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Niger-Putsch: Folgen für die Bundeswehr

27. Juli 2023

Der Militärputsch im Niger ist ein Rückschlag für die Sicherheit in der Sahelzone in Afrika - mit Auswirkungen auch auf den Einsatz der Bundeswehr und die Entwicklungszusammenarbeit. Hat Deutschland sich verkalkuliert?

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Sechs Bundeswehrsoldaten in Tarnuniform stehen mit Schnellfeuer-Gewehren vor der Brust um ein Geländefahrzeug
Zur Ausbildung und Beratung eingesetzte Bundeswehrsoldaten im NigerBild: Carsten Hoffmann/dpa/picture alliance

Mit dem Militärputsch haben sich die Hoffnungen vom Niger als Stabilitätsanker für die Sahelzone wohl zerschlagen. Dabei hatte die Europäische Union erst Ende 2022 die dreijährige Militärmission EUMPM für den Niger beschlossen, weil sich der westafrikanische Binnenstaat in den letzten Jahren politisch stabilisieren konnte. Mit der Mission, an der sich auch die Bundeswehr beteiligt, soll der Terrorismus im Sahel bekämpft werden.

Nach der Bundestags-Entscheidung vom vergangenen Mai können insgesamt bis zu 60 Soldatinnen und Soldaten eingesetzt werden. Sie sollen die nigrischen Partner beraten und bei der Ausbildung helfen. Auf dem Flughafen der Hauptstadt Niamey unterhält die Bundeswehr zudem seit zehn Jahren ein Logistik-Drehkreuz für den UN-Blauhelmeinsatz MINUSMA im benachbarten Mali.

Rund hundert Bundeswehrsoldaten im Niger

Insgesamt sind nach Angaben der Bundeswehr derzeit 100 Soldatinnen und Soldaten im Niamey stationiert. "Alle Angehörigen des deutschen Einsatzkontingents MINUSMA und EUMPM mit Standort Niamey befinden sich in Sicherheit", erklärt ein Sprecher des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr auf Anfrage der DW und ergänzt: "Der nigrische Luftraum ist nach derzeitigem Kenntnisstand gesperrt. Die Lage ist nach wie vor unübersichtlich. Wir beobachten die Situation weiterhin aufmerksam."

Noch im vergangenen April hatten Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius und Entwicklungsministerin Svenja Schulze (beide SPD) den Niger und Mali besucht. Anlass ihrer Reise war die anstehende letztmalige Verlängerung des Bundeswehrmandats für den UN-Einsatz MINUSMA in Mali sowie die anstehende Bundeswehrbeteiligung an der EU-Militärmission EUMPM in Niger. Der Niger ist eines der ärmsten Länder der Welt und gilt als Risiko für ein mögliches Übergreifen der Gewalt aus dem benachbarten Mali, wo islamistische Kämpfer nach dem Abzug französischer und anderer europäischer Streitkräfte an Boden gewonnen haben.

Sahelregion im besonderen Interesse Deutschlands

Weil die dortige MINUSMA-Mission durch ständige Konflikte mit Malis regierender Militärjunta und der zunehmenden Präsenz russischer Söldner beeinträchtigt wurde, hatte Deutschland im vergangenen November entschieden, seine Truppen bis Mai 2024 aus Mali abzuziehen. "Wir beenden zwar unser militärisches Engagement bei MINUSMA, bleiben aber in der Region engagiert", sagte Pistorius bei seinem Besuch im April. "Der Schwerpunkt unseres zukünftigen militärischen Engagements im Sahel wird in Niger liegen." Die Sicherheit in der Sahelregion liege im besonderen Interesse Deutschlands, fügte Pistorius hinzu.

Verteidigungsminister Boris Pistorius und Entwicklungsministerin Svenja Schulze tragen Sonnenbrillen und sprechen im Bundeswehrcamp mit einem Offizier.
Verteidigungsminister Boris Pistorius und Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) beim Besuch deutscher Truppen in NiameyBild: Michael Kappeler/dpa/picture alliance

Nun muss wohl umgeplant werden. Offenbar hat man sich mit der Strategie verkalkuliert, einen vermeintlich stabilen Niger als Operationsstützpunkt für EU- und UN-Missionen nutzen zu können. "Das war eine Illusion", urteilt Ulf Laessing, Sahel-Büroleiter bei der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung KAS in Malis Hauptstadt Bamako, im DW-Gespräch. Er sei letzte Woche selbst im Niger gewesen. "Da konnte man den Kontrast sehen. Die Europäische Union, die USA und Nichtregierungsorganisationen haben begonnen, groß zu eröffnen, zu expandieren. Die Hotels waren ausgebucht." Aber viele Hilfsprogramme sollten erst anlaufen und deren Erfolge hätten sich erst in ein paar Jahren gezeigt, so Laessing.

Mali-Abzug durch Militärputsch gefährdet?

"Man hat sich in der falschen Sicherheit gewogen, dass der Niger jetzt stabiler ist. Eigentlich ist der Staat aber noch schwächer als in Mali. Insofern war es unrealistisch zu erwarten, dass Niger ein Stabilitätsanker sein könnte". Der Niger hat seit seiner Unabhängigkeit von Frankreich im Jahr 1960 bereits vier Putsche und zahllose Versuche der Machtübernahme erlebt.

Deutschland will mehr militärische Zusammenarbeit mit Niger

Im benachbarten Mali sind noch rund 1100 deutsche Soldaten stationiert. Die meisten von ihnen in der Nähe der nördlichen Stadt Gao, wo ihre Hauptaufgabe darin besteht, Aufklärungsdaten für die noch laufende UN-Friedensmission MINUSMA zu sammeln. Nun könnte der Niger-Putsch womöglich deren Abzug gefährden. "Der soll über den Stützpunkt am Flughafen in Niamey abgewickelt werden und über den Landweg", sagt Sahel-Experte Ulf Laessing.

Das gelte nicht nur für die Bundeswehr, sondern für die gesamte UN-Mission in Mali. "Man kann nicht mit dem LKW durch Mali oder Burkina Faso fahren. Das ist zu gefährlich. Deshalb war vorgesehen, dass alles durch den Niger geht." Nun müsse man darauf hoffen, dass eine mögliche neue Regierung kooperiere.

Nigrische Spezialkräfte in beige-grünen Uniformen stehen vollbewaffnet in mehren Reihen.
Nigrische Spezialkräfte, die von der Bundeswehr ausgebildet wurden.Bild: Kay Nietfeld/dpa/picture alliance

Von der Deutschen Welle auf die Folgen für den Abzug angesprochen, regiert das Einsatzführungskommando der Bundeswehr zurückhaltend. "Inwieweit dies Auswirkungen auf Personal- und Materialtransporte des deutschen Einsatzkontingents MINUSMA haben könnte, ist derzeit noch nicht absehbar", erklärte ein Sprecher. "Das ist natürlich abhängig davon, wie lange der Zustand andauert, wie es weitergeht."

Mehr Realismus bei Kooperationen und Entwicklungshilfe 

Der Sahel-Leiter der Konrad-Adenauer-Stiftung sieht den Militärputsch auch als Anlass künftige Militärkooperationen und die Entwicklungszusammenarbeit realistischer zu planen. "Weniger ist manchmal mehr. Im Niger wollte man zu viel auf einmal", sagt Ulf Laessing. "Und wenn viel angekündigt wird, dann fragt sich die Bevölkerung, wo sind die Ergebnisse? Doch die Bevölkerung hat real noch nichts gesehen. Die Entwicklungszusammenarbeit oder die Militärkooperation war dabei, erst anzulaufen. Vielleicht sollte man die Erwartungen von vornherein eher tief halten."

Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) erklärte, der Putschversuch müsse enden und die demokratische Ordnung des Landes bewahrt werden. Die Bevölkerung habe das Recht auf eine friedliche und demokratische Entwicklung, schrieb sie auf Twitter.

Das Auswärtige Amt hat alle deutschen Staatsangehörigen gebeten, die Reise- und Sicherheitshinweise des Ministeriums zu befolgen und sich insbesondere in die Krisenvorsorgeliste ELEFAND einzutragen.

Ralf Bosen, Redakteur
Ralf Bosen Autor und Redakteur