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Nigeria: Zwischen Wirtschaftskrise und Protest

Silja Fröhlich
2. März 2024

Viele Nigerianer sind wütend über die steigende Inflation und die immer teurer werdenden Lebensmittel. Doch wer trägt die Schuld an den wirtschaftlichen Problemen?

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Nigeria | Menschen halten Protestplakate hoch
Angesichts der explodierenden Inflation müssen viele arme Nigerianer Mahlzeiten ausfallen lassen und auf Produkte wie Fleisch, Eier und Milch verzichtenBild: SAMUEL ALABI/AFP

Wütende Demonstranten stürmen durch die Straßen der nigerianischen Metropole Lagos, sie fordern: "Schluss mit der Not!". Das westafrikanische Land steckt in der schlimmsten Wirtschaftskrise seit mehr als zwei Jahrzehnten. Die letzten Proteste begannen Ende Februar, nachdem eine der wichtigsten Gewerkschaften des Landes, der Nigeria Labour Congress (NLC), die Nigerianer dazu aufgerufen hatte, auf die Straße zu gehen.

"Kein Arbeiter kann von einem Mindestlohn von 30.000 Naira leben, und mehr als 150 Millionen Nigerianer leben unterhalb der Armutsgrenze", sagt der NLC-Vorsitzende Joe Ajaero auf einer der Protestkundgebungen. "Das sind die Menschen, die nicht täglich etwas zu essen bekommen."

Was hat die Krise in Nigeria verursacht?

Als der nigerianische Präsident Bola Tinubu im Mai 2023 sein Amt antrat, schaffte er im Rahmen seiner Wirtschaftsreformen die Treibstoffsubventionen ab. Das ließ die Treibstoffkosten in die Höhe schnellen, Kosten für Lebensmittel und Transport verdreifachten sich. Der Naira verlor rund 70 Prozent seines Wertes und fiel auf ein Rekordtief, nachdem Tinubu im vergangenen Jahr die Bindung des Naira an den US-Dollar aufgehoben hatte. Während man im Mai letzten Jahres für 10.000 Naira 22 Dollar kaufen konnte, sind es jetzt nur noch 6,40 Dollar. Der Absturz des Naira führte zudem zu einer Verteuerung aller importierten Produkte, die Inflationsrate stieg auf 30 Prozent an - der höchste Stand in fast drei Jahrzehnten.

Große Menschenmenge auf einer Straße
Tinubu hat zur Geduld aufgerufen, damit seine Reformen greifen können, aber die Maßnahmen haben viele Nigerianer hart getroffenBild: Adekunle Ajayi/NurPhoto/picture alliance

Der nigerianische Wirtschaftswissenschaftler Tunji Andrews erklärte gegenüber der DW, dass es jedoch nicht die Abschaffung der Treibstoffsubventionen war, die die nigerianischen Wirtschaft in den Abgrund riss. "Der Abschwung fand schon vor Tinubus Amtsantritt statt", so Andrews. "Die Abschaffung der Subventionen hat es nur noch schwieriger gemacht. Sie hat die Inflation erhöht, was natürlich ist. Für die meisten Menschen ist es dadurch einfach schwieriger geworden, zu leben."

Nun sind es die einfachen Bürger, die die Hauptlast des Einbruchs tragen. Die Löhne haben nicht mit den steigenden Lebenshaltungskosten in Nigeria Schritt gehalten.

"Die Not im Land ist sehr, sehr alarmierend", sagte ein Demonstrant in Lagos gegenüber der DW. "Die Masse der Nigerianer leidet, und die Regierung tut nicht das Nötige. Sie haben so viele Versprechungen gemacht und kein einziges Versprechen erfüllt."

Zum Kern der Probleme vordringen

Eine andere Bewohnerin aus Lagos erzählte der DW, dass sie sich kaum wichtige Medikamente leisten kann. "Ich habe für meine Medikamente gegen Bluthochdruck immer 6.000 Naira bezahlt - jetzt kosten sie 9.000 Naira. Die meisten können sich das nicht leisten, die Menschen sterben", sagte sie. "Es ist schrecklich. Lebensmittelpreise sind in die Höhe geschnellt. Reines Wasser kostete 300 und kostet jetzt 600. Wir brauchen ein Wunder."

Ein Mann verkauft Obst und Gemüse auf einem Markt
Inflation und hohe Lebenshaltungskosten in Nigeria zwingen einige dazu, als Fischfutter vorgesehenen, minderwertigen Reis zu essenBild: picture-alliance/dpa/G. Esiri

Und ein Ende ist nicht in Sicht. Das bevölkerungsreichste Land Afrikas kämpft mit der Versorgung seiner 220 Millionen Bürger. Andrews zufolge gibt es zwei Hauptprobleme. "Zum einen die hohe Inflation und zum anderen die Abwertung der Währung", so der Wirtschaftswissenschaftler im DW-Interview.

Die Abwertung des Naira hatte dazu geführt, dass viele Nigerianer US-Dollar gekauft und gehortet haben, den sie für eine stabilere Währung halten. "Und der Schwarzmarkt diktiert, wie hoch der Dollarkurs im Land ist. Was nicht sein sollte. Aber so ist das Szenario", sagte Andrews der DW.

"Nigerianer sind widerstandsfähig!"

Tinubu hat von seinem Vorgänger Muhammadu Buhari eine Reihe von Herausforderungen geerbt: hohe Arbeitslosigkeit, eine schon damals hohe Inflation, Rekordverschuldung, weit verbreitete Unsicherheit und massiven Diebstahl von Rohöl, der die Staatseinnahmen schmälert.

Der neue Präsident versprach, diese Probleme anzugehen - und die Nigerianer fordern nun, dass Tinubus Regierung ihre Versprechen einhält. Die Demonstranten skandierten und trugen Schilder mit der Aufschrift "Lasst die Armen atmen" und "Stoppt die Abwertung des Naira".

Viele Nigerianer müssen nach Berichten Mahlzeiten ausfallen lassen und auf Produkte wie Fleisch, Eier und Milch verzichten. Im Norden griffen die Menschen auf minderwertigen Reis zurück, der als Fischfutter verwendet wird.

Portrait Präsident Bola Tinubu in einem weißen Gewand
Viele sind wütend auf Präsident Bola TinubuBild: Temilade Adelaja/REUTERS

Andrews bringt die Bedürfnisse der Nigerianer auf den Punkt: "Grundnahrungsmittel. Transport. Strom. Ich denke, wenn sie das haben, sind Nigerianer sehr widerstandsfähig, und sie werden selbst Arbeitsplätze schaffen. Wenn sie angemessenen Strom bekommen, wenn die Preise für Lebensmittel und Benzin gesenkt werden können, dann bin ich sicher, dass es für den durchschnittlichen Nigerianer kurzfristig eine gewisse Hilfe geben wird." 

Wer trägt die Schuld?

Nach Ansicht der Gewerkschaften hat die Regierung zahlreiche Versprechen nicht eingehalten, darunter eine monatliche Lohnerhöhung für alle Arbeitnehmer, Zahlungen an Millionen von bedürftigen Haushalten und die Einführung von gasbetriebenen Bussen für den öffentlichen Nahverkehr.

Andrews teilt die Sicht, wonach die Krise bereits vor der Vereidigung der Regierung Tinubu begann. "Ich denke, es war eine Situation, die schon vor seinem Amtsantritt bestand. Es gab ein Liquiditätsproblem, die Wirtschaft hatte eine gewisse Anfälligkeit gezeigt. Es gab also ein Feuer, und wir haben dann Benzin darauf gegossen, was das Szenario noch verschlimmert hat. Ich bin wirklich der Meinung, dass es nicht an Tinubu als Person liegt, sondern vielleicht daran, dass seine Politik anders hätte umgesetzt werden können, um ein besseres Ergebnis zu erzielen.

Nigeria in der Krise

Lebensmittel und Bargeldlieferungen

Tinubus Regierung sagt, sie arbeite daran, die Krise zu bewältigen. Um die Inflation einzudämmen, erhöhte die nigerianische Zentralbank den Leitzins um vier Prozentpunkte auf 22,75 Prozent.

Die Regierung kündigte die Einrichtung eines Gremiums an, das die Lebensmittelpreise regulieren soll, und wies die nationale Getreidereserve an, 42.000 Tonnen Getreide an arme und bedürftige Nigerianer zu verteilen. Doch Gewerkschaften haben kritisiert, dass ein großer Teil davon die armen Familien nicht erreicht.

Außerdem plant die Regierung, die Reisproduzenten zu unterstützen, um mehr Produkte auf den Markt zu bringen. Zollbeamte wurden angewiesen, Säcke mit beschlagnahmtem Getreide billig zu verkaufen. Rund 15 Millionen ärmere Haushalte erhalten einen Bargeldtransfer in Höhe von 25.000 Naira (16 US-Dollar) pro Monat.

Stau vor einer Tankstelle in Abuja - ein fliegender Händler läuft durchs Bild
Seitdem Benzin nicht mehr staatlich subventioniert wird, sind die Preise auf ein Rekordniveau gestiegen Bild: AFOLABI SOTUNDE/REUTERS

Die ohnehin angespannte Lage wurde in letzter Zeit durch mögliche Putschpläne angeheizt, die die nigerianische Armee jedoch dementiert hat. Die Nachrichtenplattform Sahara Reporters behauptete, dass die Präsidentengarde, die mit dem Schutz des Präsidenten beauftragt ist, wegen Putschverdachts in Alarmbereitschaft sei.

Um die kränkelnde Wirtschaft wieder auf Vordermann zu bringen, bedarf es nach Ansicht des Wirtschaftswissenschaftlers Andrews langfristiger Lösungen. "Die langfristige Nachhaltigkeit der Wirtschaft besteht darin, sie produktiver zu machen, und darauf sollte die neue Regierung achten. Wir brauchen mehr Produktion und mehr Fabriken. Sorgen wir dafür, dass die Fabriken arbeiten, damit mehr Fabriken ins Land kommen als das Land verlassen. Das wird eine nachhaltigere Lösung für die Wirtschaft insgesamt sein."

 

Dieser Artikel wurde aus dem Englischen adaptiert.

Mitarbeit: Ben Shemang in Lagos

Korrekturhinweis: Am Tag nach der Veröffentlichung wurde die Erwähnung korrigiert, dass Lagos auch Hauptstadt sei. Das ist seit vielen Jahren nicht mehr der Fall.

Silja Fröhlich
Silja Fröhlich Redakteurin, Reporterin und Moderatorin