Wir haben eine Verfassung und eine Demokratie - die geben uns Halt. Wir wissen, dass den Menschen die Macht manchmal zu Kopf steigt. Dann müssen wir Bürger die Stimme erheben und sicher stellen, dass wir wieder auf den richtigen Weg kommen.

Sie sind also optimistisch?

Definitiv. Die Institutionen in unserem Land basieren auf Gewaltenteilung. Als wir die Demokratie in unserem Land aufbauten, haben wir diese Gewaltenteilung festgeschrieben. Vergessen wir nicht die Worte von Reinhold Niebuhr, dem berühmten amerikanischen Theologen und Philosophen: 'Die Fähigkeit des Menschen zu Gerechtigkeit macht Demokratie möglich. Aber die Neigung des Menschen zur Ungerechtigkeit macht die Demokratie notwendig.' Und deshalb gibt es Menschen, die sehr genau beobachten, ob die Gewaltenteilung in unserer Verfassung und Demokratie respektiert und gestärkt wird. Wir haben außerdem eine unabhängige Justiz, die Probleme vor Gericht bringt und manchmal auch Vorhaben der Regierung zu Fall bringt. Das gibt uns Hoffnung, den Weg weiter zu gehen.

Aber die Schere zwischen Arm und Reich wächst.

Solche Missstände müssen wir angehen und sagen, dass das nicht in Ordnung ist. Unsere Regierung legt Sozialprogramme auf, die für sich gesehen ja gut sind, weil sie den Menschen helfen, sich aus der Armut zu befreien. Aber die Probleme selbst lösen sie nicht. Denn der Mensch braucht Arbeit, um seine Würde zu erhalten, und wir können nicht bis in alle Zukunft von Sozialprogrammen abhängig sein. Deshalb ist die Schaffung von Arbeitsplätzen das wichtigste.

Dann liegt es also vor allem an der Umsetzung?

Genau, das ist unser Problem. Das ist die Schwierigkeit, mit der mein Land zu kämpfen hat. Wir haben gute Programme - aber die Umsetzung ist das Problem. Wir müssen Theorie in die Praxis umsetzen. Darauf haben die Menschen ein Recht. Und es ist Musik in meinen Ohren, wenn ich den Minister für Nationale Planung, Trevor Manuel, und die Ministerin für Öffentliche Verwaltung, Lindiwe Sisulu, über den Bedarf Südafrikas an gut ausgebildeten Beamten sprechen höre. Ich glaube, unsere politischen Entscheidungsträger sind fähig und stark. Es ist eine gute Nachricht, dass sie solche Probleme angehen wollen.

Manche Beobachter sprechen von einer wachsenden Entfremdung zwischen der Führung des regierenden ANC (African National Congress) und seiner Parteibasis. Würden Sie das auch sagen?

Nun ja, ich war nie Mitglied des ANC - ich weiß also nicht, was hinter den Kulissen vor sich geht. Aber man darf nicht vergessen: Der ANC ist wie eine große Kirchengemeinde. In seinen Reihen gibt es sehr gute Leute. Und ich hoffe und bete, dass sich die Stimme der Vernunft durchsetzt. Ich glaube, die Menschen in meinem Land sehen den ANC immer noch als die Partei der Befreiung, die Partei von Nelson Mandela. Ich glaube, dass einige innerhalb der Partei, etwa Zwelinzima Vavi (der Generalsekretär des Gewerkschaftsdachverbandes COSATU, Anm. d. Red.) oder andere, ihre Stimme erheben werden. Ihr Moment wird kommen. Aber alles ist eine Frage der Machtbalance. Das scheint ein gängiges Muster von Befreiungsbewegungen zu sein: Wenn sie an der Macht sind, kontrollieren einige wenige den Zugang zu Geld und Ressourcen. Aber ich glaube: Wenn der Groschen einmal gefallen ist, dass die Dinge nicht gut laufen, dann wird man sehen, dass man die breite Masse erreichen muss.

Unterdessen sind viele südafrikanische Bürger und ANC-Anhänger frustriert - der ANC schien beim Parteikongress im vergangenen Dezember angeschlagen. Warum kann denn keine der Oppositionsparteien diese Schwäche für sich nutzen?

Lassen Sie uns mal die Wahlen von 2014 abwarten. Als sich 2008 die Oppositionspartei COPE gründete, hatte sie auf Anhieb großen Erfolg. Ich glaube, der ANC wird erst innehalten und zuhören, wenn eine der Oppositionsparteien wirklich stark ist und gute Umfrageergebnisse bekommt. Aber wir sind eine Verfassungsdemokratie. Das ist für mich das grundlegende Prinzip, und das gibt mir Hoffnung für die Zukunft.

Lassen Sie uns über ein anderes Thema sprechen: Ende Februar haben südafrikanische Polizisten einen mosambikanischen Taxifahrer schwer misshandelt, er starb in Polizeigewahrsam. Rund um die Fußballweltmeisterschaft 2010 gingen immer wieder Gruppen von Randalieren brutal auf Arbeitsmigranten aus Mosambik, Simbabwe oder Nigeria los. Wächst in Südafrika ein neuer Rassismus?

Das würde ich nicht sagen. Südafrikaner - und vor allem die, die während der Apartheid im Exil waren - wissen, wie sehr Afrika dazu beigetragen hat, dass wir heute in einer Demokratie leben. Dass Afrika uns während der Zeit der Befreiung aufgenommen hat, und sie erinnern sich an das damalige Mantra der Organisation für Afrikanische Einheit (OAU, die Vorgängerorganisation der heutigen Afrikanischen Union, Anm. d. Red.), dass wir nicht ruhen werden, bis auch der letzte Meter Afrikas befreit ist. Ich glaube, das weiß jeder. Meiner Meinung nach ist es vielmehr ein Problem des Zugangs zu Ressourcen und zur Wirtschaft - und dann neigen Menschen zu Fremdenfeindlichkeit und glauben, die Menschen aus den anderen Ländern des Kontinents wären gekommen, um ihnen die Arbeit wegzunehmen. Aber ganz allgemein sehe ich keinen Rassismus. Es gibt zwar solche hässlichen Vorfälle wie den Übergriff der Polizei auf den Mosambikaner. Aber ich bin nicht sicher, ob das durch Fremdenfeindlichkeit ausgelöst wurde, sondern eher durch den Wettbewerb um knappe Ressourcen und insgesamt um Arbeitsplätze.

Lassen Sie uns über Ihr Nachbarland Simbabwe sprechen. Dort haben die Menschen vor wenigen Wochen über eine Verfassungsänderung abgestimmt - ein Schachzug von Präsident Robert Mugabe, für weitere zehn Jahre im Amt zu bleiben. Wie könnte Südafrika seinen Nachbarn dazu bringen, auf den Weg zur Demokratie zu kommen?

Ich weiß nicht genau, welche Rolle die Südafrikanische Entwicklungsgemeinschaft (SADC) hierbei spielt. Die Strategie ist auf Frieden mit Simbabwe ausgerichtet. Und ich glaube, dass Initiativen, die einen langfristigen Frieden im Sinn haben, oberste Priorität bekommen sollten. Ich hoffe, dass unsere Regierung dafür sorgt, dass diese guten Absichten auch in gute Ergebnisse münden.

Müsste Südafrika Ihrer Meinung nach mehr Druck auf Robert Mugabe ausüben?

Ich glaube, SADC als regionale Organisation sollte deutlich machen, dass Simbabwe einen Schritt Richtung besserer Regierungsführung machen muss. Wo wir auf Probleme treffen, sollten sie sofort angegangen werden.

Vor wenigen Wochen hat der deutsche Bundespräsident Joachim Gauck in Addis Abeba vor dem Rat der Afrikanischen Union gesagt, Afrika müsse einen "afrikanischen Weg zu afrikanischer Demokratie" finden. Wie könnte die aussehen? Gibt es denn eine afrikanische Form von Demokratie?

Demokratie ist Demokratie. Und ich darf noch einmal an die wundervollen Worte von Reinhold Niebuhr über die Gewaltenteilung erinnern. Denn Macht korrumpiert und absolute Macht korrumpiert absolut, wie es so schön heißt. Länder wie etwa England brauchten lange Zeit, bis sie eine Demokratie waren. Afrika hat aber erst vor fünfzig Jahren seine Unabhängigkeit erlangt. Ein Teil des Problems ist die Technologie, die das, was in der hintersten Ecke Simbabwes passiert, in alle Welt überträgt. Was gut ist, denn die Weltöffentlichkeit sind sozusagen auch die Augen und Ohren der Demokratie. Aber wenn man genau hinsieht und die Entwicklung der Demokratien in Europa betrachtet, sind dort auch furchtbare Dinge passiert. Aber die wurden nicht im Fernsehen gezeigt. Aber das ist natürlich keine Entschuldigung, denn ich glaube, wir sollten die beste Demokratie überhaupt haben - denn wir können aus der Geschichte anderer stabiler Demokratien lernen.

Der 67-jährige Njongonkulu Ndungane war von 1996 bis 2007 Erzbischof von Kapstadt und in dieser Funktion Nachfolger von Friedensnobelpreisträger Desmond Tutu. Während der Apartheid war er von 1963 bis 1966 als politischer Gefangener auf der berüchtigten Gefangeneninsel Robben Island inhaftiert - zeitgleich mit Nelson Mandela. Heute reist Ndungane als Präsident der panafrikanischen Nichtregierungsorganisation African Monitor um die Welt. Die Organisation setzt sich unter anderem für erfolgreiche und nachhaltige Entwicklungszusammenarbeit ein. Zu diesem Zweck traf der Südafrikaner auf seinem Deutschland-Besuch im März Entwicklungsminister Dirk Niebel und Alt-Bundespräsident Horst Köhler in Berlin.