Neue Weichen für die Bahn
5. Juli 2019Die Deutsche Bahn will nicht länger den Anschluss verpassen und investiert darum in diesem Jahr fast elf Milliarden Euro in die Infrastruktur. Neben der Modernisierung von 650 Bahnhöfen und der Erneuerung von 300 Brücken fließt viel Geld für neue Schienen und Weichen ins Netz der Bahn. Insgesamt geht es um 1500 Kilometer Gleise und 1500 neue Weichen. Weichen, zumal in dieser Stückzahl, gibt es nicht von der Stange. Sie müssen für die Anforderungen auf unterschiedlichsten Strecken exakt zugeschnitten werden und extremen Beanspruchungen von bis zu 120.000 Tonnen Last pro Tag Stand halten. Die dafür geforderte Qualität liefert ein Unternehmen unter dem Dach der Bahn - das Werk Oberbaustoffe in Witten in Nordrhein-Westfalen.
Mit 33.400 Kilometern ist das Schienennetz der Deutschen Bahn das meist frequentierte in Europa. Und damit der Verkehr auf der Schiene geregelt fließen kann, braucht es eine entsprechende Anzahl von Weichen. "Es liegen rund 67.000 Weichen im Netz und wir sind hier praktisch das Werk, das die Weichen herstellt." sagt Werksleiter Holger Schwarz. Hergestellt werden in Witten aber nicht nur Weichen, "sondern auch die Hauptkomponenten wie Herzstücke, Zungenvorrichtungen und Radlenker, die in der Weiche liegen." Die jährliche Produktion des Wittener Werkes liegt bei 1400 Weichen, 2700 Herzstücken und ca. 4500 Radlenkern. Rechnet man diese Stückzahlen ins bearbeitete Rohmetarial um, dann stehen unter dem Strich 40.000 Tonnen Stahl, die verarbeitet werden.
24/7 Dreischichtenbetrieb
Holger Schwarz beziffert den Jahresumsatz auf etwa 220 Millionen Euro. 550 Mitarbeiter beschäftigt das Werk, wobei 100 am Standort im bayerischen Schwandorf die für den Einbau im Gleisnetz benötigten Bahnschwellen herstellen. Um den aktuellen Nachschub auch in diesem Jahr liefern zu können, wird in Witten im Dreischichtenbetrieb rund um die Uhr gearbeitet. An 365 Tagen im Jahr. "Wir sind so aufgestellt, dass wir für alle wichtigen Strecken Material vorliegen haben. Und wir können bundesweit innerhalb von 24 Stunden ausliefern", versichert Werksleiter Schwarz. Durch Optimierung der Produktionsprozesse konnte man außerdem die Durchlaufzeit bei der Herstellung der Herzstücke für Weichen um ein Fünftel verkürzen, so dass man auch mehr Menge für die Bedarfsspitze bereit stellen könne.
Weiche sei im Übrigen nicht gleich Weiche, erläutert Diplom-Ingenieur Michael Niesporek beim Gang durch die weitläufige Fertigungshalle. "Es gibt eine Weiche, die besteht aus zehn Komponenten. Und es gibt große Weichen, die bestehen aus bis zu 50 Komponenten. Da gibt es verschiedene Bauformen." Das Kernstück einer Weiche, das sogenannte Herzstück, ist der nicht bewegliche Teil in der Mitte, wo die Schienen getrennt werden. Hinzukommen als bewegliche Teile die Zungenvorrichtungen.
Jede Weiche, sagt Fertigungsleiter Niesporek, wird im Wittener Werk neu konstruiert. "Da wird ein Verlegeplan gemacht. Das heißt: wie liegt die Weiche draußen im Gleis. Und eine Weichenskizze, wie sieht das genau aus." Nach diesen Vorgaben werden die georderten Weichen auf den Zehntelmillimeter genau hergestellt. Ein entscheidendes Kriterium ist dabei der Radius einer Weiche im Schienenverlauf und ob es sich um eine Kreuzungs- oder um eine doppelte Kreuzungsweiche handelt. Für eine "normale" Weiche veranschlagt Michael Niesporek ungefähr 50 Fertigungsstunden, für eine große doppelte Kreuzungsweiche braucht es allerdings 500 Fertigungsstunden.
Weichen für rasante Strecken
Gerade bei Weichen für Hochgeschwindigkeitsstrecken gleicht keines der Herzstücke einem anderen, bedingt durch den jeweiligen Radius im Streckenabschnitt, erläutert Fertigungsleiter Niesporek. "Wir bauen hier Weichen für Radien von 190 bis zu 2500 Metern." Solche Weichen, wie etwa auf der Neubaustrecke zwischen Köln und Frankfurt, sind für Geschwindigkeiten bis zu 300 Stundenkilometern ausgelegt. Entsprechend gestählt sind die dafür produzierten Herzstücke, die in der Härteanlage für eine Stunde auf 1000 Grad erhitzt werden, so dass die Schweißnähte mit dem Material verschmelzen. "Selbst extreme Hitze an heißen Sommertagen kann diesen Gleisstücken nichts anhaben."
Verarbeitet wird im Werk der Bahn ein ganz spezieller Stahl. Dieser sogenannte Bainite-Stahl, an dessen Entwicklung auch Experten des Wittener Werks mitgewirkt haben, bleibt bei Schweiß- und Biegeprozessen formbar. Später, im Gleisbett, erweist er sich trotz höchster Belastung als extrem widerstandsfähig. In der Montagehalle der Herzstücke für Hochgeschwindigkeitsstrecken erläutert Michael Niesporek das an einem Beispiel. "Im Unterschied zu anderen Herzstücken ist diese Spitze vorne nicht starr eingebaut, sondern beweglich und wird von einem Stellmotor von rechts nach links gezogen. Aus Sicherheitsgründen müssen wir diese Herzstücke bei Geschwindigkeiten ab 160 Stundenkilometern einbauen. Das sind echte Einzelanfertigungen."
Bei der Erneuerung des Schienennetzes liegt das Oberbauwerk in Witten im Zeitplan. Die Bahn kommt, lautete einmal ein Werbeslogan der Deutschen Bahn. Die Weichen aus Witten können dazu beitragen, dass die Bahn letztendlich auch wieder pünktlicher kommt.