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Neue Regierung in Bulgarien

Alexander Andreev29. Mai 2013

Die "Experten-Regierung" unter dem parteilosen Finanzexperten Orescharski wird von den Sozialisten und der Partei der türkischen Minderheit unterstützt. Bulgarien setzt damit auf Stabilität und bekennt sich zur EU.

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Plamen Orescharski, neuer Premierminister in Bulgarien (Foto: Darya Popova-Witzel/DW)
Bild: BGNES

Die Regierungsbildung in Bulgarien war eine schwere Geburt. Denn die vorgezogenen Neuwahlen am 12. Mai brachten keine klaren Machtverhältnisse. Am Mittwoch (29.5.2013) stimmte nun das bulgarische Parlament für das von Sozialisten dominierte Kabinett von Ministerpräsident Plamen Orescharski. Die sozialistische BSP und die Partei der türkischen Minderheit DPS kamen im Parlament zusammen auf 120 Sitze - also genau die Hälfte der Abgeordneten. Um eine Regierung zu bilden, brauchten sie mindestens noch eine Stimme, und die bekamen sie von der vierten im Parlament vertretenen Partei, der populistischen und EU-feindlichen Ataka. Die bis dann alleinregierenden Rechtskonservativen der GERB-Partei hatten zwar die meisten Sitze im Parlament errungen, aber nicht genug für eine Regierungsbildung - und sie hatten keinen Koalitionspartner gefunden.

Die ersten Botschaften der neuen sozialistischen Regierung gehen klar in Richtung Europa. Sie will die politische Stabilität nach den Unruhen im vergangenen Winter wiederherstellen und den strikten Sparkurs fortsetzen. Ministerpräsident Plamen Orescharski, ein ausgewiesener Finanzfachmann und sein enger Vertrauter und Finanzminister Petar Tschobanow stehen für die Finanzstabilität, die Bulgarien in Sachen Staatsverschuldung zum EU-Musterschüler gemacht hat.

Bulgariens neue Regierung (Foto: AFP)
Bulgarien hat eine neue "Technokraten-Regierung"Bild: NIKOLAY DOYCHINOV/AFP/Getty Images

Botschaft an Europa

Einen besonderen Wert legt die neue Regierung auf die Justizreform und den transparenten Umgang mit EU-Geldern. Ein klares Signal ist die Besetzung und die Aufwertung des Justizminister-Postens, sagt der Politikwissenschaftler Daniel Smilov: "Dass die ehemalige Chefin der EU-Vertretung in Sofia, Zinaida Zlatanova, zur Vize-Ministerpräsidentin und Justizministerin, zuständig für die EU-Fonds, gewählt wurde, ist an sich ein Versprechen, dass Bulgarien Vereinbarungen gegenüber der EU einhalten und besser mit den EU-Geldern wirtschaften will.“

Die parteilose Juristin Zlatanova wird sich vorrangig um die Rechtsstaatlichkeit kümmern. Die gewaltigen Probleme in der Justiz und die immer noch grassierende Korruption haben die EU-Kommission dazu bewegt, Bulgarien - gemeinsam mit Rumänien - weiterhin unter Beobachtung zu stellen. Kritisch beäugt werden etwa die politische Einflussnahme auf Staatsanwälte und Richter, die undurchsichtige Vergabe von Staatsaufträgen und die Verteilung von EU-Geldern.

Die Aufdeckung eines Abhörskandals, der die vergangene Regierung erschüttert hatte, wurde zudem zur Chefsache erklärt. Die Staatsanwaltschaft hatte noch vor der Wahl am 12. Mai angekündigt, sie besitze ausreichend Beweismaterial darüber, dass der frühere Innenminister Tsvetan Tsvetanov von der GERB-Partei oppositionelle Politiker massiv abgehört habe. Sollte sich dies bewahrheiten, könnten sowohl Tsvetanov als auch Ex-Premier Bojko Borissow angeklagt werden.

Manche Beobachter befürchten allerdings Racheakte gegenüber den früheren Machthabern. Sogar die Angst vor einer "Hexenjagd" macht die Runde. Der Politologe Parvan Simeonov warnt: "Die Sozialisten werden wohl eine Liste mit allen Vergehen des GERB-Kabinetts anstreben. In der breiten Öffentlichkeit aber wird dies als Revanchismus und Zeitverschwendung empfunden."

Auf die Unterstützung der Populisten angewiesen

Die neue bulgarische Regierung stützt sich auf problematische Mehrheitsverhältnisse. Probleme mit der populistischen Partei Ataka sind vorprogrammiert. Während der Proteste gegen die hohen Energiepreise Anfang des Jahres gab sich die rechtsextremistische Partei globalisierungskritisch und sozial engagiert. Doch für die großen europäischen Parteien in Brüssel und Straßburg ist die Ataka-Partei inakzeptabel.

Das ist auch das größte Dilemma von Sozialisten-Chef Sergei Stanischew, der gleichzeitig Vorsitzender der europäischen Sozialisten ist. Unter anderem deswegen hat er nicht persönlich die Regierungsbildung übernommen - in der Hoffnung, dass der unpolitisch auftretende Orescharski die stillschweigende Unterstützung der Ataka-Partei bekommen wird. Daniel Smilov betont aber, dass es sich doch de facto um eine Koalitionsregierung von BSP und DPS handele, die von Ataka unterstützt wird. Diese Partei sei in einer zwiespältigen Rolle, denn "sie ist eine parlamentarische und sogar Regierungspartei - und gleichzeitig eine Zerstörerin des Parlamentarismus.“

Der frühere Regierungschef in Bulgarien, Bojko Borissow (Foto: AP)
Bis auf weiteres zur Beobachterrolle verdammt: Bulgariens Ex-Premier Bojko BorissowBild: picture-alliance/AP

Widersprüchliche Ziele

Die neue bulgarische Regierung, die mehrheitlich aus Experten besteht, wird sich vor diesem Hintergrund auf keine stabile Mehrheit im Parlament stützen können. Schon allein deswegen wird das Regieren in Bulgarien schwierig werden. Außerdem widersprechen sich die Wahlversprechen des neuen Ministerpräsidenten Orescharski zum Teil erheblich.

So will er zwar sparen und die Finanzen stabilisieren, gleichzeitig aber die Arbeitslosigkeit bekämpfen. Bulgarien ist das ärmste EU-Land, steigende Energiepreise hatten in der Bevölkerung massive Proteste ausgelöst. Daher möchte Orescharski die Energiepreise drücken. Doch dazu wird er wohl den russischen Energieinteressen in Bulgarien Tür und Tor öffnen. Das würde bedeuten, dass er das äußerst umstrittene zweite Atomkraftwerk in Belene, ein russisches Projekt, wiederbeleben müsste - ohne Rücksicht auf Bedenken in der bulgarischen Bevölkerung und in Brüssel.

Der Soziologe Vassil Garnizov glaubt, dass diese Widersprüchlichkeit in der Natur dieser Regierung liegt: "Sie ist weder eine Koalitionsregierung noch rein parteiisch besetzt, und sie steht nicht links, eher in der Mitte, hält sich aber viele rechte politische Optionen offen." Trotz einiger Anhaltspunkte sei sie nicht pro-russisch orientiert, sondern stehe für einen klaren pro-europäischen Kurs, vor allem durch die Ernennung der ehemaligen EU-Vertreterin Zinaida Zlatanova zur Vize-Ministerpäsidentin und Justizministerin. "Daher", so lautet das Fazit Garnizovs, "ist die Regierung gar nicht so schlecht geworden, wie sie hätte sein können."