Filmfestival Locarno zieht positive Bilanz
16. August 2020Obwohl die beim Publikum beliebten Open-Air-Vorführungen auf der Piazza Grande in diesem Jahr wegen der Corona-Auflagen ausfallen mussten, zieht die Festivalleitung in Locarno eine positive Bilanz. Das renommierte Filmfestival am Lago Maggiore fand 2020 nur in einer stark reduzierten, meist digitalen Form statt.
In den letzten Jahren hatten sich während der Festivaldauer allabendlich rund 8000 Zuschauer vor der riesigen Leinwand der Piazza eingefunden. Die Karten waren immer schnell ausverkauft. Zu sehen waren ausgewählte Festivalfilme und die feierliche Vergabe der Goldenen Leoparden. Der internationale Wettbewerb fiel 2020 aus.
Neue hybride Festival Formate
Aber es gab trotzdem Preisgelder und auch Auszeichnungen in Locarno. In der neu gestarteten Reihe "Films After Tomorrow", dem diesjährigen Herzstück des Festivals, waren 10 internationale und 10 schweizerische Produktionen ins Rennen gegangen. Fertige Filme bekamen die Jurymitglieder allerdings nicht zu sehen, bewertet wurden Projektentwürfe und die Produktionsplanung. Alle Jurysitzungen fanden virtuell statt.
Die mit je 70.000 Schweizer Franken (65.000 Euro) dotierten Hauptpreise des Festivals gingen damit erstmals an Filme, die noch nicht abgedreht sind. Ausgezeichnet wurden die Filmemacherinnen Lucrecia Martel (Argentinien) für ihr politisches Dokumentarfilmprojekt "Chocobar" und die Schweizerin Marí Alessandrini für "Zahori", die eine anrührende Freundschaftsgeschichte über ein Mädchen mit Tessiner Wurzeln und einem Mapuche-Indianer erzählt.
Insgesamt eingereicht waren mehr als 500 Filme aus 90 Ländern, die durch die Corona-Pandemie Dreharbeiten, Postproduktion oder die Fertigstellung der Filme abbrechen mussten.
Goldene Leoparden erst wieder 2021
Leoparden und Wettbewerb wird es voraussichtlich wieder in der nächsten 74. Ausgabe des renommierten Schweizer Filmfestivals am Lago Maggiore geben. Trotzdem zieht Festivalleiterin Lili Hinstin eine positive Bilanz ihres abgespeckten Festivals. Der engagierte Versuch, die Digitalisierung des Festivals stark voranzutreiben, scheint geklappt zu haben.
Insgesamt habe das Online-Programm vom 5. bis 15. August 320.000 Besucher verzeichnet, teilte das Festival der Presse mit. Dort wurden Lang- und Kurzfilme, Produktionen von Meisterklassen und Interviews mit Regisseuren und Filmemachern angeboten. Der Eröffnungsfilm kam aus den USA: "First Cow" der US-amerikanischen Independent-Filmemacherin Kelly Reichardt.
„Sonderedition 2020" war ein Erfolg
Die Filme und Events des virtuellen Rahmenprogramms seien mehr als 80.000 Mal angesehen worden. Außerdem habe es in den erstmals seit dem Corona-Lockdown wieder geöffneten Kinos in Locarno und Muralto ca. 6000 Besucher gegeben, zeigte sich die künstlerische Festivalleiterin zufrieden.
"Die überraschenden Reaktionen des Publikums haben uns sehr bewegt und dazu gebracht, über die Zukunft des Kinos nachzudenken", so Hinstin. "Sie haben gezeigt, dass Kino und Video-on-Demand nicht gegensätzlich sein müssen, sondern dass sie nebeneinander bestehen und zusammen Entdeckungen abseits der gewohnten Pfade fördern können."
Nachdem mit Cannes im Frühjahr das weltweit wichtigste Filmfestival abgesagt wurde, musste sich das Locarno Film Festival etwas einfallen lassen. Nur Streaming-Angebote und digitale Angebote für Publikum und Kritiker waren Direktorin Hinstein zu wenig. Sie entschied sich für eine "Sonderedition 2020", die versuchen sollte hybride Formate mit Online-Screenings und ausgewählten lokalen Kinovorführungen zu verbinden. Das hat offenbar geklappt. Festival-Präsident Marco Solari sagte, damit habe man ein klares Zeichen der Solidarität mit der Filmindustrie gesetzt.
Die 74. Ausgabe des Locarno Film Festivals soll 2021 vom 4. bis 14. August wieder im traditionellen Format in den Kinos und auf der Piazza stattfinden – so die Veranstalter optimistisch. Locarno soll "ein Modell für das Filmfestival der Zukunft" werden.
hm/hf (dpa,locarnofestival.ch)