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Netzboom in Afrika

Aya Bach15. Mai 2012

Der Internet-Aktivist und Unternehmensberater Mark Kaigwa aus Kenia glaubt an die digitale Zukunft Afrikas. Ob bei Finanzgeschäften oder sozialen Netzwerken, die Afrikaner seien auf einem guten Weg.

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Ein Afrikaner schreibt am Laptop
Bild: picture alliance/Anka Agency I

Wenn Mark Kaigwa eines nicht mehr ertragen kann, dann ist es das Bild vom notleidenden, rückständigen Afrika. Denn die Realität des kenianischen Internet-Aktivisten sieht anders aus: 620 Millionen Menschen auf dem Kontinent nutzen ein Mobiltelefon, 140 Millionen das Internet. Eine stolze Bilanz. Und seit der Jahrtausendwende hat sich die Internet-Nutzungsrate in Afrika um sagenhafte 3000 Prozent erhöht.

Als sich Mark Kaigwa Anfang Mai auf der Berliner Internet-Konferenz re:publica vorstellte, konnte er sich vor Interview-Anfragen kaum retten. Er war zum ersten Mal hier, das Interesse der Journalisten groß. Enthusiastisch sprach er in seinem Vortrag von "Silicon Savanna", über die digitale Zukunft des Kontinents. Und von Herausforderungen, die viele im deutschen Publikum überraschen. Wer weiß schon in Berlin, wo an jeder Ecke ein Geldautomat steht, wie schwierig es sein kann, Zugang zu Bank-Services zu bekommen?

Porträt Mark Kaigwa auf der internationalen Blogger-Konferenz re:publica in Berlin. Aufnahmedatum: 3. Mai 2012 Fotograf: DW/ Matthias Müller
Mark Kaigwa auf der re:publicaBild: DW

Geldtransfer per SMS

Das betrifft etwa 230 Millionen Menschen in Afrika. Doch das Problem lässt sich inzwischen auf technischem Wege lösen. Dank Mobiltelefon und SMS ist Geldtransfer inzwischen auch an entlegenen Orten möglich – auch für Kunden ohne reguläres Bankkonto. Allein in Kenia profitieren derzeit etwa 15 Millionen Menschen von M-PESA, einem System, das auf erweiterten Funktionen der SIM-Karte beruht. "Wenn ich Geld und ein Mobiltelefon in der Tasche habe, kann ich das Geld überall hinschicken", sagt Mark Kaigwa. In Tansania und Südafrika wurde es ebenfalls eingeführt, weitere Länder sollen folgen. Mehr als eine Milliarde Euro wurden auf diese Weise schon transferiert. "Das hat Ostafrika total verändert", schwärmt Kaigwa. "Das wird die nächsten zehn, zwanzig, hundert Jahre beeinflussen!"

Massai mit traditioneller Kleidung und Mobiltelefon in Kenia
Oft gibt es perfekte 3G-Verbindungen - nur Strom ist nicht überall verfügbarBild: picture-alliance/Ton Koene

Innovativ und kreativ sind auch neu entwickelte Mobil-Services für die Landwirtschaft. "Normalerweise gehen Bauern einzeln irgendwohin und verhandeln die Preise für ihre Produkte", sagt Mark Kaigwa - nicht nur in Kenia, sondern in zahlreichen Ländern des Kontinents. Inzwischen können sie sich mit einem SMS-Service namens M-Farm vernetzen und gemeinsam verhandeln. Oder Informationen über günstige Waren für ihren eigenen Bedarf erhalten – alles per Mobiltelefon. Und ein Service namens iCow hilft bei der Suche nach Tierärzten oder stellt in sogenannten "Edu Videos" Hinweise zur Tierhaltung bereit.

Kampf gegen gefälschte Medikamente

Mit Hilfe moderner Spracherkennungs-Tools sind bestimmte Dienste auch für diejenigen zugänglich, die keine Möglichkeit hatten, Lesen und Schreiben zu lernen. "Kenia ist der beste Ort der Welt für solche Entwicklungen", meint Mark Kaigwa selbstbewusst, aber auch Nigeria und Ghana sind vorne mit dabei. Etwa, wenn es darum geht, gefälschte Medikamente ausfindig zu machen, die in Entwicklungsländern für rund 700.000 Todesfälle im Jahr verantwortlich sind. Das ghanaische Start-Up-Netzwerk mPedigree macht es möglich, auf Medikamentenpackungen aufgedruckte Zifferncodes per SMS zu versenden und so zu verifizieren, ob es sich um ein echtes oder ein gefälschtes Produkt handelt – ein kostenfreies Angebot.

Auch beim Thema Soziale Netzwerke tut sich was: Neben Facebook, das zahlenmäßig noch Spitzenreiter ist, gewinnt der größte afrikanische Anbieter Mxit an Boden. Das Netzwerk wurde "in Afrika geboren, ist in afrikanischem Besitz und wird in Afrika gemacht", sagt Mark Kaigwa – ein starkes Argument, dort aktiv zu werden. Das Angebot: Chatten, Spielen, Geschäfte machen, Freunde und Liebe finden. Zur Zeit nutzen Mxit rund 50 Millionen Menschen weltweit, 10 Millionen allein in Afrika – Tendenz steigend. Für einen Trendsetter wie Mark Kaigwa ist es selbstverständlich, außer Facebook auch Mxit zu nutzen. Aus seiner Sicht nicht zuletzt ein politisches Statement.

Eine Frau in einer Boutique in Liberia mit Laptop und Mobiltelefon / Ahmed Jallanzo model model release
Digitaler Alltag in LiberiaBild: picture alliance/africamediaonline

Innovation und Inspiration

Auch in der Kulturszene spielt das Internet eine immer wichtigere Rolle. Mark Kaigwa selbst zählt beispielsweise zu dem Team, das die Kunst-Website African Digital Art (ADA) betreibt. Deren kenianische Gründerin Jepchumba lebt zwar in den USA, doch von dort aus ist ADA zu einer "Plattform für Innovation und Inspiration" geworden, die Kreative des gesamten afrikanischen Kontinents nutzen. Darüber hinaus betreibt Kaigwa zwei verschiedene Blogs, in denen er die Geschichte afrikanischer Technologie und Innovation genauso erzählt wie persönliche Erfolgsgeschichten afrikanischer Unternehmer.

So enthusiastisch wie er seine Blogs betreibt, kann Mark Kaigwa auch werden, wenn er trockene Zahlen präsentiert. Besonders, wenn er daraus eine optimistische Perspektive für den Kontinent abliest. Statistiken, die zuletzt von der London Business School und der Weltbank veröffentlich wurden, zeigen beispielsweise, dass Mobilfunk und Internet direkten Einfluss auf die Ökonomie Afrikas haben: "Eine Zunahme schneller Internet-Anschlüsse um 10 Prozent", zitiert er stolz, "bringt ein Wirtschaftswachstum von 1,3 Prozent".

Lastwagen und Stromleitungen in Saldanha bay, Südafrika (2008). (ddp images/AP Photo/Schalk van Zuydam)
Stromversorgung: Problem oder Herausforderung?Bild: AP

Die eigene Geschichte erzählen

Für Mark Kaigwa sind solche Zahlen weit mehr als Wirtschaftsdaten. Ihm geht es darum, Mut zu schöpfen, eine neue Geschichte des unterschätzten Kontinents zu schreiben. Damit verbindet sich ein Stück Kultur, ein neues Selbstbewusstsein. Auch um das zu transportieren, ist er nach Berlin gekommen: "Unsere Mission ist es, Afrika auf die Landkarte zu bringen", sagt er – sprich: in den Fokus der Weltöffentlichkeit. "Wenn wir unsere eigene Geschichte nicht erzählen, wer erzählt sie dann für uns?"

Das Netz bietet dafür Chancen, die sich vor kurzem noch niemand erträumt hätte. Allerdings sind noch immer etwa 600 Millionen Menschen auf dem Kontinent ohne Stromversorgung – ein gravierendes Hindernis beim Internet-Zugang. Selbst an Orten mit Mobilfunk-Verbindungen in bester 3G-Qualität gibt es mitunter keinen Strom. Für Mark Kaigwa weniger ein Problem als eine faszinierende Herausforderung, denn die Leitungen seien eigentlich da: "Das ist eine Frage der letzten Meile bis zum Verbraucher", sagt er und strahlt: "Die 90er Jahre waren die Jahre Chinas, 2000 bis 2010 war Indien dran, aber von 2010 bis 2020 wird Afrikas Zeit sein".