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Neue Hoffnung für Libyen

Kersten Knipp21. April 2015

Der Tod der aus Libyen kommenden Flüchtlinge im Mittelmeer geht auch auf die anhaltende Gewalt in dem Land zurück. Nun stehen Friedensgespräche vor dem Durchbruch. Das könnte den Auswanderungsdruck mindern.

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UN-Sondergesandter Bernardino Leon im Gespräch mit Vertretern der beiden libyschen Parlamente, 05.03.2015. (AFP / Getty Images)
UN-Sondergesandter Bernardino Leon im Gespräch mit Vertretern der beiden libyschen ParlamenteBild: Fadel Senna/AFP/Getty Images

Nach dem Untergang eines Flüchtlingsschiffes am Wochenende mit etwa 800 Toten reißen die Hilfssignale aus Libyen nicht ab. Am Montag erhielt die italienische Küstenwache gleich mehrere Hilferufe. Eines von einem Schlauchboot mit bis zu 150 Insassen rund 50 Kilometer vor der Küste Libyens. Und ein weiteres von einem etwas größeren Boot mit rund 300 Personen an Bord. Beide waren in Seenot geraten. Die Passagiere dieser Boote reihen sich ein in das Kontingent der täglich bis zu 1000 Menschen, die in diesen Wochen Tag für Tag von Booten der Küstenwache und Handelsschiffen im Mittelmeer gerettet werden.

Die meisten der Flüchtlinge starten ihre Überfahrt von Libyen aus. Seit den Aufständen und der Ermordung von Staatschef Muammar al-Gaddafi im Jahr 2011 hat sich die Sicherheitslage des nordafrikanischen Staates dramatisch verschlechtert. Seit knapp zwei Jahren befindet sich das Land in einem bürgerkriegsähnlichen Zustand.

Das hat zu zwei unterschiedliche Typen von Flüchtlingsströmen geführt. Auf der einen Seite versuchen viele, vor allem junge Libyer, das Land Richtung Europa zu verlassen. Sie sehen in der Heimat zumindest auf absehbare Zeit keine Zukunft mehr für sich. Auf der anderen Seite reisen auch viele Flüchtlinge aus dem südlichen Afrika durch Libyen bis zur Küste. Viele von ihnen kommen über ein Netzwerk dschihadistischer Gruppen, das im Sudan beginnt und sich bis Libyen erstreckt. Dschihadisten und Menschenschmuggler arbeiten Hand in Hand, oft vermischen sich Terrorismus und kommerzielle Fluchthilfe.

Kämpfer der "Libyschen Morgenröte", 18.03.2015 (Foto: Reuters)
Kämpfer der "Libyschen Morgenröte"Bild: Reuters/G. Tomasevic

Friedensgespräche absehbar vor Einigung

Am vergangenen Sonntag nun hat Bernardino Leon, der UN-Sondergesandte für Libyen, eine mögliche Stabilisierung der politischen Lage in Libyen in Aussicht gestellt. Die von ihm begleiteten Friedensgespräche, erklärte Leon, stünden "sehr nahe" vor einer endgültigen Einigung. Sollte sich die Ankündigung bewahrheiten, hätte das auch Folgen für die Flüchtlingsströme durch das Land.

Seit August 2014 bemüht sich Leon, Libyens unterschiedliche politische Akteure an einen Tisch zu bekommen. Vermitteln muss er zwischen den verschiedensten Lagern und Fraktionen. So verfügt das Land derzeit über zwei nationale Parlamente, die einander die Legitimität absprechen. Das eine, der Allgemeine Nationalkongress in der Hauptstadt Tripoli, ging aus dem islamistisch dominierten Parlament hervor. Den Umstand, dass es die Sicherheitslage auch nach zwei Jahren nicht in den Griff bekam, quittierten die libyschen Wähler mit einer deutlichen Antwort: An den Parlamentswahlen im Juni 2014 beteiligten sich nur 15 Prozent der Wahlberechtigten.

Kämpfe um Macht und Einfluss

Das Parlament nahm seine Arbeit anschließend zwar wieder auf, doch sprach ein Teil seiner Mitglieder ihm die Legitimität ab und gründete eine eigene Regierung. Teile des alten Parlaments siedelten darum in die im Osten Libyens gelegene Hafenstadt Tobruk über, wo dessen Arbeit weiter geführt wird. Dieses Parlament wird zwar von den meisten Staaten weiterhin anerkannt. In Libyen selbst aber ist es höchst umstritten. Dies umso mehr, als das Parlament über militärische Kräfte verfügt, die es gegen islamistische Gruppierungen einsetzt. Diese haben sich in dem Bündnis "Fajr Libia" (Libysche Morgenröte") zusammengeschlossen. Deren überwiegend aus den libyschen Stämmen sich rekrutierenden Mitglieder verfolgen keine dschihadistische, wohl aber eine gemäßigt islamistische Agenda. Ihnen geht es nicht so sehr um religiöse Fragen, sondern um Beteiligung an der politischen und ökonomischen Macht. Dabei kämpfen sie auch gegen rivalisierende libysche Gruppen. Allein letzten Freitag kamen bei diesen Kämpfen mindestens 20 Personen ums Leben.

Ein Flüchtlingsboot im Mittelmeer, 30.06.2014 (Foto: Italienische Marine / dpa)
Viele der Bootsflüchtlinge starten von Libyen ausBild: Italienische Marine/dpa

Diese Kämpfe zwischen den Gruppen haben ein Machtvakuum geschaffen, das sich dschihadistische Gruppen wie etwa die Nusra-Front und der "Islamische Staat" (IS) zunutze machen. Letzterer macht immer wieder mit Gräueltaten auf sich aufmerksam – zuletzt durch ein Video, auf dem zu sehen ist, wie IS- Terroristen rund 30 äthiopische Christen ermorden. Diese hatten sich als Gastarbeiter in Libyen aufgehalten.

Arbeit an einer neuen Verfassung

Parallel und ergänzend zu den Friedensverhandlungen tagt seit Mitte 2014 eine Verfassungskommission. Sie wird innerhalb der nächsten vier Monate die Ergebnisse ihrer Arbeit vorlegen. Allerdings, so deren Vorsitzender, der Ökonom Ali Tarhouni, seien viele Punkte noch offen. Der Großteil der Mitglieder spreche sich gegen einen Zentralstaat aus. Allerdings sei noch ungeklärt, wie die föderale Ordnung gestaltet sein soll. Auch andere Fragen, wie etwa nach der direkten oder indirekten Wahl des Staatsoberhaupts, seien noch nicht entschieden. Ebenso sei offen, in welchem Maß die Scharia Grundlage der libyschen Rechtsprechung sein soll.

Schwierige Fragen – umso mehr, als sie in einem den Beratungen wenig förderlichen Umfeld erörtert werden. "Eine Verfassung inmitten eines Kriegs und in einem geteilten Land zu schreiben, ist sehr, sehr schwierig", so Tourani in einem Pressegespräch. "Jeder Standpunkt, jede Region wird berücksichtigt." Das halte die Arbeit natürlich ungemein auf. "Aber noch sind wir intakt, noch stehen wir zusammen."

Ali Tarhouni, der Vorsitzender der libyschen Verfassungskommission, 21.01.2015 (Foto: EPA)
Arbeit an der neuen Verfassung: Ali TarhouniBild: EPA/JEAN-CHRISTOPHE BOTT

Nicht nur in der Verfassung, auch bei den Friedensgesprächen kommt es darauf an, die Standpunkte und Interessen aller beteiligten Parteien zu berücksichtigen und miteinander in Einklang zu bringen. "Es wird darum noch sehr lange dauern, bevor die libysche Krise endgültig gelöst ist", schreibt die panarabische Tageszeitung "Al araby al-jadeed". Doch ist sie gelöst, dürfte das enorme Auswirkungen auf die Stabilität Libyens und damit auch auf die Flüchtlingsströme auf dem Mittelmeer haben. Bis dahin braucht es vor allem aber eines: Geduld.