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Nicht mehrheitsfähig aber telegen

2. Juli 2010

Seit einem Jahr gibt es in den USA wieder eine Tea-Party. Mit dem Original von 1773 und ihrem Protest gegen die Engländer in Boston hat sie wenig gemein - für Aufregung sorgt sie trotzdem.

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Demonstration der Tea Party in Kansas City am 15. April (Foto: AP)
Gegen "Washington" und dessen Steuern: Demonstration der Tea Party in KansasBild: AP

"Wir halten an der Verfassung fest, dem Recht auf Waffenbesitz und religiösen Werten und den Wechsel überlassen wir den anderen", ruft Sarah Palin in die begeisterte Menge, ihre Stimme überschlägt sich fast. Auf der Tea-Party-Veranstaltung im April in Boston erhielt die ehemalige Gouverneurin von Alaska dafür tosenden Beifall.

Dabei hat die moderne Tea-Party mit der von vor über 200 Jahren nur wenig gemein, sagt Thomas Mann, Politikwissenschaftler am Brookings-Institut in Washington: "Der Name Tea Party steht heute für eine Gruppe von unterschiedlichen Aktivisten und Individuen." Eine nationale Organisation gibt es nicht, selbst in kleinen Orten existieren oft mehrere Tea Parties nebeneinander. "Mobilisiert wurden diese Aktivisten", ergänzt Mann, "vor allem von Talk-Show Moderatoren des Kabelfernsehens."

Begehrte Bilder fürs Fernsehen

Es sind Moderatoren wie Glenn Beck, die auf dem konservativen Sender Fox News ungeniert Meinungsmache betreiben. Beck macht mobil gegen die Obama-Regierung, gegen umfangreiche Staatsausgaben, die für ihn Sozialismus bedeuten und gegen die in der Tat hohe Staatsverschuldung. Er ruft zu Demonstrationen auf – und dort tragen die Sympathisanten der Tea-Party dann unter anderem Plakate, die Präsident Obama mit Hitlerbart zeigen. Für Fernsehmacher, und zwar nicht nur bei den konservativen Fox News, sind das begehrte Bilder. Verrückte und Leute mit extremen Ansichten würde sich unter dem Dach der Tea Parties versammeln, sagt Politikwissenschafter Mann.

Doch das seien nur die Ausnahmefälle, erklärt Brian Darling, der für den US-Senat zuständige Experte der konservativen Heritage-Stiftung. Als George W. Bush Präsident war, sei genau dasselbe passiert: "Es gab gewalttätige Anti-Kriegsdemonstrationen und die Protestler haben schreckliche Dinge über Präsident Bush gesagt." Alex Seitz-Wald vom linksliberalen Center for American Progress hat allerdings einen Unterschied ausgemacht: "Die Parteiführung der Demokraten hat sich nie mit dieser extremen Anti-Kriegsbewegung identifiziert, wie es die Republikaner heutzutage mit der Tea Party tun."

Drei ältere Damen, Mitglieder der Tea Party aus Houston bei einer Demonstration am 21. März vor dem Kapitol (Foto: AP)
Stimmung machen gegen Obamas Gesundheitsreform: Mitglieder der Tea Party aus Houston vor dem KapitolBild: AP

Weiße Patrioten

Es stimmt, dass Politikerinnen wie Sarah Palin auf der Welle der Sympathie der Tea Party schwimmen und gut Geld damit verdienen, zum Beispiel durch Rednerauftritte. Doch wenn Politiker erst einmal gewählt sind, wie beispielsweise Scott Brown, der den Senatssitz des legendären Liberalen Ted Kennedy in Massachusetts nach dessen Tod eroberte, dann nehmen sie Abstand von der Tea-Party Kampagne. Deren Agenda ist schlicht nicht mehrheitsfähig, sagen die Experten.

Dabei geben immerhin 18 Prozent der Amerikaner an, die Tea Party zu unterstützen. Nach einer Umfrage von CBS News und New York Times sind die überwiegende Mehrheit – 89 Prozent – Weiße. Minderheiten können mit den extremen Ansichten der überwiegend Älteren - ein Drittel haben das 65. Lebensjahr hinter sich - offensichtlich nichts anfangen. Im Durchschnitt ist der Tea-Party-Sympathisant also weiß, älter, besser gebildet als der Durchschnitt der Amerikaner, eher Republikaner und unabhängiger Wähler, und religiös. Er bezeichnet sich als Patriot und sieht die Verfassung bedroht. Drei Viertel von ihnen haben aber noch nie an einer Demonstration teilgenommen.

Einigende Wirkung auf den politischen Gegner

Es ist derzeit also eher unwahrscheinlich, dass aus der Tea Party eine richtige Partei wird – auch darin sind sich die Experten einig: "Es ist wahrscheinlicher", sagt der konservative Brian Darling, "dass die Republikaner die Ideen der Tea Party aufnehmen und sich wandeln - konservativer werden, den Einfluss die Regierung in Washington beschränken wollen." Aber das werde sich erst in einigen Jahren zeigen.

Der Einfluss der Tea Party im Vorfeld der Kongresswahlen im November ist schon jetzt deutlich. Die Demokraten rückten angesichts der extremen Ansichten eher zusammen, sagt Brookings-Experte Thomas Mann. "Bei den Demokraten gehen die Ideologien weiter auseinander als bei den Republikanern. Aber wenn sie das extreme Verhalten der Tea Party-Anhänger sehen, dann sagen selbst die konservativeren Demokraten: Da macht die eigene Partei mehr Sinn."

Alaskas Ex-Gouverneurin Sarah Palin vor der National Tea Party Convention in Nashville am 6. Februar 2010 (Foto: AP)
"Den Wechsel überlassen wir den anderen": Alaskas stramm konservative Ex-Gouverneurin Sarah Palin vor der National Tea Party Convention in NashvilleBild: AP

Lebensdauer ungewiss

Die Republikaner sehen sich oft mit Konkurrenten aus dieser konservativen Ecke konfrontiert. Die "Tea Party Kandidaten" gewinnen dann auch die eine oder andere Vorwahl – wie zum Beispiel Sharron Angle in Nevada, die nun im November gegen den Mehrheitsführer der Demokraten im Senat, Harry Reid, antreten muss. Doch seit ihrer Wahl hat auch ihre Kampagne ein Facelifting erfahren – auf ihrer neuen Webseite präsentiert sie sich deutlich gemäßigter, wie die Online-Zeitung Huffington Post minutiös auflistet.

Ist die Tea Party, die seit einem guten Jahr die politische Landschaft in den USA aufmischt, also nur ein Strohfeuer, das bald wieder verlöscht? So genau will sich bei dieser Frage niemand festlegen. Für Thomas Mann habe die Geschichte gezeigt, dass solche extremen Bewegungen, vor allem auf der rechten Seite des politischen Spektrums, vor allem in wirtschaftlich schwierigen Zeiten aufblühten. "Wenn uns keine Rezession oder Depression bevorsteht, dann wird wahrscheinlich viel von dem Anreiz und der Energie hinter der Bewegung verloren gehen."

Und außerdem, ergänzt er, sei es durch das amerikanische Wahlsystem sehr schwer bis unmöglich für eine dritte Partei, Fuß zu fassen: "Dritte Parteien treiben sich in der politischen Landschaft herum, ohne wirklich weiter zu kommen." Sie könnten meist nur auf der lokalen oder bundesstaatlichen Ebene ein Amt gewinnen und würden nur selten eine Rolle in den Präsidentschaftswahlen spielen. Für Unruhe sorgen können sie aber allemal – und natürlich dem Fernsehen weiter hervorragend Bilder liefern.

Autorin: Christina Bergmann

Redaktion: Sven Töniges