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Neue Puzzle-Teile rund um den Sturz von Ceausescu

Robert Schwartz 15. Dezember 2014

Auch 25 Jahre später herrscht keine Klarheit über die politischen Verstrickungen, die zum Sturz des rumänischen Diktators Ceausescu geführt haben. Arpad Szöczi versucht, neue Informationen darüber zu entschlüsseln.

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Ein Panzer aufständischer Truppen in einer Straße von Bukarest (Dezember 1989)
Ein Panzer aufständischer Truppen in einer Straße von Bukarest (Dezember 1989)Bild: ullstein bild - Reuters

Als 1989 die kommunistischen Diktaturen Mittel- und Osteuropas nacheinander in sich zusammenfielen, schien ein Machthaber für die Ewigkeit vorgesorgt zu haben: der rumänische Partei- und Staatsführer Nicolae Ceausescu. Bereits Anfang der 1970er Jahre hatte er sein Land nach nordkoreanischem Muster umgekrempelt. Alle Schlüsselämter in der Kommunistischen Partei und im Staatsapparat waren mit Familienmitgliedern oder loyalen Genossen aus seinem engsten Umfeld besetzt. Seine Frau Elena war erste stellvertretende Regierungschefin, sein Sohn Nicu sollte "Thronfolger" werden. Die gefürchtete Geheimpolizei Securitate schien allmächtig zu sein, Rumänien war wie zu einem Riesenpanoptikum erstarrt.

Ausländische Radio- und Fernsehsender waren die einzige Möglichkeit für die Rumänen, Informationen über die tatsächlichen Geschehnisse in ihrem Land und die Umwälzungen im kommunistischen "Bruderlager" zu bekommen. Radio Free Europe, Voice of America, BBC und die DW waren offiziell verboten, wurden aber im Verborgenen gehört. Immer öfter wurden in den rumänischsprachigen Programmen dieser Sender Briefe vorgelesen, die von verzweifelten Menschen geschrieben und unter abenteuerlichsten Umständen über die hermetisch geschlossene Landesgrenze - oft von ausländischen Journalisten - in den Westen geschmuggelt worden waren.

"Aus einer religiös motivierten Revolte wurde eine politische"

Einer der wenigen, der im Land selbst die Stimme gegen Ceausescus Politik erhob, war der reformierte Pastor Laszlo Tökes in der westrumänischen Stadt Temeswar (Timisoara). Als Angehöriger der ungarischen Minderheit in Rumänien kritisierte er in seinen Predigten vor allem die sogenannte "Systematisierung" des Landes. Ceausescu hatte vor, rund 7000 Dörfer zerstören zu lassen, um riesige landwirtschaftliche Zentren einzurichten. Die Menschen sollten in Wohnblocks eingepfercht, die materielle und kulturelle Grundlage der Dorfbevölkerung praktisch zerstört werden. Tökes erkannte schnell, dass diese Maßnahme die Existenz der ungarischen Minderheit gefährdet und stellte sich in seinen Predigten offen dagegen. Seine Unzufriedenheit äußerte er auch in einem Interview, dass er zwei kanadischen Journalisten im Geheimen gewährte und das im Sommer 1989 von einem ungarischen TV-Sender ausgestrahlt wurde.

Dieses Interview sorgte für Aufregung in der rumänischen Parteispitze. Das ohnehin historisch vorbelastete Verhältnis zwischen den beiden Nachbarstaaten Rumänien und Ungarn war mehr als angespannt. Ceausescu witterte eine aus Budapest lancierte Verschwörung gegen sich und sein System und ordnete an, Tökes aus Temeswar in ein kleines Dorf zu verbannen. Am 15. Dezember versammelten sich Hunderte von Menschen vor dem Haus des Pastors, um ihn vor dem Zugriff der Securitate zu schützen. Die klaren Solidaritätskundgebungen weiteten sich auf die ganze Stadt aus und führten zum Ausbruch eines landesweiten Aufstands gegen den Diktator. "Aus einer religiös motivierten Revolte wurde eine politische, aus einer ungarischen Angelegenheit eine gesamtrumänische", sagt Radu Preda, Theologieprofessor und Leiter des rumänischen Instituts für Kommunismusforschung IICMER.

Sieben Raketen auf Ungarn gerichtet

Das Interview mit Tökes organisiert hatte der ungarisch-kanadische Journalist und Autor Arpad Szöczi. In seinem Buch "Timisoara - The Real Story Behind the Romanian Revolution" beschreibt Szöczi die Vorgänge rund um Tökes. Die dritte Auflage des Buches, bisher auf Englisch und Ungarisch erschienen, soll jetzt in rumänischer Übersetzung in Temeswar vorgestellt werden und dürfte vor allem in Rumänien für kontroverse Diskussionen sorgen. Nach jahrelanger Recherche in den Archiven des ungarischen und des rumänischen Geheimdienstes hat der Autor brisante Informationen gefunden, die zum ersten Mal an die Öffentlichkeit gelangen: Ceausescu soll seine Armee in West-Rumänien angewiesen haben, Raketen auf Ungarn auszurichten, um bei einer möglichen Intervention aus dem Nachbarstaat zurückzuschlagen.

Nicolae Ceausescu, rumänischer Diktator (Archivbild)
Ceausescu wurde am 25. Dezember hingerichtetBild: picture-alliance/dpa

Szöczi, der zurzeit in Berlin lebt und als TV-Journalist für die DW über diese Geschehnisse berichtet, geht ins Detail: "Diese Information über die Raketen wurde von einem ungarischen Geheimdienst-Offizier notiert und vom damaligen Premierminister Miklos Nemeth bestätigt". Laut ungarischen Geheimdienstberichten soll es sich dabei um sieben Raketen chinesischer Bauart gehandelt haben, die das kommunistische Rumänien über arabische Mittelsmänner gekauft haben soll. Ihr Ziel: das ungarische Kernkraftwerk Paks. Nemeth, von 1988 bis 1990 Ministerpräsident Ungarns und eine der Hauptfiguren des politischen Umbruchs, der zum Fall des Eisernen Vorhangs geführt hat, bestätigte im Gespräch mit Szöczi auch die damalige Befürchtung, dass die Zerstörung des Kernkraftwerks zu einer größeren Katastrophe als jene von Tschernobyl 1986 hätte führen können. Nemeth habe mit der damaligen polnischen Führung und dem sowjetischen Staats- und Parteichef Michail Gorbatschow über Möglichkeiten gesprochen, Ceausescu zu entmachten. Auch habe er Kontakte zu einem rumänischen General, Victor Stanculescu, aufgenommen, der beim Sturz Ceausescus eine Schlüsselrolle gespielt hat.

Agenten des ungarischen Geheimdienstes nach Rumänien geschickt

Die Recherchen des Autors bringen auch weitere Details ans Tageslicht, die von Nemeth bestätigt wurden. So soll der ungarische Geheimdienst 1989 mehrere Dutzend Geheimdienstagenten nach Rumänien geschickt haben, einige davon auch zum Schutz des reformierten Pastors Tökes.

Interessant in diesem Zusammenhang ist auch, dass Szöczi bislang keine diesbezüglichen Informationen im Archiv der Securitate gefunden hat. Insgesamt sei das Vorgehen des rumänischen Geheimdienstes gegen Tökes derart geheim gewesen, dass kaum Notizen darüber geführt wurden. "Kein einziges Wort erscheint über den Angriff vom 2. November 1989 gegen Tökes durch vier maskierte, mit Messern bewaffnete Männer, von denen man ausgehen kann, dass es rumänische Agenten waren", so Szöczi.

Die rumänische Ausgabe des Buches über die Ereignisse wird Arpad Szöczi am 19. Dezember in Temeswar vorstellen - der Stadt, in der vor 25 Jahren die blutige Revolte gegen die kommunistische Diktatur begann. Allein hier starben damals Dutzende Menschen im Kugelhagel der Securitate, landesweit waren es über 1000. Am 22. Dezember 1989 verließen Nicolae Ceasescu und seine Frau Elena fluchtartig Bukarest mit einem Hubschrauber. Noch am selben Tag wurden sie festgenommen und am 25. Dezember nach einem Schauprozess standrechtlich hingerichtet.

Arpad Szöczi vor dem Parlament in Bukarest Archiv 2009
Der Journalist Arpad SzöcziBild: DW/W. Totok