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Neuer NS-Erinnerungsort soll entstehen

12. Oktober 2020

Der Bundestag hat sich für die Errichtung eines Dokumentationszentrum für alle Opfer des deutschen Vernichtungskrieges und der NS-Besatzung ausgesprochen.

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Deutsche Truppen mit Pferden im zerstörten Sewastopol 1942
Deutsche Truppen mit Pferden im zerstörten Sewastopol auf der Krim, 1942Bild: picture-alliance/akg-images

2018 wurde folgende Absichtserklärung in den Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD aufgenommen: "Bisher weniger beachtete Opfergruppen des Nationalsozialismus wollen wir anerkennen und ihre Geschichte aufarbeiten. Wir stärken in der Hauptstadt das Gedenken an die Opfer des deutschen Vernichtungskrieges im Osten im Dialog mit den osteuropäischen Nachbarn." Seither war im Bundestag immer wieder über die konkrete Umsetzung dieser Absicht debattiert worden, jedoch ohne Ergebnisse.

Nun ist Bewegung in die Sache gekommen. Am Freitag (09.10.2020) stimmten alle Fraktionen außer der rechtspopulistischen AfD zwei Anträgen zu, die von der Bundesregierung einen Realisierungsvorschlag des Erinnerungsorts einfordern. In den gleichlautenden Anträgen, die von den Regierungsparteien CDU/CSU und SPD sowie den Grünen eingereicht worden waren, heißt es: "Die Bundesrepublik braucht einen Ort des Gedenkens, der Erinnerung, Information und des Dialogs über den deutschen Vernichtungskrieg, die deutsche Besatzungsherrschaft und die bisher weniger beachteten Opfergruppen." Schon bis Ende 2020 solle die Regierung einen Fahrplan für die Umsetzung vorlegen. Die konkrete Ausgestaltung des Mahnmals solle dabei Experten aus Geschichtswissenschaft, NS-Gedenkstätten und Museumspädagogik überlassen werden.

"Leerstelle" werde geschlossen

Deutsche Soldaten auf einem LKW beim Vormarsch auf Sandwegen im Wald
Deutsche Soldaten an der Ostfront 1941, nordöstlich von Dretun in WeißrusslandBild: picture alliance/akg-images

Laut Antrag solle das geplante Dokumentationszentrum "als Ort der historischen Aufklärung" dienen. Es gehe darum, in "vergleichender europäischer Perspektive" den Charakter des Vernichtungskrieges der Deutschen deutlich zu machen und die Kenntnis hierzulande darüber zu vertiefen, "in welchem Maße und welcher Weise der Zweite Weltkrieg bis heute etwa für die polnische, belarussische oder ukrainische Erinnerungskultur einen ganz wesentlichen Bezugspunkt darstellt." Die neue Erinnerungsstätte solle Informationen bieten, historische Zusammenhänge vermitteln und über geschehenes Leid in Europa wie Deutschland aufklären.

Der Bonner Historiker Martin Aust, der sich jahrelang für einen solchen Ort des Gedenkens eingesetzt hat, begrüßte den Beschluss gegenüber der Nachrichtenagentur KNA (Katholischer Nachrichtendienst) als "großen Erfolg". Mit dem Dokumentationszentrum würde eine "Leerstelle der zentralen deutschen Erinnerungskultur" geschlossen. Aust ergänzte: "Nach den Denkmälern für die ermordeten Juden Europas, die ermordeten Sinti und Roma, die verfolgten Homosexuellen und die Opfer der Euthanasiemorde soll es nun auch einen Ort in Berlin geben, der über das Schicksal der Millionen Verfolgten und Toten im deutschen Vernichtungskrieg in Europa, vor allem in Polen, dem Baltikum, der Sowjetunion, Jugoslawien und Griechenland informiert und Trauer und symbolischem Gedenken Raum bietet."

Aust nannte es "bemerkenswert", dass es den Anträgen gelinge, "eine Hierarchisierung von Opfergruppen zu vermeiden" und halte es für richtig, "dass der Bundestag heute eine politische Willensbekundung beschlossen hat, indem gesagt wird: Niemand wird vergessen. Wir werden an alle Opfer dieses Vernichtungskrieges erinnern."

Allen Opfern des Vernichtungskrieges gedenken

Kein Ende des Erinnerns

Mehrere Redner verschiedener Fraktionen sprachen von einem "Meilenstein" in der deutschen Erinnerungskultur. Mit dem Zentrum werde endlich das Gedenken an die Opfer des deutschen Vernichtungskriegs gestärkt, sagte etwa die SPD-Abgeordnete Marianne Schieder. Man wolle auch populistischer Instrumentalisierung von Geschichte entgegenwirken. Erhard Grundl (Bündnis 90/Die Grünen) erinnerte daran, dass "der gruppenbezogene Hass sich heute in Europa und auch in Deutschland wieder breitmacht". Die rechtspopulistische AfD, einzige Gegnerin des Antrags, sprach sich hingegen für eine Gedenkstätte für die deutschen Opfer im Zweiten Weltkrieg aus.

Um die Errichtung einer neuen Erinnerungsstätte hatte es lange Diskussionen gegeben. So war unter anderem strittig, ob sich ein neues Dokumentationszentrum der deutschen Besatzungsherrschaft in ganz Europa oder speziell in Osteuropa widmen soll. Zudem gibt es Forderungen nach einem eigenen Denkmal für die polnischen NS-Opfer. Mit diesem Thema will sich der Bundestag voraussichtlich Ende Oktober befassen.

pj/vg (mit KNA)