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Neue Wege in die weiße Isolation

Andreas Spaeth Kapstadt
10. April 2020

Die Antarktis ist der einzige Kontinent ohne Corona - weil es dorthin (noch) keine regelmäßigen Verkehrsverbindungen gibt. Wird das so bleiben? Für Touristen wird die Antarktis nämlich immer reizvoller.

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Luftfahrt in der Antarktis
Bild: DW/F. Reimann

Ohne Pistenraupen geht auf der Novo Airbase gar nichts. Es geht hier nicht um eine alpine Skipiste, sondern um lebenswichtige Infrastruktur. Denn nichts anderes ist die 3300 Meter lange Start- und Landebahn aus blauem Gletschereis in der Nordost-Antarktis. Ihre eisige Oberfläche muss vor jeder Flugzeuglandung von Pistenbullys aufgeraut werden, damit hier die großen Frachtflugzeuge russischer Bauart aus Kapstadt kommend landen können. Und zwar normal auf den Rädern ihres Fahrwerks, nicht mit an ihrer Stelle installierten Skikufen wie bei speziellen Polarflugzeugen.

Betonierte feste Landebahnen gibt es bisher keine einzige auf dem eisigen Kontinent, wo allerdings der Klimawandel immer spürbarer wird. Die erstmals bereits 1961 von den Sowjets herausgefräste Eispiste der Novo Airbase, in ihrer heutigen Form in Betrieb seit 2001, ist deshalb eines der wichtigsten der wenigen Einfallstore aus der Zivilisation auf diesen Kontinent der Superlative am südlichen Ende der Weltkugel.

Kein Sehnsuchtsort bei minus 40 Grad

Die Antarktis ist der höchstgelegene, trockenste, kälteste und einsamste Kontinent der Welt, hier gibt es keine Einheimischen. Nur etwa 4000 Menschen leben hier im antarktischen Sommer auf etwa 66 Forschungsstationen, Wissenschaftler und Betriebspersonal im Dienste von 42 Staaten, die den Antarktis-Vertrag unterzeichnet haben, der besagt, dass die Antarktis niemandem gehört und niemand Bodenschätze abbauen oder Militär stationieren darf, dafür aber alle zur Forschung eingeladen sind.

Eine russische Iljuschinn-76 auf der Eispiste in Novo Airbase
Eine russische Iljuschinn-76 auf der Eispiste in Novo AirbaseBild: DW/F. Reimann

Im Moment herrscht in der Südpolarregion gerade Winter, da sind nur etwa 37 permanent betriebene Stationen besetzt, insgesamt etwa Tausend Überwinterer harren in der täglich fast 24 Stunden andauernden Polarnacht und bei bis zu minus 40 Grad Celsius Kälte aus. Sie müssen bis mindestens Oktober oder sogar bis November auf Posten bleiben - denn jetzt im Polarwinter gibt es weder Flug- noch Schiffsverbindungen mit dem Rest der Menschheit.

Was gerade ein Vorteil sein mag - die Antarktis, flächenmäßig größer als Europa, ist nach allem, was bekannt ist, der einzige Kontinent ohne bekannten Corona-Fall. Denn der anderswo jeden Winkel erreichende Luftverkehr einer eng vernetzten Welt hat in Windeseile zur globalen Ausbreitung der Pandemie geführt. Das lässt die Frage nach der künftigen Anbindung der Antarktis in ganz neuem Licht erscheinen.

Luxustrip für 92.500 Dollar

Denn die ist bis heute immer noch rudimentär - 109 Jahre, nachdem Roald Amundsen als erster Mensch 1911 den geographischen Südpol erreichte. Neben den Anstrengungen der Wissenschaft rückt auch der Antarktis-Tourismus stärker in den Vordergrund. Nach den letzten verfügbaren Zahlen war der Zustrom in der Saison 2017/18 um 17 Prozent auf fast 52.000 Besucher gestiegen, fast alle kamen per Schiff. Gerade mal 580 Touristen ließen sich per Flugzeug an Camps auf dem antarktischen Festland absetzen. Erstmals landeten zuletzt besonders Wohlhabende aus China mit luxuriösen Gulfstream G550 Business-Jets aus Kapstadt auf einer privaten Eispiste in der Ostantarktis. Tagestrips sind für 13.500 US-Dollar buchbar, ein Sechstagesprogramm inklusive Landung am Südpol für 92.500 US-Dollar pro Person.

Nicht allein im Eis: Neben der Iljuschin stehen noch andere Maschinen bereit
Nicht allein im Eis: Neben der Iljuschin stehen noch andere Maschinen bereitBild: DW/F. Reimann

Auch für einen Großteil der europäischen Forschungsstationen läuft der Austausch von Personal und die Lieferung von frischen Lebensmitteln und eiligen Gütern über Kapstadt. Ein- bis zweimal wöchentlich fliegt zwischen Mitte November und Anfang März eine vierstrahliges russisches Transportflugzeug des Typs Iljuschin Il-76 in gut fünf Stunden die 4200 Kilometer zur Eispiste der Novo Airbase in unmittelbarer Nähe der russischen Station Novolazarevskaya. Bis zu 80 Passagiere und 20 Tonnen Fracht befördert die vom Internationalen Antarktis-Logistik Center (ALCI) betriebene Lebensader in die Südpolarregion auf einem einzigen Flug.

Isländische Flugerfahrungen

Die Reise ist kein Spaziergang: Die ursprünglich für die Rote Armee konzipierten Iljuschins bieten Forschern (und vereinzelt auf Restplätzen mitfliegenden Touristen) lediglich stoffbespannte Klappsitze an den Seitenwänden der fensterlosen Kabine, dazwischen verzurrt die Fracht. Die vier Triebwerke erzeugen einen Höllenlärm, der für die meisten nur mit Ohrstöpseln erträglich ist. Von Novo Airbase, wo in der Saison permanent bis zu 70 Menschen in Containern und Zelten leben, werden Passagiere und Fracht mit kanadischen Propellerflugzeugen der Typen Twin Otter und Basler BT-67 (umgebaute DC-3 aus den 1940er Jahren) zu den einzelnen Stationen befördert.

Frisches Essen und Post von daheim: Entladung einer Frachtmaschine
Frisches Essen und Post von daheim: Entladung einer FrachtmaschineBild: DW/F. Reimann

Doch inzwischen gewinnen gewöhnliche Passagierjets auch als Transportmöglichkeit in die Antarktis an Bedeutung, die wesentlich wirtschaftlicher einsetzbar sind als die russischen Transport-Ungetüme. Bereits 2015 bewiesen die Arktis-erprobten Pioniere der Icelandair-Gruppe aus Island, dass man mit einer Boeing 757 aus dem normalen Liniendienst auch problemlos in die Antarktis zu einer Eispiste fliegen kann. "Die 757 ist exzellent für Missionen wie diese und verhält sich wunderbar auch auf kürzeren Pisten", berichtete der isländische Pilot August Håkansson nach einem Testflug. "Wir können sogar hin und zurück fliegen ohne in der Antarktis auftanken zu müssen. Die Piste war ein bisschen uneben, aber insgesamt völlig im Rahmen dessen was eine 757 leisten kann", so Håkansson.

Klimawandel: Kommt jetzt eine Betonpiste?

Natürlich ist das Wetter beim Flugbetrieb in die Antarktis ein entscheidender Faktor, zumal die Bedingungen innerhalb kürzester Zeit ins Extreme umschlagen können. Da es nirgends auf den bisher 21 eisigen Flugfeldern des Kontinents technische Hilfen wie Instrumenten-Landesysteme gibt können Piloten nur auf Sicht fliegen. "Wir müssen aus 20 bis 30 Kilometer Entfernung und über 2000 Meter Höhe bereits die Piste sehen können", weiß der Isländer. Und für alle Fälle gibt es umfangreiche Notfallausrüstung an Bord wie Schlafsäcke, Zelte und Notfallrationen an Lebensmitteln. Inzwischen wagen sich immer wieder Boeing 757 ins Eis, so etwa 2019 mit Marathonläufern an Bord, die dann stundenlang entlang der Eispiste von Novo rannten. In diesem Jahr konnte die 757 wegen Wetterproblemen nicht fliegen - die Läufer mussten schließlich auf die russische Iljuschin ausweichen.

Unterdessen reifen in Australien Pläne, in der Antarktis den ersten richtigen Flughafen mit Betonpiste zu bauen auf eisfreiem Terrain nahe der australischen Davis Station in der Ostantarktis. Denn den Australiern macht der Klimawandel besonders zu schaffen, vor allem auf ihrer bestehenden Eispiste Wilkins Aerodrome in der Südost-Antarktis. Obwohl die Eisdecke hier bis zu 500 Meter dick ist, muss die Start- und Landebahn im antarktischen Hochsommer bei Temperaturen inzwischen deutlich über den Gefrierpunkt im Januar/Februar bis zu sechs Wochen gesperrt werden, weil sie dann antaut und nicht mehr fest genug ist. Australien setzt als einziges Land regulär ein Verkehrsflugzeug des Typs Airbus A319 für Versorgungsflüge in die Südpolarregion ein.

Es geht aber auch in klein: Eine Basler BT 67 fliegt für die Forscher des Alfred-Wegener-Instituts
Es geht aber auch in klein: Eine Basler BT 67 fliegt für die Forscher des Alfred-Wegener-InstitutsBild: Alfred-Wegener-Institut /M. Fischer

Die geplante 2,7 Kilometer lange Betonpiste nahe der Davis Station würde ein Drehkreuz auch für Stationen Chinas, Russlands, Indiens und Japans sein. Das Ganze ist allerdings extrem aufwändig, denn über viele Jahre müssten Schiffe insgesamt 11.500 vorproduzierte Betonplatten von jeweils zehn Tonnen Gewicht heranschaffen. Früheste Eröffnung wäre daher 2040. Aber Umweltschützer protestieren dagegen und der australische Luftfahrtexperte Steve Creedy sagt: "Ich kann mir unter den gegenwärtigen Umständen nicht vorstellen, dass die australische Regierung in nächster Zeit Geld für eine Piste in der Antarktis ausgibt."

So könnte die Antarktis noch länger ihre relative Isolation behalten.