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Nicht nur Wagner: Russische Privatarmeen in der Ukraine

Daniil Sotnikov
27. Juni 2023

Was ist über die Söldnertruppen bekannt, die angeblich von russischen Geschäftsleuten und Staatsunternehmen gegründet wurden und am Krieg gegen die Ukraine beteiligt sind? Erkenntnisse von Experten und Journalisten.

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Ein Söldner der Wagner-Gruppe in der ukrainischen Stadt Bachmut
Ein Söldner der Wagner-Gruppe in der ukrainischen Stadt BachmutBild: Valentin Sprinchak/TASS/IMAGO

Bis zum 1. Juli müssen alle in der Ukraine kämpfenden russischen "Freiwilligenverbände" gemäß einer Anordnung von Verteidigungsminister Sergej Schoigu einen Vertrag mit seinem Ministerium schließen. Das Verteidigungsministerium begründet die Maßnahme damit, den Truppen einen "notwendigen Rechtsstatus" verleihen zu wollen.

Insgesamt gebe es in Russland mehr als 40 solcher militärischen Strukturen, sagte Nikolaj Pankow, stellvertretender russischer Verteidigungsminister, ohne jedoch anzugeben, wer genau damit gemeint ist. Denn seit Kriegsbeginn bezeichnet das Ministerium auch Angehörige privater Militärunternehmen als "Freiwillige", die an der russischen Invasion in der Ukraine beteiligt sind.

Als Erstes habe die Einheit "Achmat", die als Privatarmee des tschetschenischen Machthabers Ramsan Kadyrow gilt, einen solchen Vertrag unterzeichnet, teilte das Verteidigungsministerium mit. Bis zum 22. Juni seien mehr als 20 weitere diesem Beispiel gefolgt.

"Wagner"-Chef Jewgenij Prigoschin posiert zwischen zwei verstört wirkenden Kämpfern, denen er die Arme auf die Schultern legt.
"Wagner"-Chef Jewgenij Prigoschin (Mitte) mit zweien seiner Kämpfer im ukrainischen BachmutBild: Concord Press Office/ITAR-TASS/IMAGO

Jewgenij Prigoschin, Gründer der bekanntesten Privatarmee Russlands lehnt dies für seine Wagner-Gruppe jedoch ab. Stattdessen begann er am 24. Juni vor dem Hintergrund eines Konflikts mit Schoigu eine Rebellion gegen die russische Armeeführung, beorderte aber einige Stunden später seine Truppen in die Stützpunkte zurück. Zuvor hatte Prigoschin kritisiert, dass in ganz Russland "private Militärunternehmen" gebildet würden. "Es heißt, eines Tages werde es einen Machtkampf geben und jeder würde dann seine eigene Privatarmee brauchen. Diejenigen, die Geld haben, halten den Aufbau einer Privatarmee jetzt für ein großes Thema", sagte er.

Berichte über Truppe "Redut"

All die Privatarmeen würden die russischen Streitkräfte in einen chaotischen Flickenteppich aus Einheiten mit reichen Sponsoren verwandeln. Das schrieb die "Financial Times" unter Berufung auf ukrainische und westliche Geheimdienste. Die erste Truppe, deren Beteiligung an dem großangelegten Angriff auf die Ukraine bekannt wurde, heißt "Redut". Kiew schätzt ihre Stärke auf 7000 Mann. Wie das russische Portal "Meduza", mittlerweile aus dem lettischen Exil, unter Berufung auf mehrere Quellen schreibt, gehörten Redut-Söldner zu den ersten, die in die Ukraine einmarschierten und dort an Kämpfen bei Kiew und Charkiw teilnahmen.

Timschenko blickt an zwei anderen Personen vorbei Putin an
Russischer Oligarch Gennadi Timschenko auf einem Treffen mit dem Präsidenten PutinBild: Sergei Karpukhin/AFP/Getty Images

Erstmals berichtete die "Nowaja Gaseta" 2019 über Redut. Demnach wurde die Truppe 2008 gegründet und in Syrien zum Schutz der Anlagen des russischen Unternehmens Stroytransgaz eingesetzt. Es wird von Gennadij Timtschenko, einem Freund des russischen Präsidenten Wladimir Putin, kontrolliert. Igor Girkin, der ehemalige "Verteidigungsminister" der selbsternannten "Volksrepublik Donezk", bezeichnete Timtschenko als den Besitzer von Redut. Quellen von "Meduza" und "Nowaja Gaseta" brachten die Truppe zudem mit dem Verteidigungsministerium in Verbindung. Dies tut auch der russische Telegram-Kanal "Rybar", der Russlands Krieg gegen die Ukraine befürwortet.

Trotz eines formellen Verbots von Privatarmeen in Russland, wurde die Beteiligung von Redut an dem Krieg sogar schon vor Gericht anerkannt: In der Region Belgorod wurde die Strafe eines Angeklagten mit der Begründung abgemildert, er habe als Redut-Angehöriger in der Ukraine gekämpft.

Hat Gazprom eine eigene Truppe?

Als erster hatte der ukrainische Geheimdienst im Februar 2023 über die angebliche Gründung einer eigenen Söldnertruppe durch  den Gaskonzern Gazprom berichtet. Kiew stützte sich dabei darauf, dass der russische Premierminister Michail Mischustin dem Energiekonzern erlaubt hatte, eine private Sicherheitsorganisation zu schaffen. Laut Quellen der "Financial Times" begann das Staatsunternehmen im August letzten Jahres mit der Rekrutierung von "Freiwilligen" für den Krieg. Die Rede ist von den Truppen "Potok" und "Fakel".

Die "Financial Times" erfuhr ferner, dass den Mitarbeitern in einem Gazprom-Unternehmen in Zentralrussland gesagt worden sei, es müssten sich zwei Personen freiwillig für den Krieg melden. "Es hieß: Gazprom wird Sie bewaffnen, wir zahlen Ihnen mehr Geld, als normale Vertragssoldaten bekommen", berichtete ein Wachmann, der bei jener Versammlung anwesend war. Solche Treffen habe es der Zeitung nach auch bei Gazprom in Sibirien gegeben, worauf sechs Männer von dort mit Verträgen für drei Monate nach Soledar in den Donbass geschickt wurden, eine weitere Gruppe für ein halbes Jahr nach Bachmut.

Ein grauer Beton-Wolkenkratzer mit dem Gazprom-Zeichen am Dach
Blick auf den Hauptsitz des russischen staatlichen Konzerns Gazprom in MoskauBild: Getty Images/AFP/Y. Kadobnov

Dass eine Verbindung der Truppen Potok und Fakel zu Gazprom besteht, geht aus verschiedenen Quellen hervor. In einem im April dieses Jahres veröffentlichten Video stellt sich ein russischer Kriegsgefangener als Alexander Tkatschenko aus Orenburg vor. Der russische Dienst der BBC fand seine Seite im russischen sozialen Netzwerk VKontakte, wo ein Gazprom-Unternehmen in Orenburg als sein Arbeitgeber angegeben war. Gefunden wurde auch ein Nachruf auf einen im Krieg gefallenen Russen, in dem Potok als seine Einheit genannt wurde. Außerdem wurde im Dezember letzten Jahres im russischen Staatsfernsehen über "Freiwillige des Bataillons Fakel" berichtet, die südlich von Donezk im Kampfeinsatz waren. Im April sagte Wagner-Chef Prigoschin, dass bei Gazprom angesiedelte Truppen sich am Krieg beteiligen würden. Dabei kritisierte er diejenigen, die solche Verbände aufbauen würden, und warf ihnen mangelnde Ausbildung, Ausstattung und Führung vor. Im Mai erschien auf Telegram-Kanälen ein an Putin gerichtetes Video von Militärs, die sich als Potok-Angehörige ausgaben.

Genaue Angaben zur Stärke der mutmaßlichen Gazprom-Verbände gibt es nicht. Ihr Einfluss auf dem Schlachtfeld wurde von einem ehemaligen hochrangigen russischen Beamten in einem Gespräch mit der "Financial Times" als unbedeutend bezeichnet. Das "Wall Street Journal" schätzte ihre Zahl auf "mehrere Tausend Mann". Zum Vergleich: Geheimdienstdaten aus Großbritannien und den USA zufolge dienten in Prigoschins Wagner-Gruppe in der Ukraine 50.000 Mann, davon waren bis zu 40.000 rekrutierte Häftlinge.

Wozu so viele Privatarmeen?

Laut Pawel Lusin, einem Experten für russische Außen- und Verteidigungspolitik, sind Truppen wie Redut und Co keine vollkommen privaten Militärunternehmen. Sie stünden in Verbindung mit dem Verteidigungsministerium: "Söldner wurden von Russland ursprünglich zu drei Hauptzwecken eingesetzt: um ein Gegengewicht zur regulären Armee zu schaffen, um außerhalb des bürokratischen Systems und etablierter Verwaltungsverfahren agieren zu können und um die politische und militärische Führung vor Verantwortung zu schützen."

Söldner und sogenannte Freiwilligenverbände ermöglichten es, die Beschränkungen zu umgehen, denen die im Verfall befindlichen regulären Streitkräfte mit ihren Vertragssoldaten und Wehrpflichtigen unterliegen: "Das heißt, die russische Armee entwickelt sich zu einer irregulären Armee", so der Experte.

Privatarmeen statt offizieller Mobilmachung?

Auch andere Experten führen die zunehmende Zahl von Söldnertruppen darauf zurück, dass der Kreml Schwächen der offiziellen Armee kompensieren wolle. Auf diese Weise sollten möglichst viele Menschen für den Krieg rekrutiert werden, ohne eine weitere Mobilmachung durchzuführen. "Mittlerweile ist Russland auf allen Ebenen zu einem mobilisierten Staat geworden. Wenn es darauf ankommt, muss man dringend Kämpfer ausbilden, und Putin möchte dies ohne Wehrpflichtige oder eine weitere Mobilmachung tun", meint der Historiker Mark Galeotti, Gründer des Londoner Beratungsunternehmens Mayak Intelligence.

Eine Reihe junger Männer in Paradeuniformen, davor ein salutierender Offizier
Russische Rekruten auf dem Weg zum Militärdienst im November 2022. Will der Kreml nun offizielle Mobilisierungen umgehen?Bild: Donat Sorokin/dpa/TASS/picture alliance

Auch ein ehemaliger hochrangiger russischer Beamter sagte der "Financial Times": "Es besteht die Anordnung, Freiwillige auf verschiedene Weise zu rekrutieren, unter anderem durch wohlhabende öffentliche und private Einrichtungen, die genug Geld haben, um Leute zu mobilisieren." Die Finanzierung solcher Strukturen sei für Oligarchen und Konzerne eine Möglichkeit, ihre Loyalität gegenüber dem Kreml zu demonstrieren, so der anonyme Informant.

Dazu passt, was Olga Romanowa, im Exil lebende Leiterin der Nichtregierungsorganisation "Rus Sidjaschtschaja" (Dt.: Russland hinter Gittern), berichtet: Im September 2022 habe Putin den Teilnehmern eines nicht öffentlichen Treffens mit Wirtschaftsvertretern nahegelegt, Freiwillige für die Entsendung in die Ukraine zu mobilisieren und zu finanzieren. Auch Gesprächspartner von "Meduza" halten solche Rekrutierungen für eine verdeckte Mobilmachung. Die Grenze zwischen Söldnertruppen, "Freiwilligen" und der regulären Armee sei im Krieg in der Ukraine völlig verwischt.

Adaption aus dem Russischen: Markian Ostaptschuk