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Riesige Waage für winzigste Teilchen

11. Juni 2018

Neutrinos sind so klein und unscheinbar, dass Physiker lange irrtümlicherweise glaubten, sie hätten gar keine Masse. In Karlsruhe starten heute Messungen, um zu bestimmen, wie schwer die Geisterteilchen wirklich sind.

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Katrin KIT Karlsruhe
Bild: Katrin/KIT

Was wiegen die leichtesten Elementarteilchen? Am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) hat heute (11.06.2018) mit einer feierlichen Eröffnung die genauste Waage der Welt ihre Messungen aufgenommen. Nach 15 Jahren Bauzeit starteten die Forscher am Montag die Neutrino-Waage KATRIN, kurz für "Karlsruhe Tritium Neutrino Experiment". Rund 200 Forscher von 20 Institutionen aus sieben Ländern sind an dem Projekt beteiligt. 

Die auch als 'Geisterteilchen' bezeichneten Neutrinos sind überall. Lange Zeit dachten Forscher, sie hätten gar keine Masse. Erst die Entdeckung der Neutrinooszillation, für die es 2015 den Physiknobelpreis gab, zeigte, dass die winzigen Elementarteilchen doch eine Masse haben müssen.

Was genau die drei bekannten Neutrino-Arten auf die Waage bringen, kann aber bisher noch niemand sagen. Die Elektronen-, Myon- und Tauneutrinos sind für die Wissenschaftler einfach zu schwer zu fassen zu kriegen. Sie sind elektrisch neutral und treten weder mit elektromagnetischen Feldern noch mit Licht oder Materie in Wechselwirkung.

Infografik KATRIN Experiment deutsch
Quelle: KATRIN,KIT

Unsichtbare Teilchen aus dem All

Neutrinos entstehen etwa bei Supernova-Explosionen oder fliegen als Zeugen des Urknalls durchs Universum. Ständig durchdringen uns Milliarden von ihnen aus dem Weltall.

Die Elementarteilchen sind so klein und leicht, dass sie mühelos Materie durchdringen können. Das macht sich zum Beispiel ein Neutrino-Experiment der Europäischen Organisation für Kernforschung (CERN) zunutze. Es schießt künstlich erzeugte Neutrinos einfach vom Teilchenbeschleuniger an der schweizerisch-französischen Grenze tief durch die Erdkruste zu einem Detektor im Gran Sasso. Der lange Weg zum höchsten Berg des italienischen Apennin - mitten durch alle möglichen Erdschichten und Gestein - macht den Neutrinos gar nichts aus. Dadurch konnte die Neutrinooszillation bestätigt werden, bei der die Neutrinos ihre Art ändern.

Überhaupt sind alle Neutrino-Detektoren, egal ob sie künstlich erzeugte Neutrinos messen oder jene, die aus dem Weltall stammen, tief in der Erde oder im ewigen Eis vergraben. Damit vermeiden die Forscher unerwünschte Wechselwirkungen bei den Messungen  - etwa mit anderer Strahlung oder Feldern.

Die Masse über Umwege ermitteln

Nun soll das Karlsruhe Tritium Neutrino Experiment (KATRIN) Licht ins Dunkel bringen. Fünf Jahre lang haben die Forscher dann Zeit, die Neutrinomasse zu ermitteln. Dafür wird aber nicht die eigentliche Masse der Neutrinos gemessen, sondern man ermittelt den gewünschten Wert auf Umwegen.

Wenn das radioaktive Wasserstoffisotop Tritium zerfällt, entstehen nämlich Neutrinos. Daneben fallen auch noch Elektronen ab. Da die Forscher wissen, wie schwer ein Tritium-Atom ist, wollen sie nun die Masse des Neutrinos aus der Masse dieser anderen Zerfallsprodukte bestimmen. Zieht man also die Masse der freigesetzten Elektronen von der Masse des Ausgangsatoms ab, müsste die Masse der Neutrinos übrig bleiben - so der Gedanke.

KATRIN KIT Karlsruhe
Das KATRIN-Spektrometer musste als ganzes per Tieflader zum KIT transportiert werdenBild: Forschungszentrum Karlsruhe/KIT Katrin

Die Anlage selbst besteht aus einem Raum, in dem der Tritium-Beta-Zerfallsprozess stattfindet. Die Neutrinos entweichen in irgendeine Richtung. Übrig bleiben die elektrisch geladenen Elektronen, die durch ein magnetisches Feld in die richtige Richtung gelenkt werden - durch ein Spektrometer hin zu einem Detektor.

Das Spektrometer bremst über ein elektrostatisches Feld die Elektronen ab, so dass nur noch wenige bis zum Detektor durchdringen. Über die Stärke des Feldes können die Physiker nun die Energie der Elektronen - und damit ihre Masse bestimmen. Denn die Masse von Elementarteilchen wird in der Energie-Einheit Elektronenvolt angegeben. Das folgt dem Einsteinschen Gesetz der Äquivalenz von Masse und Energie.

Genaue Messungen sind der Schlüssel

Detektor am Katrin-Experiment  KIT Karlsruhe
Der Detektor erkennt die Elektronen, die das Spektrometer noch passieren. Bild: Katrin/KIT

Die größte Herausforderung der Forscher am Karlsruhe Institut für Technologie liegt im Erreichen der nötigen Messgenauigkeit. Die Teilchenphysiker gehen davon aus, dass ein Neutrino etwa 2,2 eV Masse hat.

Aber die Elektronen, die KATRIN eigentlich detektiert, sind erheblich schwerer. So hat ein Elektron etwa eine Masse von 511 Kiloelektronenvolt. Damit wäre ein Elektron also etwa 250.000 mal so schwer wie ein Neutrino.

Würde man das Experiment bildlich in unsere Welt übersetzen, entspräche es grob gesagt dem Versuch einen PKW, den man vorher gewogen hat, in die Luft zu sprengen, dann alle Teile zusammenzukehren - mit Ausnahme eines abgefallenen Rückspiegels - und aus der Masse der Fragmente Rückschlüsse auf das Gewicht des Rückspiegels zu ziehen.

Was hat es mit dunkler Energie und dunkler Materie zu tun?

Genau zu wissen, welche Masse Neutrinos haben, ist nicht nur für die Teilchenphysiker wichtig. Sie können so Rückschlüsse auf mögliche Wechselwirkungen mit dem am CERN nachgewiesenen Higgs-Teilchen ziehen. Dies ist wichtig zur Bestätigung des derzeit gültigen Standardmodells der Teilchenphysik.

Auch hoffen die Forscher durch die Beantwortung der Frage dem Rätsel der dunklen Energie auf die Spur zu kommen. Sie wird für die Ausdehnung unseres Universums verantwortlich gemacht. Und dann ist da auch noch die mysteriöse dunkle Materie. Sie macht etwa 95 Prozent unseres Universums aus und ist - ähnlich wie Neutrinos - nur schwer zu fassen.

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Fabian Schmidt Wissenschaftsredakteur mit Blick auf Technik und Erfindungen