Die Kraft des Neem-Baums
13. August 2013Von Beginn an war sie begeistert von diesem Baum. So robust und vielseitig einsetzbar - das hat sie noch nicht oft gesehen: "Wir haben den Baum mehrere Monate unter Wasser gesetzt, er hält Temperaturen bis zu 50 Grad Celsius aus und wir haben ihn sogar direkt an der Küste in salzigen Boden eingepflanzt", sagt Elke Krüger, Gründerin des gemeinnützigen Vereins Plan Verde (deutsch: Grüner Plan). Und er hat überlebt. So wie die rund 200.000 anderen Neem-Bäume auch, die sie rund um die Stadt Piura im Norden Perus angepflanzt hat.
Hier an der Küste des südamerikanischen Landes wächst nicht mehr viel. Der heimische Trockenwald schrumpft. Die Gründe dafür sind vor allem Abholzung und landwirtschaftliche Nutzung durch die zunehmende Bevölkerung. Bauern kämpfen mit trockenen und sandigen Böden. Weite Teile sind schon heute zu Wüste geworden.
Lockere und sandige Böden - das verträgt sich nicht gut mit Stürmen und Hochwasser. Die kommen nämlich noch hinzu. Alle zwei bis sieben Jahre wird die Nordwestküste des südamerikanischen Landes vom sogenannten El Niño heimgesucht. Dieses Klimaphänomen tritt an der Pazifikküste Südamerikas in unregelmäßigen Abständen auf und ist nicht vorhersehbar. Dabei treffen Hoch- und Tiefdruckgebiete, sowie verschiedene Meeresströmungen aufeinander und sorgen für extreme Wetterbedingungen wie Sturm und lang anhaltenden Regen. Das trägt dann den ungeschützten Boden der Plantagen ab, zurück bleiben meist nur unnutzbare Erde und verzweifelte Bauern.
Die Neem-Bäume sollen genau da ansetzen. Zahlreiche Bauern rund um und in Piura haben ihre Felder schon mit den Bäumen umsäumt: Die Wurzeln reichen tief ins Erdreich und schützen so vor Bodenerosionen. Gleichzeitig verbessern die Bäume, die innerhalb des ersten Jahres bis zu vier Meter wachsen können, die Bodenqualität. Ihr Öl ist ein hervorragendes Mückenabwehrmittel und, mehr noch, seine Wirkstoffe verhindern sogar schon das Wachstum von Mückenlarven. Besonders in Regionen, in denen die Insekten Dengue und Malaria auf Menschen übertragen, kann das sehr hilfreich sein.
Der Neem-Baum ist ein Multitalent
Die Bäume bekommen die Bauern von Elke Krüger und ihrem Verein Plan Verde. Krüger ist nicht zufällig nach Peru gekommen. Sie wollte Menschen in einer Region helfen, die weltweit nicht viel beachtet wird. Den Neem-Baum kennt sie aus ihrer Zeit, in der sie und ihr Mann noch einen Naturwarenladen in Hannover betrieben. Da verkauften sie zahlreiche Neem-Produkte. Denn auch das Öl der Neem-Früchte kann für Hygiene- und medizinische Produkte verwendet werden.
Deswegen wird er in der indischen Tradition auch der "Heiler aller Krankheiten" oder der "gesegnete Baum" genannt. Auf dem Subkontinent ist der Neem-Baum heimisch. Ramesh Saxena ist Inder. Er erinnert sich noch gut daran, wie die ganze Familie regelmäßig in heißem Wasser mit getrockneten Neem-Blättern baden musste, um sich gegen die Pocken zu schützen. "Der Neem-Baum kann globale Probleme lösen", sagt der Vorsitzende der indischen Neem-Foundation. "Indien mit Neem grüner machen" - ist das Motto der Stiftung. "Neem kann eingesetzt werden, um Pflanzen, Tiere und Menschen zu heilen", sagt Saxena. Inder kennen den Baum und seine positiven Wirkungen schon seit Jahrtausenden. Viele kauen die Äste wegen seiner antiseptischen Wirkung und sogar das Holz ist, obwohl der Baum schnell wächst, sehr hart und kann für die Herstellung von Möbeln oder anderer Produkte benutzt werden.
Auch im Norden Perus setzen Elke Krüger und ihr Mann den Baum für zahlreiche Zwecke ein. Freunde an der Küste benutzen die Bäume beispielsweise in einem sozialen Projekt und bringen Kindern und Jugendlichen so den Umgang mit der Natur näher. Und nicht zuletzt verschönern die Bäume das Stadtbild: Die Krügers werden öfter von Bewohnern angesprochen, denen aufgefallen ist, dass Piura immer grüner wird: "Die freuen sich natürlich. Da wo vor ein, zwei Jahren noch Sand war, wachsen jetzt Bäume."
Mit Bäumen Möglichkeiten schaffen
Elke Krüger war nicht die erste, die den Baum in Piura anpflanzte. Ein Bauingenieur hatte die Neem-Bäume ursprünglich in die Stadt gebracht. Ihm gefielen die Bäume, da sie schnell wuchsen, schön aussahen, Mücken vertrieben und viel Schatten spendeten. Als Elke Krüger die Bäume fand, trug dieser gerade Samen, die sie sofort einsammelte: "Der neue Besitzer des Hauses, wo diese alten Neem-Bäume standen, war ein bisschen verwundert als wir uns richtig bemühten, die letzten Samen aus dem Boden zu fischen."
Elke Krüger glaubt, dass Bäume Rohstoffe und damit Möglichkeiten schaffen: "Sie sind die Grundlage für die Ausbildung einer Kultur", sagt sie. Die großflächige Abholzung hätte dem Norden Perus genau diese Kultur genommen. Hier könne man sehen, was im Amazonas befürchtet wird, so Krüger.
Weltweit im Einsatz
Ähnliche Projekte wie das von Plan Verde gibt es nicht nur im Heimatland des Baumes, sondern rund um den Globus: Indigene Gemeinden in Mexiko pflanzen Neem-Bäume in Schulprojekten an. Das US-amerikanische Unternehmen "Just Neem" verbindet den kommerziellen Verkauf von Neem-Kosmetikprodukten mit der Aufforstung trockener Gebiete im Nordwesten Afrikas.
Ramesh Saxena berichtet von einem Projekt der Universität Texas, das plant, Neem-Bäume in der Sahara anzupflanzen. "Wenn man Neem-Bäume in Wüsten anpflanzt, hilft das nicht nur dem Klima, sondern man kann auch seine Früchte und Samen nutzen, um daraus Produkte herzustellen, die schon jetzt weltweit nachgefragt werden", sagt der Vorsitzende der Neem-Foundation.
Die deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) setzt den Neem-Baum vorwiegend in Westafrika ein. "Er nimmt hier eine Nische ein, die durch lokale Spezies nicht besetzt war", erklärt Martina Wegner, Expertin für ländliche Entwicklung und Agrarwirtschaft der GIZ. Allerdings fügt sie hinzu, dass die hohe Anpassungsfähigkeit des Baumes, die seine große Stärke ist, in manchen Regionen auch die Gefahr birgt, einheimische Arten zu verdrängen. "Ob bei Aufforstungsvorhaben Neem oder andere Arten genutzt werden sollten, ist daher eine lokalspezifische Entscheidung", sagt Wegner.
Eine langfristige Studie zu den Auswirkungen der Neem-Baum-Verbreitung in Piura hat es noch nicht gegeben. Von allein wird sich der Baum speziell im Norden Perus jedoch nicht ausbreiten, so Krüger. Denn auch wenn er nur wenig Wasser braucht - ein kleines bisschen sollte es zumindest in der Anfangsphase schon sein. Und da es in der Region um Piura zu selten regnet, müssen neue Setzlinge hier in der Baumschule hochgezogen werden.
Als langfristige Lösung gegen die Wüstenbildung kann die Idee von Elke Krüger hier im trockenen Nordwesten Perus deswegen nur funktionieren, wenn auch die Menschen vor Ort mitmachen. Plan Verde will ein breites Netzwerk von Menschen aufbauen, die eigenständig Neem-Samen sammeln, diese dann anpflanzen und pflegen bis sie groß sind. Umweltbildung und Vorträge sind aus diesem Grund ebenfalls fester Bestandteil der Arbeit von Plan Verde.
In Piura sollen aber nicht nur Neem-Bäume stehen: Elke Krüger und ihr Ehemann Stephan experimentieren regelmäßig mit neuen Arten. Seit 2009 pflanzen sie auch Moringabäume an, dessen Blätter und Früchte sich als Nahrungsmittel eignen. Das Ziel von Plan Verde ist es, möglichst viele verschiedene Bäume und Pflanzen zu finden, die sich sinnvoll ergänzen und sich in die bereits vorhandene Vegetation ohne Schaden integrieren.