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Niebel: "Entwicklungserfolge hängen nicht allein vom Geld ab"

Mirjam Gehrke11. September 2013

Deutschland wäre auch von über 5000 syrischen Flüchtlingen nicht überfordert, sagt Entwicklungsminister Dirk Niebel. Im DW-Interview zieht er eine Bilanz seiner Arbeit und fordert neue Kriterien für Entwicklungspolitik.

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Bundesentwicklungsminister Dirk Niebel/ FDP (Foto: dpa)
Bundesentwicklungsminister Dirk Niebel (FDP)Bild: picture-alliance/dpa

DW: Herr Minister, wir befinden uns vor dem Hintergrund der Syrien-Krise. Rund 5000 Menschen verlassen das Land täglich und suchen in den Nachbarländern Schutz. Deutschland hat sich bereit erklärt, insgesamt 5000 Flüchtlinge aufzunehmen, zusätzlich zu denen, die in den vergangenen Jahren schon auf eigene Faust nach Deutschland gekommen sind. Jetzt haben Sie gefordert, den Zuzug für Familienangehörige zu erleichtern. Warum kommt dieser Vorschlag erst jetzt? Ist das eine Ausgleichsgeste dafür, dass Deutschland sich nicht an einem möglichen Militärschlag beteiligen würde?

Dirk Niebel: Nein, den Vorschlag habe ich schon wesentlich früher gemacht. Er kommt nun noch einmal, weil jetzt die ersten der zusätzlichen 5000 Flüchtlinge nach Deutschland kommen. Wir haben gemeinsam mit Schweden die meisten Syrer aufgenommen. 33.000 Syrer leben bereits langfristig in Deutschland, dazu kommen ungefähr 17.000 Asylsuchende. Diese zusätzlichen 5000 Flüchtlinge werden wir in der ganzen Bundesrepublik verteilen.

Darüber hinaus gibt es natürlich viele Menschen, die verwandtschaftliche Beziehungen haben und die auch bereit sind, für Kosten aufzukommen, wenn auf diese Weise die Enkel, Schwiegereltern, Kinder oder andere Verwandte zu ihnen nach Hause kommen dürfen; die auch in der Lage wären, sie gegebenenfalls bei sich unterzubringen. Es wäre eine große Erleichterung für die Betroffenen, wenn wir das ermöglichen würden, ohne dass es eine große Belastung für Deutschland ist.

Syrische Flüchtlinge warten am Flughafen auf die Ausreise nach Deutschland (Foto: AP) pixel
Die ersten von 5000 syrischen Flüchtlingen sind inzwischen in Deutschland angekommenBild: picture alliance/AP Photo

Falls Syrien sich damit einverstanden erklären sollte, seine Chemiewaffen unter internationale Kontrolle zu stellen und gegebenenfalls auch zerstören zu lassen, sehen Sie neue Spielräume für die Bundesrepublik, sich an dieser Kontrolle und Zerstörung zu beteiligen?

Wir wollen auf jeden Fall eine politische Lösung. Die Bundesregierung wird sich an keiner militärischen Lösung beteiligen. Deswegen ist es ein Lichtblick am Horizont, dass man dieser politischen Lösung eventuell näher kommen kann.

Ich weiß, dass die Bundesrepublik große Erfahrung in der Vernichtung und Beseitigung von Kampfstoffen hat, bin aber nicht in der Funktion, beschreiben zu können, welche Leistungen Deutschland hier gegebenenfalls übernehmen wird oder nicht.

"Heilige Kühe" in Frage stellen

Lassen Sie uns über Ihre Funktion als Bundesentwicklungsminister sprechen. Am 22. September sind Bundestagswahlen. Die FDP liegt in Umfragen derzeit bei vier Prozent. Damit wären die Liberalen im nächsten Bundestag nicht mehr vertreten. Das Bundesentwicklungsministerium würde dann in andere Hände übergehen. Vor welchen neuen Aufgaben sehen Sie die deutsche Entwicklungspolitik?

Ich kann Sie beruhigen: Die FDP wird stark in den neuen Bundestag einziehen und wir werden auch mit Schwarz-Gelb eine ausreichende Regierungsmehrheit haben um die erfolgreiche Politik der vergangenen vier Jahre in den nächsten vier Jahren fortzusetzen.

Aber Sie haben recht, es gibt viele Herausforderungen. Zunächst einmal ist die Strukturreform, die wir intern gemacht haben, noch abzuschließen. Die politische Steuerungsfähigkeit gegenüber den Durchführungsorganisationen muss immer noch täglich erkämpft werden. Es muss vollkommen klar sein, dass die Regierung über den entwicklungspolitischen Kurs der Bundesrepublik Deutschland entscheidet. Die Durchführungsorganisationen machen das, was ihr Name suggeriert: die Maßnahmen im Auftrag der Bundesregierung durchzuführen.

Blick auf die Zentrale der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) in Eschborn (Foto: dpa)
Die GIZ ist vor zwei Jahren aus der Fusion von GTZ, ded und InWent entstandenBild: picture-alliance/dpa

Wir müssen aber unsere entwicklungspolitischen Leistungen auch besser auf ihre Wirksamkeit hin untersuchen. Die Summe des ausgegebenen Geldes darf nach 2015 nicht mehr das alleinige Kriterium guter Entwicklungszusammenarbeit sein. Die Wirksamkeit dessen, was gemacht wird, ist entscheidend. Deswegen bin ich sehr dafür, dass man auch "Heilige Kühe" in diesem Prozess durchaus kritisch hinterfragt und neue Wege findet, gute Entwicklungsleistungen zu messen, sowohl bei Entwicklungsländern, aber auch bei Industrieländern, die hier natürlich in der Verantwortung sind.

Wenn Sie davon sprechen, Heilige Kühe zu schlachten, haben sie das 0,7 Prozent Ziel im Kopf. (Anm. d. Red.: Bis 2015 sollen die Industrieländer 0,7 Prozent ihrer gesamten Wirtschaftsleistung in die Entwicklungszusammenarbeit investieren.) Müsste nicht gerade Deutschland, das als eines von wenigen Ländern relativ gut durch die Wirtschaftskrise der letzen Jahre gekommen ist, ein anderes Signal setzen und sich stärker für die Erreichung dieses Zieles einsetzen?

Gerade Deutschland ist mit mehr als zehn Milliarden Euro im Jahr der drittgrößte Geber weltweit. Das ist Geld, das die Steuerzahler aufbringen müssen. Als ich ins Amt gekommen bin, hatten wir eine Quote von 0,35 Prozent erreicht, jetzt sind es 0,38 Prozent. Das ist ein Zuwachs. Aber es ist nicht das allein entscheidende Kriterium. Nicht, wie viel Geld jemand ausgibt, bestimmt über gute Entwicklungsergebnisse, sondern was man mit diesem Geld bewirkt. Das muss der Maßstab der Dinge sein nach 2015.

Entwicklung auf dem Land fördern, Geld effizienter einsetzen

Wären die UN-Klimaverhandlungen Ende des Jahres in Polen eine geeignete internationale Bühne, auf der gerade die Industrienationen signalisieren können, dass sie bereit sind, neue Verantwortung zu übernehmen?

Wir sollten uns nicht überfordern. Wenn wir nach 2015 einheitliche Entwicklungsziele und Nachhaltigkeitsziele erreichen wollen, dann sollten wir nicht im Vorfeld Schranken einziehen, insbesondere wenn es um Finanzierungsfragen geht. Wir sollten erst einmal über die Ziele insgesamt sprechen. Wenn man die Frage nach der Finanzierung in den Vordergrund stellt, werden sich die Ersten schnell verweigern.

Ein Bauer verschnürt Säcke mit Feldfrüchten auf seinem Fahrrad, bevor er zum Markt fährt (Foto: DW)
Durch mangelnde Infratstruktur geht ein großer Teil der Ernte schon auf dem Weg zum Markt verlorenBild: DW/ L.M. Hami

Herr Minister, im vorangegangenen Wahlkampf haben Sie noch für Schlagzeilen gesorgt mit Ihrer Forderung nach einer Abschaffung des Entwicklungsministeriums oder dessen Eingliederung in andere Ministerien. Dann wurden Sie zum Chef des Hauses ernannt und haben sich die Neuausrichtung der deutschen Entwicklungspolitik auf die Fahnen geschrieben. Strukturell ist aus der Fusion von GTZ, ded und Inwent die neue Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) entstanden. Wo haben Sie inhaltlich neue Akzente gesetzt?

Wir haben die ländliche Entwicklung als einen Schwerpunkt wiederentdeckt. Das Thema ist in den letzten 15 Jahren vernachlässigt worden - nicht nur in Deutschland, sondern weltweit.

Die meisten Menschen, die arm sind und hungern, leben auf dem Land. Die Entwicklung ländlicher Räume ist weit mehr als Landwirtschaft. Vierzig Prozent Nachernteverlust durch mangelnde Kenntnis über Haltbarmachung und Lagerung von Produkten, mangelnde Infrastruktur, um den nächsten Markt zu erreichen, keine Kenntnisse über einfachste Technologien wie Tröpfchenbewässerung in Ländern mit Wasserknappheit oder die Wartung von landwirtschaftlichen Maschinen: Das sind alles Bereiche, die Zeit kosten. Deswegen hat man nicht immer zum nächsten Wahltermin das große Erfolgserlebnis, das man vorzeigen kann.

Wir haben erkannt - und das ist international verankert - dass die Kraft der Wirtschaft in die Entwicklung zwingend mit eingebunden werden muss. Wir können die Ideen, die Expertise, das Know-How, aber auch das Geld der Privaten nutzen, um entwicklungspolitische Ziele zu erreichen. Nur so können wir mit den wenigen Steuergeldern noch intensiver arbeiten, als das sonst schon der Fall ist.

Dirk Niebel (FDP) ist seit 2009 Bundesminister für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Unter seiner Federführung fusionierten die drei staatlichen Entwicklungsorganisationen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ), der Deutsche Entwicklungsdienst (ded) und die Weiterbildungsagentur InWent zur neuen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ).

Das Gespräch führte Mirjam Gehrke.