Nemat: "Frauen müssen besser geschützt werden"
11. Dezember 2012DW: Frau Nemat, Sie haben mit einem Kollegen das Buch "Vergessene Heldinnen" über zehn Frauenrechtlerinnen herausgebracht, die in den vergangenen Jahren ermordet wurden. Was war Ihr Hauptgrund dafür, die Biographien dieser ermordeten Frauen zu veröffentlichen?
Orzala Ashraf Nemat: Wir sind enttäuscht, weil die afghanische Regierung diese Morde wie alltägliche Verbrechen behandelt. Abgesehen davon, dass kein Mord wie etwas Alltägliches behandelt werden sollte, waren diese Opfer Frauen, die dem afghanischen Volk im Auftrag der afghanischen Regierung dienten. Deswegen war es uns wichtig, zu zeigen, wer diese tapferen Frauen waren, die ihr Leben für eine große Sache geopfert haben.
Wie beurteilen Sie die Haltung der afghanischen Regierung angesichts der Ermordung dieser Frauen?
Aus unserer Sicht besteht kein politischer Wille, diese Fälle aufzuklären. Dabei wäre es möglich, denn viele dieser ermordeten Frauen waren in ihren Heimatgemeinden sehr respektiert. Bei einigen Mordfällen gab es auch Verbindungen mit persönlichen Streitigkeiten. Trotzdem wurde diesen Hinweisen nicht nachgegangen. Insofern sind die offiziellen Beileidsbekundungen an die Adresse der Familien der Opfer Augenwischerei. Wenn die Fälle schon nicht aufgeklärt werden, müssen die Frauen wenigstens durch konkrete Maßnahmen besser geschützt werden.
Ist der Kampf dieser Frauen nicht aussichtslos, weil traditionelle Rollenvorstellungen so stark in der afghanischen Gesellschaft verwurzelt sind?
Gewiss ist die afghanische Gesellschaft stark durch Traditionen geprägt, wie auch andere Gesellschaften. Aber keine dieser Frauen wollte die Gesellschaft radikal ändern. Sie waren alle sehr angesehen, zwei von ihnen waren gewählte Mitglieder ihrer Provinzräte, Sitara Achakzai aus Kandahar und Hanifa Safi aus Laghman. Sie hatten also die Unterstützung ihrer Mitbürger. Die Menschen in Afghanistan sind durch die Warlords und die bewaffneten Männer eingeschüchtert. Diese werden teilweise auch von der Regierung und der internationalen Gemeinschaft gestützt. Deshalb scheuen die Menschen davor zurück, ihre Vertreter und Führungspersönlichkeiten wie diese Frauen zu schützen. Und deshalb betonen wir in unserem Bericht die Verantwortung des afghanischen Volkes. Die Afghanen stehen in der Verantwortung, ihre Führer zu schützen und Gerechtigkeit zu fordern.
Sie leben derzeit in Großbritannien, reisen aber öfter nach Afghanistan. Spüren Sie die Gefahr bei diesen Reisen in Ihr Heimatland?
Ja. Ich bin mir immer sehr bewusst, welchen Schritt ich tue und welchen Weg ich wähle. Heute morgen habe ich von dem tragischen Verlust einer weiteren Frau aus Laghman gehört, die in einem Autorikscha unterwegs war. Viele Frauen im Osten Afghanistans benutzen solche Autorikschas, ich auch. Ich bin auf diese Realität vorbereitet, wie jede Frau und jedes Mädchen in Afghanistan, die aus dem Haus geht, um zu studieren oder zu arbeiten.