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Neue jüdische Zeitung hofft auf junge Leser

Igal Avidan10. Oktober 2005

Das jüdische Leben in Deutschland ist vielfältiger als es häufig dargestellt wird. Genau diese Pluralität will die neue deutschsprachige "Jüdische Zeitung" präsentieren.

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Jüdisches Leben in Deutschland: Die Synagoge in BerlinBild: dpa

Auf 40 Seiten berichtet die Startausgabe vom 1. September 2005 ausführlich über Streitigkeiten in der jüdischen Gemeinde zu Berlin. Sie liefert ein Exklusiv-Interview mit Lech Walesa, eine Analyse über die "Anatomie des Terrors" von Michael Wolfssohn und einen Erfahrungsbericht eines israelischen Arztes im Dienst des saudi-arabischen Königs Fahd. Und im Kulturteil sind die Biographien von Kafka und Canetti, aber auch die des jüdischen Oligarchen Roman Abramowitsch nachzulesen.

Umfassende und seriöse Berichterstattung

Die in den vergangenen 15 Jahren zugereisten etwa 90.000 russisch-jüdischen Zuwanderer stellen heute die Mehrheit in den jüdischen Gemeinden in Deutschland. Die neue überregionale "Jüdische Zeitung" des russisch-jüdischen Verlegers Nicholas Werner soll nun die wöchentlich erscheinende "Jüdische Allgemeine Zeitung" ergänzen. Denn im Unterschied zum offiziellen Organ des Zentralrats der Juden in Deutschland will die neue Monatszeitung wirklich unabhängig sein. Das Blatt will umfassend und seriös über Juden in Deutschland berichten. Zunächst soll es monatlich, später zweiwöchentlich in einer Auflage von 40.000 Exemplaren erscheinen. Der Herausgeber, die Werner Media Group, produziert übrigens noch zwei weitere Zeitungen auf Russisch.

Zu den potenziellen Lesern gehören sowohl jüngere jüdische Immigranten aus der ehemaligen Sowjetunion als auch Deutsche, die sich für jüdische Kultur und Religion interessieren. "Es ist eine unserer Aufgaben, auch junge Leser zu treffen, weil die junge Generation von russischsprachigen Juden keine russischen Zeitungen mehr liest. Sie haben trotzdem Interesse sowohl am Judentum als auch an ost-europäischem Geschehen", sagt Chefredakteur Mikhail Goldberg.

Einsatz für die liberalen Gemeinden

Besonders viel Raum widmet die "Jüdische Zeitung" kleinen liberalen jüdischen Gemeinden, die im Zentralrat der Juden in Deutschland nicht vertreten sind und in der von ihm herausgegebenen "Jüdischen Allgemeinen Zeitung" zu kurz kommen. Als Konkurrenz zu dieser Wochenzeitung sieht man sich zwar offiziell nicht, dennoch zieht die "Jüdische Zeitung" gleich auf Seite eins gegen den Alleinvertretungsanspruch des Zentralrats zu Felde.

Der Vorsitzende einer Gemeinde mit 130 Mitgliedern wird auf rund 350 Zeilen interviewt. Er kritisiert die benachbarte Hamburger Gemeinde, die die Entstehung seiner liberalen Gemeinde Bad Segeberg massiv behindert haben soll. Eine Stellungnahme der angegriffenen Gemeinde bringt die Jüdische Zeitung allerdings nicht.

Trotz der Unabhängigkeit stellt die "Jüdische Zeitung" den Interviewpartnern bewusst keine kritischen Fragen. Wohlwollend werden nicht nur liberale jüdische Persönlichkeiten wie Walter Homolka behandelt, sondern auch orthodoxe Rabbiner wie Joshua Spinner. Er würde das nicht als unkritisch bezeichnen, sagt Goldberg. "Wir versuchen in erster Linie die Zustände darzustellen." Es sei nicht immer die Aufgabe der Zeitung, die Sachen zu bewerten. Das sei eher die Aufgabe der Leser. "Andererseits richten wir uns nicht nur an Juden, sondern an alle, die am jüdischen Leben interessiert sind. Deswegen ist es nicht immer gut, schmutzige Wäsche zu waschen."

Blick über das jüdische Leben hinaus

Auch nichtjüdische Themen finden hier Platz - analysiert werden die "Anatomie des Terrors", die Grundlinien der russischen Außenpolitik, die Polenreise von Angela Merkel und die Produktion eines preiswerten AIDS-Medikaments im Ost-Kongo. Israel wird als ein vielfältiger Staat präsentiert, der mehr zu bieten hat als Sicherheitszäune, Raketenangriffe und zerstörte Cafés.

Wer gern Interviews liest wird hier reichlich bedient: 13 Interviews auf 40 Seiten - von Lech Walesa über Gregor Gysi und Cornelia Pieper bis hin zum israelischen Botschafter Schimon Stein und zum Ex-Vorsitzenden der japanischen "Makuya"-Bewegung. Diese Gruppierung widmet sich dem Alten Testament, dem jüdischen Volk und dem Staat Israel und schwört ihnen ewige Liebe.

Persönlicher Erfolg

Für Chefredakteur Goldberg ist die erste Ausgabe ein kleiner persönlicher Erfolg. Als er 1994 aus Kiew nach Berlin kam, konnte er fast kein Deutsch. Der gelernte Bauingenieur hätte damals nicht zu träumen gewagt, dass er Chefredakteur einer deutschsprachigen Zeitung sein würde.

Ob sich die neue Zeitung etablieren kann, möglicherweise als Sprachrohr der liberalen jüdischen Gemeinden, hängt davon ab, ob die zwei Vollzeit- und zwei Teilzeitredakteure den Anspruch auf Qualität erfüllen können. Dann könnte das Blatt wesentlich zur Integration der russisch-jüdischen Zuwanderer in Deutschland beitragen.