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Neues Denken in Thailand gefordert

Rodion Ebbighausen22. Oktober 2014

Der Nationale Reformrat nimmt in Thailand seine Arbeit auf. Doch Experten bezweifeln, dass das handverlesene Gremium in der Lage ist, die tiefe Spaltung der thailändischen Gesellschaft zu überwinden.

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Nationaler Reformrat in Bangkok, Thailand 21.10.201
Bild: Pornchai Kittiwongsakul/AFP/Getty Images

Seit dem Putsch im Mai (22.05.2014) hat das Militär in Thailand das Sagen. Fünf Monate später ist das Kriegsrecht immer noch in Kraft. Presse- und Versammlungsfreiheit sind eingeschränkt. Der Nationale Rat für Frieden und Ordnung, den die Junta kurz nach dem Putsch als zentrales Machtorgan etabliert hat, vereinigt alle Gewalten des Staates auf sich und ist niemandem Rechenschaft schuldig. Die Rechtfertigung der Militärs: Nur so seien nach den Massenprotesten von Ende 2013 und Anfang 2014 mehr Chaos und Tote zu verhindern gewesen.

Zugleich stellte der Nationale Rat für Frieden und Ordnung Reformen in Aussicht, um die politische, soziale und wirtschaftliche Spaltung der Gesellschaft zu überwinden. Dazu wurde ein grober Fahrplan entworfen, der allerdings wenig konkrete Schritte und Zeitvorgaben enthält. Neuwahlen wurden für Oktober 2015 angekündigt, doch dieses Datum wackelt bereits wieder. Juntachef General Prayuth Chan-ocha, der sich im August (21.08.2014) zum neuen Ministerpräsidenten küren ließ, deutete an, dass der Wahltermin unter Umständen nicht zu halten sei. Zuvor müsse eine neue Verfassung ausgearbeitet werden.

Nationaler Reformrat

Diese Aufgabe fällt dem Nationalen Reformrat zu, der am Dienstag (21.10.2014) erstmals zusammengetreten ist. Der Nationale Reformrat soll ein Komitee bilden, das die neue Verfassung erarbeitet. Der Rat umfasst 250 Mitglieder, die von der Militärjunta ausgesucht wurden. "Wir müssen Reformen auf den Weg bringen, die die Spaltung in Politik und Gesellschaft überwinden", so der Präsident des Reformrats, Thienchay Kiranandana.

Thailand - Premierminister Prayuth Chan-ocha
Der frisch ernannte Premierminister und Ex-General Prayuth Chan-ochaBild: Reuters

Verfassungsrechtler wie Khemthong Tonsakulrungruang von der Chulalongkorn Universität in Bangkok sprechen gegenüber der Nachrichtenagentur AFP von einer "Pseudo-Demokratie". Es gehe in erster Linie darum, den Einfluss der politischen Gegner zu beschneiden. Ziel des neuen Systems sei es, nicht den populärsten, sondern den vorgeblich "tugendhaftesten" Mann an die Macht zu bringen.

Gut gegen Böse

Die moralische Begründung ist seit langem ein zentrales Motiv der thailändischen Politik, wie Marc Saxer in einer gerade erschienenen Analyse der Friedrich-Ebert-Stiftung darlegt. In der buddhistischen Tradition des Landes wird Herrschaft durch moralische Integrität legitimiert. Ist der Herrscher tugendhaft, blüht das Land auf. Ist er verdorben, führt er die Nation in den Abgrund.

ASEM Gipfel Mailand 16.10.2014 Protest gegen Prayut
Demonstranten protestieren gegen Prayuth am Rande des ASEM-Gipfels in MailandBild: picture-alliance/dpa/Mourad Balti Touati

Diese Argumentation haben das Militär und seine Anhänger wiederholt gegen den Shinawatra-Clan ins Feld geführt. Thaksin Shinwatra wurde als Premierminister 2006 gestürzt, seine Schwester Yingluck beim Putsch von 2014. Es seien "schlechte Herrscher" gewesen. Das hätte die grassierende Korruption bewiesen - so ihre Gegner. Dass beide zuvor von der Mehrheit der Thailänder ins Amt gewählt worden waren, spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle. Im Gegenteil: "Der logische Kurzschluss ist dann, die Mechanismen außer Kraft zu setzen, die 'schlechte Menschen' an die Macht bringen: Wahlen", so Saxer.

Politik statt Moral

Der moralisierende Diskurs zeigt an, dass Thailand in der Politik noch nicht in der Neuzeit angekommen ist. Die traditionellen buddhistischen Werte kollidierten immer wieder mit einer pluralistischen kapitalistischen Gesellschaft, so Saxer: "Dreißig Jahre wirtschaftliches Wachstum haben eine komplexe kapitalistische Gesellschaft geschaffen. Die thailändische Gesellschaft ist heute pluralistischer als jemals zuvor."

Im Grunde handele es sich bei den politischen Unruhen der vergangenen zehn Jahre nicht nur um einen Machtkampf zweier Lager, sondern um eine Transformationskrise. "Eine Transformationskrise kann auftreten, wenn eine Gesellschaft sich schnell verändert, ohne ihr politisches System anzupassen."

Lösungsansätze

Zur Überwindung der Transformationskrise ist ein tiefgehender Reformprozess nötig. Dazu ist vor allem ein breiter gesellschaftlicher Dialog nötig, der nicht nur von den Eliten geführt wird, sondern vor allem die Mittelschicht einbezieht. Eine Verfassungsdiskussion ist nicht ausreichend: "So lange die darunterliegende Krise der sozialen Ungerechtigkeit nicht gelöst wird, wird der Kampf über die politische und soziale Ordnung andauern", sagt Saxer. Ein solcher Reformprozess sei nur möglich, wenn "diejenigen, die einen demokratischen Wandel befürworten, eine breite Koalition bilden." Die sei aber zurzeit noch nicht auszumachen. Dennoch ist Saxer optimistisch: Es gebe durchaus Ansätze für eine Modernisierung der thailändischen Gesellschaft.

Thailand Krisenjahrzehnt
Wochenlange und zum Teil gewalttätige Proteste waren dem Putsch vorausgegangenBild: Reuters

So spricht sich etwa der Intellektuelle Sulak Sivaraksa für einen engagierten Buddhismus aus, der über das schlichte Gut-Böse-Schema hinausgeht. Doch das Establishment wehrt sich: Der 82jährige wurde am Montag (20.01.2014) von zwei Offizieren außer Dienst der Majestätsbeleidigung bezichtigt, da er den Mythos eines thailändischen Königs aus dem 16. Jahrhundert angezweifelt hatte. In Thailand kann Majestätsbeleidigung mit mehreren Jahren Gefängnis bestraft werden.