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Sir Neville Marriner zum 90.

Marita Berg15. April 2014

Die Queen schlug ihn zum Ritter, das Orchester Academy of St. Martin in the Fields machte ihn berühmt, und durch den Kinofilm Amadeus kennen ihn selbst Konzertmuffel. Am 15. April wurde Sir Neville Marriner 90 Jahre alt.

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Sir Neville Marriner Photo: Richard Holt/icartists.co.uk
Bild: Richard Holt/icartists.co.uk

Mit aufregend neu klingenden Live-Aufnahmen barocker Konzerte von Händel, Corelli und Vivaldi haben Sir Neville Marriner und seine "Academy of St. Martin in the Fields" Anfang der 1960er Jahre Maßstäbe gesetzt - mit so viel Pep und Frische hatte man Alte Musik noch nie gehört: Benannt hat der Meister sein auf Barockmusik und Wiener Klassik spezialisiertes Kammerorchester nach der Londoner Kirche St. Martin-in-the-Fields, wo die Musiker ihr erstes Konzert gaben.

In den 1970er Jahren stieg Marriner zum gefragten Dirigenten auf. Der Brite wurde Chef des Los Angeles Chamber Orchestra, des Minnesota Orchestra und des Radiosinfonieorchesters Stuttgart. Und noch immer steht er regelmäßig am Pult. "Ich würde sterben, wenn ich aufhören würde zu dirigieren", sagte er vor kurzem der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Dabei sieht er sich stets als Handwerker, als musikalischer Arbeiter im Dienst der Komponisten. "Musik muss man von der Pike auf lernen", lautet seine Empfehlung an junge Musiker.

Anfänge im Wohnzimmer

Seine Karriere begann Neville Marriner einst als Geiger: Nach seiner Ausbildung am Royal College of Music in London spielte er im London Symphony Orchestra unter Leitung von Toscanini, Furtwängler und Karajan. Damals begann er sich lebhaft für Alte Musik zu interessieren, für Musik aus der Barock- und Renaissancezeit also, die in den 1950er Jahren von den meisten großen Sinfonieorchestern entweder total gemieden oder mit viel Pathos gespielt wurde. "Damals wurde sogar Mozart noch viel langsamer und schwerer gespielt, mit riesigen Orchestern - und mit gelangweilten Musikern", erzählte Marriner später gerne. "Durch eine solche Spielweise ging die ganze Vitalität dieser Musik verloren."

Sir Neville Marriner Dirigent
Dirigent mit sparsamen GestenBild: picture-alliance/dpa

Ohne die Absicht, ein Ensemble zu gründen oder gar Konzerte zu geben, lud Marriner regelmäßig befreundete Musiker in sein Wohnzimmer ein, um Musik des 17. und 18. Jahrhunderts zu spielen - in demokratischem Miteinander: "Wir haben einfach nur zum Vergnügen gespielt, und wir wollten alle Eigenverantwortung; mehr als in einem normalen Orchester möglich war", erinnert sich Marriner an die Anfänge. "In der Academy konnte jeder Musiker mitreden und sich persönlich einbringen. Und das machte unheimlich Spaß."

Gemischte Aufführungspraxis

Bereits im Krieg hatte Neville Marriner Robin Thurston Dart kennengelernt, einen jungen Musikwissenschaftler, der sich - wie Marriner - von den romantisierenden Aufführungen barocker Musik distanzierte und eine Orientierung an historischen Quellen anstrebte. Dart wurde zum wichtigsten Impulsgeber für Marriners Wohnzimmerorchester: "Er lehrte uns, dieser Musik mit einem anderen Stil zu begegnen, und wir entdeckten, wie wunderbar sie sein kann."

Sir Neville Marriner Dirigent Sinfonieorchester St. Martins-in-the-Fields
Proben mit dem NachwuchsBild: picture-alliance/dpa

Doch während Robin Thurston Dart später vor allem eine Aufführungspraxis auf historischen Instrumenten forderte, wollten Marriner und seine Freunde auf ihre modernen Instrumente nicht verzichten. Und so kreierte die "Academy" eine "gemischte Aufführungspraxis". "Wir entschieden damals, uns zwar an den neuesten Erkenntnissen über historische Interpretationen zu orientieren, sie aber an das Spiel auf modernen Instrumenten anzupassen", so Marriner. Ein Stil, der zum Markenzeichen der "Academy" und ihres Gründers wurde.

Barock als Marktlücke

1959 gab das Wohnzimmerorchester sein erstes Konzert. Die kurz darauf entstandenen Plattenaufnahmen fanden reißenden Absatz, im Radio wurde kein Kammerorchester so oft aufgelegt wie die Academy. Sir Neville Marriner hatte eine Marktlücke entdeckt.

Filmszene Amadeus - Amadeus und Constanze Mozart @dpa
Konzertmuffel lernten Marriner als Dirigenten im Film "Amadeus" kennenBild: picture-alliance/ dpa

"Die Menschen waren einfach neugierig auf die Barockmusik und bekamen nicht genug davon", erinnert er sich. "Wir waren ein sehr frisches, dynamisches Ensemble und das hörte und spürte man in unseren Konzerten und Aufnahmen. Haydn, Händel, Mozart, Beethoven klangen auf einmal ganz anders als mit den Symphonieorchestern."

Die Kunst des bedächtigen Dirigierens

Im Laufe der Jahre wurde die "Academy" größer besetzt. Zunächst leitete Marriner das Orchester noch als Konzertmeister vom Geigenpult aus, doch mit wachsender Größe wurde die Leitung durch einen Dirigenten notwendig. Die entscheidende Anregung kam vom bekannten Dirigenten Pierre Monteux. Nach einem Konzert kam er auf Marriner zu, fragte ihn, warum er nicht dirigiere und lud ihn ein, einen Meisterkurs in seiner Dirigentenschule in den USA zu besuchen.

"Das hatte ich bis dahin eigentlich nie in Erwägung gezogen, ich fühlte mich in der Rolle des leitenden Konzertmeisters eigentlich sehr wohl", erzählt Marriner. "Aber ich merkte schnell, dass der Taktstock etwas Magisches hat. Einmal angefasst, wollte ich ihn nicht mehr weglegen."

Als Dirigent nahm sich Marriner Monteuxs Maxime zu Herzen: "Keine unnötigen Bewegungen beim Dirigieren, die Partitur im Kopf haben, nicht den Kopf in der Partitur." Bis heute erobert Marriner jedes Orchester ohne große Bewegungen, dirigiert mit sparsamen, aber entschiedenen Gesten, in stetigem Blickkontakt zu seinen Musikern. "Die meisten Orchester hassen Dirigenten, die ständig wild mit den Armen herumrudern", meint er. "Sie unterhalten zwar damit das Publikum, aber im Orchester stiften sie nur Verwirrung."

Konzerttourneen als Fitnessprogramm

Vor zehn Jahren - zu seinem 80. Geburtstag - wollte Neville Marriner eigentlich schon kürzer treten. Doch die "Magie des Taktstocks" hat ihn nicht losgelassen. Immer noch ist er gefragter Gastdirigent großer internationaler Orchester. Bis zum Sommer ist der Jubilar mit der "Academy of St. Martin in the Fields" auf Geburtstagstournee durch Europa und dirigiert sein "Baby" mit schier unglaublicher "Lebhaftigkeit und Herzlichkeit", wie John Allison im "Daily Telegraph" staunend feststellte.

Dirigent Neville, vor ihm ein Musiker Foto. icartists.co.uk
Ans Aufhören denkt Sir Neville noch lange nichtBild: icartists.co.uk

"Ich habe eine einigermaßen gute Gesundheit", erklärt der 90-jährige Marriner lächelnd: "Weil ich die letzten 60 Jahre ständig Konzerttourneen gemacht habe, ist das für mich inzwischen eine Art Gesundheitsprogramm geworden. Andere Leute lesen viel oder lösen Kreuzworträtsel, um sich geistig fit zu halten. Bei mir ist es die ständige Beschäftigung mit Musik." - Happy Birthday, Sir Neville!