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Kyrgios - der Hoffnungsträger muss absagen

Jannik Schneider aus Melbourne
16. Januar 2023

Acht Jahre nach seinem besten Einzelresultat bei den Australian Open wollte Nick Kyrgios den hohen Ansprüchen in seiner Heimat gerecht werden. Doch eine Verletzung verhindert den Auftritt des 27-Jährigen.

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Nick Kyrgios wischt sich Schweiß aus dem Gesicht beim Training bei den Australian Open in Melbourne
Nick Kyrgios gilt als "Enfant terrible" der TennisweltBild: Mark Baker/AP Photo/picture alliance

Die Fronten zwischen dem australischen Tennisprofi Nick Kyrgios und Teilen der Medienlandschaft sind weiterhin verhärtet. Wann immer der 27-Jährige öffentlich spricht, herrscht eine besonders angespannte Atmosphäre. Niemand der Anwesenden weiß, wie sich Kyrgios präsentieren und ob es eine Provokation von einer der beiden Seiten geben wird. Am Donnerstag nach einer Trainingseinheit auf dem Centre Court der am Montag beginnenden Australian Open in Melbourne war es allerdings sein bester Freund und inoffizieller Manager Daniel Horsfall, der mit einem Klaps auf das eigene Hinterteil und in Blickrichtung der wartenden Medienvertreterinnen und Vertreter provozierte und damit womöglich andeuten wollte: "Ihr könnt uns mal, wartet schön auf uns."

Warten müssen werden Medienvertreter und Zuschauer auf einen Auftritt von Kyrgios bei den Australian Open nun allerdings deutlich länger, mindestens bis 2024. Denn zu Beginn des Turniers am Montag (16. Januar) sagte der 27-Jährige seinen Start aufgrund einer Meniskusverletzung überraschend ab. Nachdem Kyrgios in einem Showmatch gegen Novak Djokovic vor Turnierbeginn noch bestens gelaunt auf dem blauen Hartplatz von Melbourne Bälle schlug, nannte er sein verletzungsbedingtes Aus bei den Australian "einfach brutal. Das ist das wichtigste Turnier, aber so ist das Leben. Verletzungen gehören zum Sport dazu."

Laut Aussage seines Physiotherapeuten Will Maher, der bei der Pressekonferenz ebenfalls auf dem Podium saß, handele es sich nicht um eine ernste Verletzung. "Wir wollten ihn vor einer weiteren Verletzung oder einer Verschlimmerung der Verletzung bewahren", sagte er. Kyrgios werde daher nicht in Melbourne antreten und sich nun einer Arthroskopie unterziehen. Der an Nummer 19 gesetzte Kyrgios hätte am Dienstag gegen den Russen Roman Safiullin antreten sollen. Stattdessen wird nun der US-Amerikaner Denis Kudla, der als Lucky Loser der Qualifikation ins Hauptfeld nachrückt, gegen den Russen antreten. 

Durchbruch gegen Rafael Nadal

Den Australian Open 2023 fehlt damit bei der Rückkehr des Einzel-Rekordsiegers der Männer, Novak Djokovic, eine der schillerndsten Figuren, die nach wie enorm polarisiert. Die Wahrnehmung des Tennisprofis in Australien ist nach einem erfolgreichen Tennisjahr 2022 deutlich positiver geworden. Denn im vergangenen Jahr erreichter er in Wimbledon das Finale gegen Novak Djokovic und die Runde der letzten acht bei den US Open. In Melbourne gewann er 2022 zudem mit Jugendfreund Thanasi Kokkinakis den Doppelwettbewerb.

Als Teenager gelang ihm 2014 mit einem Sieg über Rafael Nadal in Wimbledon der Durchbruch bei den Profis. Ein Jahr zuvor hatte er mit dem Gewinn der Junioren-Konkurrenz in Melbourne bereits hohe Erwartungen in seiner Heimat geweckt. Seine Leistungskurve ging in der Folge weiter nach oben. So verlor Kyrgios 2015 bei den Australian Open erst im Viertelfinale gegen Andy Murray. Auch in den folgenden zwei Jahren entwickelte Kyrgios sich weiter. Er gewann drei Turniere und stieg bis auf Rang 13 der Tennis-Weltrangliste.

Doch dann geriet seine Karriere ins Stocken und der Tennisprofi produzierte vermehrt Negativschlagzeilen wegen seines Verhaltens auf den Plätzen dieser Welt. Vor allem in Australien verloren die Fans irgendwann die Geduld mit ihrem Hoffnungsträger. Kyrgios, gebürtig aus der australischen Hauptstadt Canberra, sah sich als Sohn eines griechischen Vaters und einer aus Malaysia stammenden Mutter mit jeder Menge Vorwürfe konfrontiert - die Vorurteile stiegen mit den Negativschlagzeilen. Kyrgios sei arrogant, habe keine Manieren und sei nicht bereit, hart an sich zu arbeiten.

Kyrgios: "Das geriet außer Kontrolle"

Während der Coronavirus-Pandemie spielte er kaum, berichtete über Depressionen und sprach über Alkoholmissbrauch. "Ich habe das wirkliche Leben ausgeblendet und versucht, meine Probleme direkt anzugehen und zu lösen", sagte Kyrgios dem TV-Sender Eurosport im Mai 2022 und erklärte: "Ich habe viel Alkohol und Drogen konsumiert und das geriet außer Kontrolle. Jetzt trinke ich kaum noch - höchstens mal ein Glas Wein zum Abendessen."

Nick Kyrgios sitzt auf dem Boden eines Tennisplatzes
Nick Kyrgios erhebt Rassismus-Vorwürfe gegen Zuschauer beim ATP-Turnier in StuttgartBild: Adam Davy/picture alliance/empics

Zudem berichtete der Australier immer wieder von Rassismus-Vorfällen in den sozialen Medien sowie beim ATP-Turnier in Stuttgart im Juni des vergangenen Jahres. "Eine Sache, die ich niemals tolerieren werde, sind Zuschauer, die Athleten beschimpfen. Es passiert mir persönlich schon seit einiger Zeit, von rassistischen Kommentaren bis hin zu völliger Respektlosigkeit", schrieb der 27-Jährige damals auf seiner Instagram-Seite. Die Veranstalter des Turniers entschuldigten sich anschließend in einer Pressemitteilung. Genauso wie die australische Fernsehmoderatorin Lisa Milar, die öffentlich gesagt hatte, Kyrgios müsse rassistische Kommentare wegstecken können.

Beschimpfungen gegen Schiedsrichter

Der Tennisprofi hat sich verändert. Er spielt keine volle Tennissaison mehr, ist spielerisch aber wieder mindestens auf dem Level von 2015. Tritt er öffentlich auf, ist er mittlerweile vermehrt respektvoll und fokussiert, was ein positives Bild von ihm stärkt. Zeitgleich zu den verbesserten sportlichen Auftritten hat er aber weiter heftige Auseinandersetzungen mit Schiedsrichtern.

So ging er eine Linienrichterin und den Oberschiedsrichter beim Turnier in Wimbledon im vergangenen Jahr verbal an und zweifelte viele Entscheidungen an. "Bist du dumm?", fragte er Stuhlschiedsrichter Damien Dumusois, nachdem er eine in Kyrgios' Augen falsche Entscheidung getroffen hatte. "Du bist eine Schande, du änderst die Regeln, wie du willst", schimpfte der Australier.

Kyrgios fühlt sich missverstanden. Gegenüber internationalen Journalistinnen und Journalisten sagte er: "Keiner von euch kennt mich wirklich, keiner hängt mit mir in meiner Freizeit ab. Ihr seht nur die Dinge auf dem Platz und da ist es mit mir ein bisschen wie in der Achterbahn. Deswegen verstehe ich, dass es gemischte Reaktionen zu meiner Person gibt." Kyrgios ergänzte, dass er sich nicht mehr um die öffentliche Meinungen kümmere. "Es ist zum Totlachen. Ich wache auf, lese Dinge und lache einfach nur noch. Ich werde gewisse Sachen einfach nicht mehr los."

Eklat beim Turnier in Wimbledon 2022: Nick Kyrgios legt sich mit einem Fan während seines Matches an
Eklat beim Turnier in Wimbledon 2022: Nick Kyrgios legt sich mit einem Fan während seines Matches anBild: Zac Goodwin/PA Wire/empics/picture alliance

Er könne mittlerweile auf seine dunklen Zeiten reflektiert zurückblicken. "Es gab eine Zeit, als mich mein Manager um vier Uhr nachts aus einem Pub zerren musste - am Tag vor einem Match gegen Rafael Nadal." In einer von den Tennisverbänden in Kooperation mit einem Streamingdienst produzierte Dokumentarserie bemerkte er mit Blick auf jene Zeit und seinen Freund Daniel Horsfall: "Ich habe jede Nacht getrunken. Er konnte meine mentale Gesundheit zerbrechen sehen."

Seine Gesundheit scheint er nun mit einem verkürzten Turnierkalender und mehr Zeit in seiner Heimat Australien im Griff zu haben. Doch Druck verspürte er vor seiner verletzungsbedingten Absage in Melbourne dennoch. Beim Medienevent am Donnerstag vor Turnierbeginn gab er auf Nachfrage der DW zu: "Es ist sehr schwer zu balancieren. Es zu genießen und gleichzeitig dem Druck standzuhalten. Wir versuchen im Team weiter darauf Antworten zu finden." Dieser Druck ist für dieses Jahr von seinen Schultern gewichen, aber auch die Hoffnung auf einen Erfolg bei den Australian Open.