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Nobelpreis für eine erbarmungslose Moralistin

7. Oktober 2004

Der Literaturnobelpreis geht in diesem Jahr an die österreichische Roman- und Bühnenautorin Elfriede Jelinek. Die Autorin habe die "Absurdität sozialer Klischees" offenbart, erklärte das Nobel-Komitee in Stockholm.

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"Überrascht und geehrt" - aber nach Stockholm will Elfriede Jelinek nicht fahrenBild: dpa Zentralbild

Die Schwedische Akademie der Wissenschaften würdigte mit ihrer Entscheidung am Donnerstag (5.10.2004) in Stockholm "den musikalischen Fluss von Stimmen und Gegenstimmen" im Werk der Schriftstellerin. Mit "einzigartiger sprachlicher Leidenschaft" habe sie "die Absurdität und zwingende Macht der sozialen Klischees" offen gelegt.

Einzigartige Prosa

Der Sprecher der Schwedischen Akademie, der Stockholmer Publizist Per Wästberg, hat die Vergabe des Literatur- Nobelpreises an die Österreicherin Elfriede Jelinek als "wunderbar" eingestuft. "Sie ist eine Autorin, die mit ihrem Zorn und mit Leidenschaft ihre Leser in den Grundfesten erschüttert", sagte Wästberg unmittelbar nach der Bekanntgabe am Donnerstag (7.10.2004). Jelinek habe dabei vor allem "die Konsumgesellschaft Österreich kritisiert, die nicht ihre eigene Vergangenheit aufgearbeitet hat". Jelineks Prosa sei ebenso einzigartig wie ihre Dramen. Die Akademie habe bei der Entscheidung nicht darauf gesehen, dass Jelinek eine Frau ist.

Filmszene Die Klavierspielerin von Elfriede Jelinek
Szenenfoto aus der Verfilmung "Die Klavierspielerin" - eines der bekanntesten Werke der AutorinBild: dpa Concorde

Elfriede Jelinek gilt vor allem in ihrer Heimat Österreich als "Skandal-Autorin". Zu ihren bekanntesten Werken gehört der 1983 erschienene Roman "Die Klavierspielerin" der vor drei Jahren verfilmt wurde. Mit dem Roman "Die Kinder der Toten" (1995) und seiner scharfen Kritik an den gesellschaftlichen Verhältnissen in Österreich stellte sich Jelinek in eine Linie mit Literaten wie Karl Kraus, Ödön von Horvath und Thomas Bernhard.

Ausbeutung der Frau

Provokation gehört zum Programm der ehemaligen Klosterschülerin, die als Studentin auf dem Wiener Konservatorium den Weg zur Literatur fand. Krasse Bilder kennzeichnen Romane und Dramen der 57-Jährigen. Dabei beschäftigt sich die als "erbarmungslose Moralistin" bekannte Jelinek vor allem mit der sexuellen Ausbeutung der Frau.

Elfriede Jelinek
Der Nobelpreis sei nicht "als Blume in Knopfloch für Österreich" zu betrachtenBild: AP

Immer wieder prangerte Jelinek, die zu den meist beachteten und gespielten deutschsprachigen Gegenwartsautorinnen gehört, die "allgegenwärtigen männlichen Herrschafts- und Gewaltverhältnisse in Ehe und Gesellschaft" an.

"Extreme und radikale" Schriftstellerin

Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki hat sich am Donnerstag (7.10.2004 ) "außerordentlich erfreut" über den Literatur-Nobelpreis für Elfriede Jelinek gezeigt. Es sei gut, dass zum ersten Mal seit Nelly Sachs wieder eine Repräsentantin der deutschsprachigen Literatur diese hohe Auszeichnung erhalten habe. Reich-Ranicki bezeichnete Jelinek als "äußerst extreme und radikale" Schriftstellerin. "Meine Bewunderung für ihr Werk hält sich in Grenzen. Meine Sympathie für ihren Mut, ihre Radikalität, ihre Entschlossenheit und ihre Wut ist enorm", sagte er in Frankfurt.

Jelinek will nicht nach Stockholm

Ein Sportstück von Elfriede Jelinek
In dem Theaterstück "Ein Sportstück", von Elfriede Jelinek spielt Nils Krack während einer Fotoprobe am 2.12.1998 ein "Opfer als Jesus"Bild: dpa

Elfriede Jelinek hat den Literatur-Nobelpreises als "überraschende und große Ehre" bezeichnet. Gleichzeitig fürchte sie jedoch, dass der Preis "zu einer persönlichen Belastung" werden könnte. Im schwedischen Rundfunk sagte sie, sie werde zur Verleihung am 10. Dezember wegen Krankheit nicht nach Stockholm kommen. "Ich kann mich im Moment Menschen nicht aussetzen", sagte die Autorin und meinte weiter, sie betrachte den Nobelpreis nicht "als Blume im Knopfloch für Österreich".

Elfriede Jelinek ist die erste Frau seit der polnischen Dichterin Wislawa Szymborska im Jahr 1996, die den renommierten Preis erhält. Seit der ersten Preisverleihung 1901 haben erst neun Frauen die renommierteste Auszeichnung der literarischen Welt erhalten. (mb)