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Neue Route für Migranten nach Europa über Mauretanien

Isaac Kaledzi
12. Juni 2024

Tausende Migranten aus Afrika versuchen, in Booten nach Europa zu kommen. Viele sterben dabei. Die EU versucht, durch immer neue Abkommen die Überfahrten zu stoppen.

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Dunkle, schroffe Felsen ragen ins Meer, obenauf ein helles, defektes Boot. Gelbe Gummistiefel und andere Kleidung liegt verstreut in der Nähe
Mauretanien: Migration über das Meer von Afrika nach Europa endet häufig tödlichBild: QUEILA FERNANDES/REUTERS

Lala ist im Senegal und in Mauretanien aufgewachsen. Dort träumte sie schon lange von einem besseren Leben. Eines Tages hatte sie genug Geld gespart, um eine Piroge zu bezahlen - ein traditionelles Fischerboot, das Menschenhändler für ihre Geschäfte nutzen.

Das kleine Fischerboot sollte sie von der Hauptstadt Nouakchott zu den Kanarischen Inseln in Spanien bringen. Sie freute sich auf eine Zukunft in der Europäischen Union. Doch die Reise erwies sich als tückisch, sagt sie. Im DW-Gespräch erinnert sie sich: "Es waren Menschen aller möglichen Nationalitäten dabei. Malier, Kameruner, Nigerianer, Mauretanier, Senegalesen. Die Polizei selbst kam, um uns an den Strand zu bringen." Die kleinen Boote, die die Migranten an Land bringen, böten jeweils Platz für 20 Personen, sagt Lala. 

Überladene Migrantenboote vor der Küste Mauretaniens

"Nicht alle konnten an Bord gehen, weil wir so viele waren, mehr als 100 Leute. Nur 80 hatten das Glück", sagt sie. "Ich habe Leute gesehen, die fast verrückt geworden sind. Manchmal haben sie miteinander gekämpft. Aber die Kapitäne haben große Messer, sie bedrohen dich und sagen dir, du sollst die Klappe halten, sonst werfen sie dich auf den Strand - und das ist kein Scherz."

Lala schaffte es, an Bord eines der Boote zu kommen. Doch ihre Tortur endete nicht: Das Benzin ging aus. Nach vier Tagen auf See, auf dem das Boot ohne Treibstoff trieb, landeten sie und andere Migranten an einem Strand im Norden Mauretaniens. Dort wurden sie von den Behörden festgehalten. Die Ausländer unter ihnen wurden abgeschoben, aber Lala, die Mauretanierin, kam frei.

Doch ihre Erlebnisse belasten sie immer noch. "Seit ich zurück bin, kann ich nicht schlafen. Wenn ich schlafe, habe ich das Gefühl, immer noch in dem Boot zu sein, das auf dem Meer schaukelt. Wenn ich meine Augen schließe, habe ich das Gefühl, im Meer zu treiben", sagt sie der DW. Lala hat es nicht geschafft, Europa zu erreichen. Die Überfahrt, die sie versuchte, ist eine der gefährlichsten Migrationsrouten der Welt. 

Flüchtlinge per Abkommen stoppen

Im April dieses Jahres gewährte die EU Mauretanien 210 Millionen Euro (226 Millionen US-Dollar) an Hilfe, von denen fast 60 Millionen Euro in die Bekämpfung der illegalen Einwanderung nach Europa investiert werden.

Die setzt sich trotz aller Widrigkeiten fort: Allein zwischen Januar und März dieses Jahres sind insgesamt 12.393 Migranten auf der spanischen Inselgruppe der Kanaren an Land gegangen. Im gleichen Zeitraum des vergangenen Jahres kamen nur 2178 Migranten auf den Kanarischen Inseln an. Über 80 Prozent der Boote, die die Migranten transportierten, kamen aus Mauretanien oder durchquerten dessen Gewässer. Die EU bemüht sich um Vereinbarungen mit Ländern wie Tunesien und Niger, die in der Vergangenheit dazu beigetragen haben, einige dieser Überfahrten der Migranten zu stoppen.

Darüber hinaus nehmen viele Migranten, vor allem aus der zentralen Sahelzone und dem Golf von Guinea, Nouadhibou im Nordwesten Mauretaniens ins Visier. Dadurch wird die Stadt zu einem Knotenpunkt der Migrationsströme und zu einer Transitstadt mit 140.000 Einwohnern und etwa 30.000 Migranten.

Ein grün-weißes Boot mit afrikanischen Migranten erreicht ein Pier im Hafen von El Hierro
El Hierro: Die Kanarischen Inseln sind ein begehrtes Ziel für afrikanische BootsflüchtlingeBild: Europa Press/AP/picture alliance

Gefährliche Seereise nach Europa

Ali, ein Fischer, weiß nur zu gut, wie diese illegalen Wanderungen ablaufen. Er hat gesehen, wie sich die Hoffnungsvollen und die Verzweifelten nachts auf den Weg gemacht haben. Fünfzig Migranten, die sich in ein Fischerboot zwängen, das für eine sechsköpfige Besatzung ausgelegt ist, so beschreibt es Ali im DW-Interview.

Auf seinem Handy zeigt er Bilder von Migranten, die bei dem Versuch, die Küsten der EU zu erreichen, gestorben sind. "Jemand hat mir dieses Foto einer toten Person geschickt. Das sind Leichen. Schauen Sie, hier ist ein kleines Baby", beschreibt er die Bilder.

Der Hafen von Nouadhibou ist zu einem Zentrum des Handels mit diesen traditionellen Fischerbooten für Menschenhändler geworden. Aber ein Schmuggler, der seine Identität nicht preisgeben wollte, sagte: "Man kann eine Menge Leute in diese Fischerboote setzen. Für diese Art von Piroge gibt es Kontrollen, um zu sehen, ob sie zum Fischen fahren - oder für etwas anderes vorgesehen sind", so der Schmuggler.

Afrikanische Flüchtlinge sitzen auf der Mole im Hafen auf Gran Canaria, im Hintergrund ein blaues Zelt
Ankunft von afrikanischen Flüchtlingen in Gran Canaria: Die Migrationsroute zu den Kanarischen Insel ist beliebt und lebensgefährlichBild: Borja Suarez/REUTERS

EU "braucht freundlichere Migrationspolitik"

Europa müsse seine Migrationspolitik überarbeiten, um sie freundlicher für junge Afrikaner zu gestalten, sagt der Migrationsanalyst Tumenta Kennedy im DW-Interview:. "Sie wählen derzeit gefährliche Wege nach Europa." Es sei ein Albtraum, nach Deutschland, Frankreich oder Belgien zu kommen, um dort zu studieren. Dabei gehe es nicht etwa darum, abgewiesen zu werden, sondern es sei ein Albtraum, einen Termin bei Botschaften zu bekommen, um überhaupt erst die Chance auf ein Gespräche zu bekommen.  

Tausende von Migranten kommen weiterhin in Mauretanien an, in der Hoffnung, die Reise trotz der Kontrollen fortsetzen zu können. Mohamed, ein gelernter Schweißer, ist im Hafen von Nouadhibou mit einem einzigen Ziel angekommen - Europa zu erreichen.

Als Tagelöhner verdient er umgerechnet zehn Euro pro Tag, die er für Essen, Wasser und eine Unterkunft ausgibt. "Sie haben die Menschen hier gesehen, alle suchen Arbeit. Das ist nicht leicht. Morgens und abends kommen wir und arbeiten überall. Wir verdienen nichts. Ich bin seit zwei Monaten hier", sagt er der DW.

Lala ergeht es nicht besser. Trotz der riesigen Geldsummen und der Erinnerungen an die missglückte Überfahrt, die sie in ihre Träume verfolgen, ist sie fest entschlossen, es wieder zu versuchen. Sie würde es alles noch einmal tun, um nach Europa zu gelangen. Denn dort, so hofft sie, könne sie ihren Lebensunterhalt verdienen.