Neue Wege bei Cannabis
26. Juni 2021Es war die letzte Anhörung im Gesundheitsausschuss des Bundestags vor der Wahl im September. Aber nein: Um Corona ging es nicht. Diskutiert wurde am Montag über Cannabis. Die Fachpolitiker der Parteien und die zugeschalteten Sachverständigen beschäftigten sich nicht zum ersten Mal in diesem Jahr mit Vorschlägen für eine andere Drogenpolitik.
Diesmal wurde über einen Antrag der FDP-Fraktion debattiert, über eine kontrollierte legale Abgabe von "Cannabis zu Genusszwecken" an Erwachsene, wie sie die Liberalen in dem Antrag fordern. Und die angesichts des weltweit wachsenden Bedarfs an Medizinal- und Genusshanf sogar "Cannabis made in Germany" als potenziellen Exportartikel im Blick haben.
Das Beispiel zeigt: Es kommt Bewegung in die Debatte um den Umgang mit illegalen Drogen, speziell mit Cannabis. Weil ein halbes Jahrhundert "Krieg gegen Drogen" weder die Nachfrage noch das Angebot in irgendeiner Form reduziert hat. Selbst die Corona-Pandemie hat dem florierenden Schwarzmarkt nichts anhaben können. Das geht aus dem Mitte Juni veröffentlichten Bericht der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht, EMCDDA, hervor. Trotz Lockdowns und Grenzkontrollen "war der europäische Drogenmarkt Anfang 2020 durch die breite Verfügbarkeit eines vielfältigen Spektrums von Drogen mit zunehmender Reinheit oder Wirkstoffgehalt gekennzeichnet", beschreiben die Autoren die Lage.
Volksdroge Cannabis
Auf rund 30 Milliarden Euro wird der Umsatz illegaler Drogen in Europa geschätzt. Und wie im Rest der Welt ist auch in Europa Cannabis die mit weitem Abstand am meisten verbreitete illegale Droge. Allen Verboten zum Trotz haben EMCDDA-Zahlen zufolge fast 30 Prozent der erwachsenen Europäer in ihrem Leben mindestens einmal zum Joint oder Pfeifchen gegriffen. Auch in Deutschland hat mehr als ein Viertel zwischen 15 und 64 Jahren schon einmal gekifft. Cannabis scheint in der Gesellschaft nicht nur angekommen, sondern fest verankert.
Deshalb stellen nicht mehr allein Strafrechtler, Kriminologen, Polizisten und Sozialarbeiter die Verbotspolitik in Frage. Auch in der Politik wird vermehrt darüber gestritten, ob Polizei und Staatsanwaltschaft die geeigneten Instrumente sind, um die Gesundheit der Menschen zu schützen. Die Diskussion wird befeuert von einem internationalem Trend: In mehr als einem Viertel der US-Bundesstaaten können Erwachsene sich mittlerweile legal mit dem begehrten Stoff eindecken. Ebenso in Kanada und Uruguay. Im deutschen Bundestag setzen sich mittlerweile vier der sechs vertretenen Parteien für ein Ende der Prohibition ein.
Suche nach neuen Wegen
Bei allen Unterschieden im Detail: Sowohl Grüne wie FDP, die Linke und auch die SPD erklären die derzeitige auf Verboten basierende Drogenpolitik für gescheitert. Sie alle plädieren für neue Wege zwischen den Polen Legalisierung, Entkriminalisierung, Regulierung. Wieland Schinnenburg, drogenpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion, spricht im DW-Interview von rund vier Millionen regelmäßigen Cannabis-Konsumenten in Deutschland. Die überlasse man dem Schwarzmarkt, kritisiert Schinnenburg. Dort erhielten sie völlig ungesicherte Qualität. Außerdem entgehe dem Staat sehr viel Geld, bemängelt der Liberale weiter. "Wenn man das offiziell verkaufen würde, würde der Staat auch Steuern einnehmen, die man sehr gut ausgeben könnte für Prävention und Therapie."
Dass da große Summen zusammenkommen könnten, hatte 2018 der Düsseldorfer Wirtschaftswissenschaftler Justus Haucap in einer Studie errechnet. Den kombinierten Effekt von Einsparungen bei der Polizei und Justiz einerseits und Steuereinnahmen andererseits hatte Haucap auf 2,6 Milliarden Euro beziffert.
Die Grünen haben als einzige Partei bislang einen umfassenden Gesetzentwurf vorgelegt. Das "Cannabiskontrollgesetz" setzt auf die kontrollierte Abgabe von Cannabis an Erwachsene in speziellen Fachgeschäften. Damit sollen der Schwarzmarkt ausgetrocknet, der Jugendschutz gewährleistet, Polizei und Justiz entlastet und Steuern für Prävention und Behandlung eingenommen werden. Der Bundestag lehnte den Gesetzentwurf im vergangenen Oktober allerdings ab.
Kriminalisierte Konsumenten
Als "überfällig" bezeichnet Heino Stöver die neuen Impulse in der Drogenpolitik. Der Frankfurter Sozialwissenschaftler ist in diesem Jahr schon mehrfach als Sachverständiger im Gesundheitsausschuss aufgetreten.
Stöver verweist gegenüber der DW auf die hohe Zahl polizeilich erfasster Fälle: "Wir haben ein Allzeithoch mit über 358.000 sogenannten Rauschgift-Delikten." Davon aber seien fast vier Fünftel sogenannte konsumnahe Delikte. Soll heißen: Ein Kiffer ist mit wenigen Gramm Marihuana, ein Heroin-Abhängiger mit seiner Tagesdosis erwischt worden. Der Effekt: Harmlose Konsumenten werden kriminalisiert - oft mit schwerwiegenden Folgen für Arbeit, Ausbildung und Umfeld; gleichzeitig werden Polizei und Justiz mit irrelevanten Fällen überfrachtet.
Dazu kommen die Gefahren des Schwarzmarktes und der nicht geprüften Stoffqualität. Der Europäische Drogenbericht hält schockierende Beispiele bereit: Drogengangster hatten Marihuana minderer Qualität mit hochgefährlichen synthetischen Cannabinoiden versetzt. In Ungarn starben im Sommer 2020 dadurch mehr als 20 Menschen. Von natürlichem Cannabis sind trotz der weiten Verbreitung keinerlei Todesfälle bekannt.
Heino Stöver vergleicht die Lage auf dem Schwarzmarkt mit einem Regal für alkoholische Getränke im Supermarkt. Mit einem bedeutenden Unterschied: Keine der Flaschen hat ein Etikett. "Wir können vielleicht anhand der Flaschenform oder der Farbe des Liquids ahnen, was drin ist. Aber im Grunde ist das ein Griff in die Wundertüte. Schlimmere Bedingungen kann man sich gar nicht vorstellen."
Eine drogenfreie, abstinente Gesellschaft ist für den Sozialwissenschaftler eine Fiktion. "Die Mehrheit der Gesellschaft will das auch gar nicht", so Stövers Einschätzung mit Blick auf die Genuss- und Lustseite von Drogen. Und erinnert daran, dass es in der Menschheitsgeschichte nur wenige Kulturen gab, die ohne Drogen ausgekommen sind.
Die Drogenbeauftragte bewegt sich - ein wenig
Inzwischen gibt sich auch die Drogenbeauftragte der Bundesregierung nachdenklich. Daniela Ludwig sprach sich zwar Mitte Juni gegenüber dem Südwestrundfunk klar gegen jede Legalisierung von Cannabis aus - und führte dabei vor allem den Schutz der Jugend an. Aber die CSU-Politikerin erkannte zugleich an, dass "die strafrechtliche Keule nicht angemessen ist, für jemanden, der das erste Mal mit Cannabis aufgegriffen wird". Angeregt vom Vorbild Portugal sagte Ludwig: "Entkriminalisierung, raus aus dem Strafrecht, rein in die Ordnungswidrigkeit. Das wäre für mich ein Weg, wenn wir das koppeln mit einer verpflichtenden Beratung." Auf diesem Weg scheint ihr die Gesamtpartei bislang nicht folgen zu wollen. Auf den 140 Seiten des Wahlprogramms von CDU und CSU findet sich der Begriff "Cannabis" kein einziges Mal.
Der CDU-Bundestagsabgeordnete Erwin Rüddel sieht in seiner Partei noch viele Vorurteile, was den Umgang mit Cannabis angeht. Der Vorsitzende des Gesundheitsausschusses im Bundestag hatte sich offen für Modellprojekte zur Legalisierung von Cannabis in kleinen Mengen bekannt. 2018 war das. "Wenn ich das zwei, drei Jahre früher gemacht hätte, wäre mir aus meiner eigenen Partei mehr Widerstand entgegen geschlagen", beschreibt Rüddel im Telefoninterview eine "gewisse Öffnung" für das in Unionskreisen früher "eher verpönte" Thema Cannabis.
Wenn nach der Bundestagswahl im Herbst Koalitionsverhandlungen geführt werden, wird auch die Drogenpolitik eine Rolle spielen. Damit rechnen gegenüber der DW nicht nur Rüddel, sondern auch der FDP-Abgeordnete Schinnenburg und der drogenpolitische Sprecher der SPD, Dirk Heidenblut.
Vielleicht deshalb beendet der Vorsitzende Rüddel die Legalisierungs-Anhörung im Gesundheitsausschuss am Montag mit den Worten: "Ich gehe davon aus, dass uns das Thema auch in der nächsten Wahlperiode erhalten bleiben wird."