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Hoffnung inmitten von Trümmern

Anu Singh Choudhary/ch30. April 2015

Die Menschen in Nepal können auch Tage nach dem schweren Erdbeben das Ausmaß der Zerstörungen kaum absehen. Viele haben nur ihr nacktes Leben gerettet. Anu Singh Choudary berichtet aus Kathmandu.

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Mutter mit Kindern im Zeltlager Foto: DW/A.Singh Choudary
Bild: DW/A.Singh Choudary

"Ich wusch gerade die Wäsche. Die Kinder sahen fern. Es war ein ganz normaler Samstag - bis zu diesem schrecklichen Erdbeben. Ich dachte erst, mir sei schwindelig, weil mir davor etwas unwohl gewesen war. Dann hörte ich meinen Mann und die Kinder schreien. Als wir aus dem Haus liefen, hatte das schon einige Risse", erzählt die 40-jährige Dhan Gautam, Mutter von vier Kindern. Alle Häuser der Umgebung stürzten ein.

Janak Singh, ihr früherer Nachbar, stand vor noch größeren Herausforderungen. Seine einzige Tochter Sonu Thapa war hochschwanger und konnte nicht einmal gehen, geschweige denn laufen, um sich in Sicherheit zu bringen. Nachbarn halfen, Sonu zu retten und sie sofort ins Krankenhaus zu bringen. In der Klinik, die mit Tausenden von verletzten Erdbebenopfern überfüllt war, brachte sie in einem provisorisch hergerichteten Kreißsaal eine Tochter zur Welt. Sonu brachte das Baby anschließend "nach Hause", zum Zelt ihres Vaters in einem Auffanglager.

Stumpf eines Turms Foto: DW/A.Singh Choudary
Vom Dharahara-Turm in Kathmandu ist nur noch ein Stumpf übriggebliebenBild: DW/A.Singh Choudary

"Wir dachten, die Zukunft sei sicher"

Rund eine Woche nach dem schwersten Erdbeben in Nepal seit 81 Jahren sind die Menschen immer noch damit beschäftigt, das Ausmaß der Schäden zu ergründen, die materiellen wie die immateriellen.

"Wir haben aufgegeben. Was können wir schon tun außer unser Leben zu retten? Selbst das haben wir nicht im Griff. Vor der Natur sind wir hilflos. Vor einer Woche hatten wir ein Haus und eine Existenz. Wir hatten Freunde und Familien. Wir hatten Ersparnisse und das trügerische Gefühl, die Zukunft sei sicher. Ein Augenblick genügte, und alles hat sich verändert", murmelt Vikas Sharma, bevor er mich abweist: "Ich will nichts mehr sagen. Es gibt nichts zu sagen."

Vikas stand vor seinem Laden in Kathmandu, als der berühmte, mehr als 60 Meter hohe Dharahara-Turm erst wankte und dann einstürzte. Am Tag des Erdbebens hatten mehr als 150 Menschen Eintrittskarten für die Besteigung des Turms gekauft, um den Ausblick auf das Kathmandu-Tal zu genießen. Nur 50 von ihnen kamen lebend wieder heraus. Der Turm begrub auch einige der Läden und Wohnhäuser in seiner Umgebung unter sich. Vikas traf es nicht, auch nicht seinen Laden. Aber das Trauma und die emotionale Last wiegen schwer.

Zerstörte Gebäude, zerstörtes Leben

Dameer, Neta Rai und Usha Pokhra sind Studenten aus dem Bezirk Lalitpur im Kathmandu-Tal. Die drei Freunde haben sich freiwillig zur Verstärkung der Räumtrupps gemeldet, die den Schutt um den Patan Darbar Square in Lalitpur beseitigen. Um den Platz aus dem dritten Jahrhundert herum standen Tempel in vielen verschiedenen Baustilen, er galt als bestes Beispiel für Steinarchitektur in Nepal. Selbst Tage nach dem Erdbeben suchen Bergungsmannschaften mit Spürhunden noch nach Überlebenden in den Trümmern.

Bhaktapur, eine weitere alte Stadt bei Kathmandu, ist schwer verwüstet. Die historischen Ziegelbauten, für die die Stadt berühmt war, haben sich in Schutt verwandelt. Einige der Tempel jedoch sind auf wundersame Weise heil geblieben.

Bhaktapur lag nur rund 50 Kilometer vom Epizentrum des Bebens entfernt. Die zerstörten Dörfer weiter oben in den Bergen bleiben weitgehend unzugänglich, Überlebende können nur mit Hubschraubern ausgeflogen werden. Wie groß das Ausmaß der Zerstörungen dort ist, kann man nur vermuten.

Bergungstrupps inmitten von Trümmern Foto: DW/A.Singh Choudary
Bergungstrupps am Patan Darbar Square in LalitpurBild: DW/A.Singh Choudary

Noch einmal davongekommen

Bhaktapur lebte zu 65 Prozent vom Fremdenverkehr. "Jetzt, wo die ganze Stadt zerstört ist und wir keine berühmten historischen Bauten mehr haben, wissen wir gar nicht, wie es weitergehen soll. Es wird Jahre, wahrscheinlich eine ganze Generation dauern, bis die Wunden verheilt sind", sagt Robin Raya, der als Koch in einem der Restaurants gearbeitet hat. Er hat sowohl sein Haus als auch seinen Arbeitsplatz verloren. Sein einziger Trost ist, dass er sich unverletzt ins Freie retten konnte. Sein Nachbar dagegen wurde verschüttet. Einen Tag später konnte nur noch seine Leiche geborgen werden.

"Wir können froh sein, dass wir mit dem Leben davongekommen sind. Wenn Gott uns das Leben geschenkt hat, wird er uns auch einen Ausweg weisen", zeigt sich Rayas Freund Madhu Sharma zuversichtlicher.

Im Auffanglager in Kathmandu hat unterdessen Sonu beschlossen, ihre Tochter Devi zu nennen, Göttin, die, so sagt Sonu, sie und ihre Familie gerettet habe. Die kleine Devi liegt friedlich auf dem Schoß ihrer Mutter und scheint den Zerstörungen um sie herum keine Beachtung zu schenken. Sie hat ihrer Familie und anderen Menschen um sie herum neuen Grund zum Lächeln gegeben.