Neuer Boom bei Do it yourself
30. Januar 2017Scherenschnitte mochte sie schon als Kind. Heute arbeitet sich Tonda Freywald mit der Stichsäge durch das Birkenholz. Die Künstlerin macht ihre Einrichtung selbst, nach eigenem Entwurf. "Mir ist die Stichsäge inzwischen am Arm festgewachsen", scherzt sie. Bis Herbst soll ihre kleine Wohnung ein Gesamtkunstwerk unter dem Namen "Atelier Brot und Gold" werden. Dabei musste die Kunstpädagogin und Tänzerin das Schreinern in der Offenen Werkstatt erst lernen. Jede Woche kommt sie ins Bonner Haus Müllestumpe, wo sie die Maschinen kostenlos nutzen kann.
Im Raum daneben werden Fahrräder zusammengeschraubt, Elektronikgeräte in verschiedenen Stadien der Auflösung liegen herum. Im Nähtreff rattern die Maschinen. Hier kommen Leute, die wie Tonda Freywald etwas Einmaliges herstellen wollen. Und auch solche, die vielleicht noch Brauchbares nicht gern wegwerfen. Einmal monatlich wird ein Repair Café veranstaltet. Man bringt den kaputten Videorecorder, den verendeten Staubsauger, den wackligen Hocker mit und versucht sie unter Anleitung und bei Kaffee und Kuchen zu reparieren. "Die Besucher sollen die Scheu vor der Technik verlieren", sagt der Mitinitiator Ulrich Buchholz. Sicher, manches Gerät sei so hergestellt, dass es sich gar nicht reparieren lässt. "Das diskutieren wir im Dachverband der Offenen Werkstätten, auch mit Wirtschaftsvertretern". Was nicht zu retten ist, muss noch lange nicht auf den Müll. Aus Elektronikschrott wird beispielsweise Schmuck, aus ausgedienten Fahrradschläuchen werden Gürtel oder Armbänder.
Anders wirtschaften
Allein in Bonn gibt es inzwischen sieben Repair Cafés und zwei Offene Werkstätten. In fast jedem größeren Ort sind solche lockere Zusammenkünfte von Hackern und Machern entstanden. In der Regel stehen eine Fräse, jede Menge Werkzeug für die Metall- und Holzbearbeitung und ein 3D-Drucker zur Verfügung. Finanziert werden die Räume, die Technik und die Stromkosten durch Sach- und Geldspenden. Technisches Knowhow wird ehrenamtlich weitergegeben. Auch Laien können so Dinge reparieren oder sogar herstellen, die sonst Profis überlassen werden. Ums Geld sparen geht es zumindest nicht vorrangig: Selbst Hand anlegen kann teurer und aufwändiger sein als billig produzierte Massenware. Die Motive der Betreuer und Besucher seien vielfältig wie ihre Alters- und BerufsgruppTechnik, Reparatur, Nachhltigen auch, so Buchholz: "Müll vermeiden, Ressourcen nicht verschwenden, auch Spaß daran haben, aus alten Dingen etwas Neues zu schaffen".
Den Protagonisten der neuen DIT (Do it Together)- Bewegung geht es darum, anders zu wirtschaften: nicht in Konkurrenz, sondern in Kooperation, nicht auf Wachstum ausgerichtet, sondern nachhaltig. Im Gegensatz zu früheren Protestbewegungen haben sie aber Freude an der Technik und betrachten auch Dinge wie Laptops und Drucker als lebensnotwendig. Das Spektrum reicht von Essen retten, Dinge reparieren und umnutzen bis "Wissen und Produkte hacken und sie auf die eigenen Bedürfnisse anpassen, Zugang zu Wissen eröffnen, eigene Ideen umsetzen, Autonomie erlangen, sich selbst bilden – und das alles gemeinsam mit anderen und zugänglich für Andere", heißt es im Buch "Die Welt reparieren", das die deutsche und internationale Szene beschreibt.
Baupläne werden veröffentlicht und verbessert
Selbstentwickelte Technik wird zum Beispiel nicht wie ein Betriebsgeheimnis gehütet. Die Bauzeichnungen werden zugänglich gemacht, jeder darf sie nutzen, anpassen und verbessern. Beispiel: der FilaMaker, erfunden von Marek Senický aus Kaufungen. Das Gerät zerkleinert allein mit Muskelkraft jede Art von Plastikabfällen zu Granulat, dem Rohstoff für das 3D-Drucken. Das Ganze vermeidet Müll – und macht den 3D-Druck erschwinglicher. Senický hat die Bauanleitung ins Internet gestellt und bekommt nun Nachrichten und Bilder vom Einsatz des FilaMakers aus der ganzen Welt. Studierende sammeln z.B. Tüten und Flaschen auf den Stränden, schreddern sie und drucken daraus Kunstwerke, die auf die Vermüllung der Weltmeere hinweisen (Projekt Seafood).
Ulrich Buchholz glaubt zwar nicht, dass man nach einem Bauplan überall auf der Welt auf demselben Niveau etwas produzieren kann. Aber ein sogenanntes Open-Source-Projekt betreibt auch er in Bonn: das Lastenrad Bolle. Das Rad ist Gemeinschaftsgut und wird für größere Einkäufe und kleinere Umzüge ausgeliehen. Die Freiburger Firma Carla Cargo stellt die Bauanleitung zur Verfügung. Die Bonner haben das Original gekauft und sein Bremssystem optimiert. Nun macht sich Panagiotis Afentopoulos in der Offenen Werkstatt daran, einen alten Drahtesel zu ertüchtigen und zu einem "Bolle" zu machen. Manches Wochenende hat er deswegen schon in der Werkstatt verbracht. Ehrenamtlich, versteht sich. Seine Brötchen verdient er als Optiker. "Andere gehen in die Kneipe, ich mache ein Fahrrad", sagt Afentopoulos. Er nennt es Glück.