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Norddeutschland als Energiewende-Vorbild

Gero Rueter22. April 2014

Das Bundesland Schleswig-Holstein ist Vorreiter bei den erneuerbaren Energien. Hier wurden die ersten Windanlagen gebaut. Die ländliche Region profitiert vom Boom. Schon bald soll Ökostrom exportiert werden.

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Windanlagen in Schleswig-Holstein (Foto: Gero Rueter)
Bild: DW/G.Rueter

An der norddeutschen Küste in Friesland ist die Energiewende unübersehbar. Entlang der Küste drehen sich hunderte Windräder kontinuierlich im Wind, fast alle Bauernhofdächer sind mit Solarmodulen belegt, auf einigen Feldern wird Mais für Biogasanlagen angebaut.

Die dezentrale Energiegewinnung wurde in den vergangenen 25 Jahren von den Bürgern und Bauern aufgebaut. Eine Investition von mehreren Milliarden, die sonst nur Großkonzerne stemmen. "Neun von zehn Mühlen drehen sich hier in Bürgerhand", erklärt Nicole Knudsen vom Bundesverband Windenergie in Schleswig-Holstein. "Da sind in einigen Dörfern 600 von 800 Einwohnern an den Windparks beteiligt. Das ist eine echte Bürgerbeteiligung."

Ernst Hinrichsen ist einer von tausenden, die gerne in die Energiewende vor Ort investieren. Für seine Beteiligung am nächsten Bürgerwindpark nimmt der ehemalige Insolvenzrichter einen Kredit bei der örtlichen Bank auf. Dort kennt man das Geschäft gut und weiß, dass es funktioniert. Mit dem Stromverkauf wird der Kredit abgezahlt. Gerechnet werde mit einer Rendite zwischen sieben und acht Prozent, erklärt Hinrichsen, der als Beirat die Geschäftsführung des Bürgerwindparks Galmsbüll kontrolliert.

Ernst Hinrichsen Beiratsvorsitzender des Bürgerwindparks Galmbüll vor Windrädern. (Foto: Gero Rueter)
Ernst Hinrichsen freut sich über die Windkraft in seiner RegionBild: DW/G.Rueter

Lernprozess als Basis zum Erfolg

Die Windenergie hatte früher viele Dörfer gespalten. Landwirte, auf deren Feldern die Windräder gebaut wurden, profitierten während die Mehrheit leer ausging. "Da blühte der Neid, und die Nachbarn kriegten sich in die Wolle", beschreibt Hinrichsen die damalige Situation.

Um den Streit zu beenden, um alle am Profit zu beteiligen und auch um die Kosten der Windparks zu minimieren, werden Windparks inzwischen optimiert geplant und gebaut. "Wir zahlen eine Pacht für alle Flächen, auf denen Windräder gebaut werden können. Diese Pacht ist für alle gleich", erklärt Jess Jessen, Bauer und Geschäftsführer des Bürgerwindparks Galmsbüll. Zusätzlich wird in Galmsbüll eine kleine Entschädigung für den Standort der Windanlage bezahlt, da dort die Ernte ausfällt.

Neben der Befriedung gibt es durch die Flächenpacht einen weiteren Vorteil. "Wir hatten in den letzten fünf Jahren zwei Technologiesprünge", so Jessen. Mit diesem Pachtmodell können Windparkbetreiber flexibel reagieren, größere und effizientere Anlagen aufstellen und den Ertrag optimieren.

Landwirtschaftlicher Betrieb mit windkraft, Biomasse und solardach (Foto: Gero Rueter)
Die Energieerzeugung wird zum wichtigen StandbeinBild: DW/G. Rueter

Die Stimmung in Galmsbüll ist heute mit der der Anfangsjahre nicht mehr vergleichbar. Am neu geplanten Bürgerwindpark Galmsbüll beteiligen sich 430 von 500 Bürgern, sagt Hinrichsen. "Vier Millionen Euro wollten wir einsammeln, über zehn Millionen wurden uns von den Bürgern angeboten. Das zeigt, dass die Idee der Bürgerbeteiligung hier Fuß gefasst hat", so Hinrichsen.

Neue Jobs und mehr Einkommen auf dem Land

Die Akzeptanz für den Ausbau der Windenergie ist in Schleswig-Holstein, dem nördlichsten Bundesland, inzwischen sehr groß. 70 Prozent sprechen sich für neue Windparks aus, bis 2020 soll die aktuelle Windkraftleistung von derzeit rund 3700 Megawatt auf 9000 Megawatt ausgebaut werden.

Für die Gemeinden, Bauern und Bürger in Schleswig-Holstein sind die erneuerbaren Energien und vor allem die Windenergie zu einer sehr wichtigen Einkommensquelle geworden. Die Kommunen nehmen durch die Windenergie jährlich allein 50 Millionen Euro Gewerbesteuer ein, Landwirte und Bürger sichern sich ein Zusatzeinkommen und es entstehen tausende neuer Jobs. Rund 7000 Menschen arbeiten allein in der Windindustrie.

Stromexport mit Erneuerbaren Energien

Schleswig-Holstein ist sehr ländlich geprägt, hat knapp drei Millionen Bürger und ist in Deutschland Vorreiter bei der Windenergie. Vor 25 Jahren errichteten Bauern wie Jess Jessen die ersten Windräder auf ihren Höfen. Inzwischen werden parteienübergreifend die erneuerbaren Energien als wichtiger Wirtschaftsektor geschätzt.

Mehr als die Hälfte des Strombedarfs von Schleswig-Holstein wird aus erneuerbaren Energien gedeckt. Davon stammen 70 Prozent aus der Windkraft, 20 Prozent aus Biomasse und zehn Prozent aus der Photovoltaik. Die rot-grüne Landesregierung will die Energiewende weiter stark ausbauen. Als erstes Bundesland hat man hier ein eigenes Ministerium für die Energiewende, das auch für Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Entwicklung zuständig ist.

Jess Jessen vor Umspannanlage (Foto: Gero Rueter)
Bauer Jess Jessen gehört zu den Pionieren. Auch dieses Umspannwerk für mehrere Windparks ist in BürgerhandBild: DW/G.Rueter

Bis 2015 soll der Strombedarf Schleswig-Holsteins zu gänzlich aus erneuerbaren Energien gedeckt werden und 2020 zusätzlich die zwei- bis dreifache Menge an erneuerbarem Strom in die Nachbarregionen exportiert werden. Vor allem soll das angrenzende Hamburg vom Ökostrom profitieren. "Wir haben stetig viel Wind und können so den Strom günstig produzieren“, sagt Ingrid Nestle, Staatsekretärin für Energie und Landwirtschaft im DW-Interview.

Um den Ausbau der erneuerbaren Energien zu ermöglichen, hat die Landesregierung die Flächen zur Windnutzung bereits verdoppelt. Den notwendigen Stromnetzausbau pflegt die Regierung durch einen frühzeitigen und intensiven Bürgerdialog. Erneuerbarer Strom braucht aber auch Speicher, deshalb soll eine starke Stromleitung durch das Meer nach Norwegen gebaut werden. "Da gibt es riesige Speicher in Form von Stauseen, die bisher nicht gebraucht werden", erklärt die Staatssekretärin.

Nestle sieht die Energiewende als große Chance für ländlich geprägte Regionen wie Schleswig-Holstein. Aufgabe der Politik sei es vor allem, verlässliche Rahmenbedingungen zu schaffen und alle Bürger zu beteiligen. "Anwohner werden so tatsächlich zu Machern. Das führt zu Akzeptanz, Geld wird mobilisiert, neue Ideen werden entwickelt", so Nestle.