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"Ich will immer auch Besonderes bringen"

Reiner Schild
6. September 2019

"Mondschein" lautet das Motto von Nike Wagners sechstem Beethovenfest. Was die Intendantin damit verbindet und was sie für das Beethovenjubiläum 2020 plant, hat sie im DW-Gespräch verraten.

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Nike Wagner
Bild: picture-alliance/dpa/O. Berg

DW: Das diesjährige Beethovenfest (6. bis 29. September 2019) hat das Motto "Mondschein". Wie sind Sie darauf gekommen?

Nike Wagner: Ich suche immer nach einem Begriff, den die Konzertbesucher spontan mit Beethoven verbinden würden. Die "Mondschein-Sonate" verbucht Millionen von Klicks im Internet, also assoziieren Millionen von Menschen den Mondschein mit Beethoven. Dann prüfe ich: Wie verhält sich das neue Motto zu dem früheren? Das Thema im Vorjahr hieß "Schicksal", ein schwerer, sehr Beethoven'scher Begriff. Und dann dachte ich, wir machen es lyrischer, innerlicher, bevor der große Rummel im Jubiläumsjahr 2020 beginnt.

Was drückt das Thema Mondschein aus? Immerhin passt es ja perfekt ins Jubiläumsjahr der Mondlandung.

Natürlich freut es uns, dass wir auch auf der naturwissenschaftlich-technischen Seite punkten können. Zwei unserer Vorstellungen werden den alten Menschheitstraum einer Mondlandung satirisch aufs Korn nehmen. Aber was uns mehr interessiert, ist die ästhetische Widerspiegelung des Mondscheins, das Erlebnis Mondschein in der Kunst. Und dieses hat sich musikalisch außerordentlich reichhaltig niedergeschlagen. Bis ungefähr um 1800 wurden Notturni und Serenaden ohne Ende komponiert - im Grunde Freiluftmusik, unter dem Fenster der Geliebten zu singen. Mit der Romantik dann wird die Nacht selber Thema - bei Schumann oder Chopin, Wagner und Mahler, bei allen möglichen Komponisten, die den ambivalenten Gefühlen, die die Nacht und der Zauberglanz des Mondes hervorrufen, Ausdruck geben wollten. Neben Liebesträumen und Heimlichkeiten gehört ja auch das Unheimliche, Spukhafte zum Mondschein. Er verzerrt die Konturen des Vertrauten. Das interessierte auch in der Moderne, etwa in Arnold Schönbergs melodramatischer Groteske vom "Mondpeterchen", dem "Pierrot lunaire".

Die Beethovenstatue Bonn
Beethoven-Statue in BonnBild: picture-alliance/imageBROKER/H. Schmidt

Wie schlägt sich das Thema im Programm nieder?

Die "Mondschein-Sonate" ist das eine zentrale Werk, gespielt in verschiedenen Klangfassungen und auch in moderner "Veränderung". 1985 hat Giselher Klebe eine Hornstimme dazu komponiert. Das andere zentrale Werk ist Beethovens sechste Symphonie, die "Pastorale". Mondschein ist ein Naturphänomen - Beethoven war ein großer Spaziergänger und Naturfreund. In der "Pastorale" nehmen wir teil an seinen Empfindungen auf dem Lande, er bringt da einen ganz neuen Ton hinein. Dann gibt es ein veritables "Nocturne"-Wochenende, es gibt Mozarts "Serenata notturna", Haydns Notturni, die "Nachtmusiken" von Gustav Mahler, aber auch den Hexensabbat in der "Nacht auf dem kahlen Berge" von Modest Mussorgsky. Daneben stimmungsvolle Klavierabende zum Thema Nacht, Mond und Natur, über Liszt bis Debussy bis zur "Moonlight Serenade" von Glenn Miller… "Blackbird" heißt ein Tanzabend von Joachim Schlömer. Und natürlich erklingt viel Beethoven - Klavierkonzerte, Symphonien, Kammermusik. Ein silberner Mondstrahl dürfte in den meisten Produktionen nachzuverfolgen sein.

Partielle Mondfinsternis
Inspiration zahlreicher Komponisten: der MondBild: picture-alliance/dpa/M. Kappeler

Was ist Ihr persönliches Highlight?

Ich will im Beethovenfest immer auch Besonderes bringen. Nicht nur die Werke des klassischen Repertoires, sondern auch Querverweise in unsere Gegenwart. Deshalb gibt es in jedem Jahr eine Uraufführung eines zeitgenössischen Komponisten, verbunden mit der Bitte, sich auf Beethoven zu beziehen. In diesem Jahr ist es Enno Poppe, ein wunderbar phantasievoller Komponist, der den Auftrag erhalten hat. Und welchen Beethoven hat er sich rausgesucht? Das Violinkonzert! Die Geigerin Carolin Widmann, inzwischen ein Weltstar, hat sich bereit erklärt, beide Violinkonzerte zu spielen; erst Beethoven, dann Poppe. Nach der Pause dann das große Delirium: Beethovens Siebte. Es spielt das NDR Elbphilharmonie Orchester unter seinem Chefdirigenten Alan Gilbert.

Hauptspielort ist dieses Jahr wieder das World Conference Center Bonn (WCCB), die Sanierung der Beethovenhalle ist noch lange nicht abgeschlossen. Welche Erwartungen haben Sie an das Beethovenfest Bonn 2019?

Ich hoffe inständig, dass das Publikum - trotz der Spielstätten-Probleme, die wir hier in Bonn haben - unser Programm genau liest und sich sagt: "Egal in welcher Halle ich das höre, die Werke sind so interessant, die Künstler so prominent, wir gehen zum Beethovenfest." Das würde mich einfach nur freuen, darin bin ich ganz "Veranstalter".

2020 wäre Beethoven 250 Jahre alt geworden. Was planen Sie fürs große Jubiläum?

Nächstes Jahr veranstalten wir gleich zwei Festivals: ein kleineres Beethovenfest im März und das übliche große Beethovenfest im September. Die Märzsaison bekommt den Übertitel "Seid umschlungen" - das versteht jeder. Und die Herbstsaison bekommt den etwas rätselvolleren Titel  "Auferstehn, ja auferstehn". Das ist ein Zitat aus der Ode von Friedrich Gottlieb Klopstock, die Gustav Mahler zu seiner zweiten, seiner "Auferstehungssymphonie" inspiriert hat. Und diese "Auferstehungssymphonie" - ein gewaltiges Werk, das quasi Beethovens Neunte übergipfelt - spielen wir zum Abschluss der Herbstsaison 2020. Zu Beginn, wie es sich gehört, Beethovens Neunte, gespielt vom Bayreuther Festspielorchester.

Dirigent Teodor Currentzis bei der Arbeit
Teodor Currentzis kommt 2020 nach BonnBild: Imago/ITAR-TASS

Und was passiert im Frühjahr 2020?

Für die Frühjahrssaison 2020 haben wir Teodor Currentzis gebeten, einen Zyklus aller neun Symphonien Beethovens zu dirigieren, mit seinem Orchester musicAeterna aus der Oper Perm, einem sogenannten Originalklang-Orchester. Currentzis hat eine eigene, an alle Grenzen gehende Dirigierhandschrift; ich habe die Neunte letztes Jahr von ihm in Salzburg gehört - fantastisch. Mit einer sagenhaften Exaktheit und unerhörten dynamischen Schattierungen. Zwischen diesen Beethoven-Abenden aber "umschlingen" wir Europa: Es gibt einen Reigen europäischer Orchester-Gastspiele, mit Werken europäischer Zeitgenossen, komponiert "für" Beethoven, kombiniert mit Spätwerken der großen Meister aus den jeweiligen Ländern. 

2020 werden Sie Ihr siebtes und letztes Beethovenfest als Intendantin leiten. Wie fühlt sich das an?

Ich bin schon traurig, weil in Bonn so viel Potenzial da ist, und ich fühle mich im rheinischen Wesen gut aufgehoben: Man plaudert, man ist zugänglich, man kommuniziert, alles fließt. Natürlich gibt es auch Tücken in Politik und Medien, aber die gibt es in jeder Stadt. Da muss die Intendanz eines Beethovenfestes auf ihrem Kunst-Standpunkt bleiben und sich unter Umständen auch mal wehren.

Wie wichtig ist Ihnen das Beethoven-Jubiläum?

Ich freue mich, dass ich BTHVN 2020 mitgestalten darf, weil es einfach eine Etage höher ist. Wir haben es hier mit einem Kulturhauptstadtjahr zu tun. Das wird die Wahrnehmung Bonns sehr erhöhen, überregional wie international - mal nicht aus politischer Sicht, sondern aus künstlerischer. Und es war von Anfang an angestrebt, dass mein Vertrag bis 2020 gehen würde, könnte, sollte.

Das Gespräch führte Reiner Schild.