Karlsmedaille
9. Mai 2012Ungeachtet staatlicher Restriktionen in Russland setze sich die "Nowaja Gazeta" (Neue Zeitung) für die demokratischen Grundwerte der Meinungs- und Pressefreiheit sowie die Menschenrechte ein, hieß es in der Begründung der Jury in Aachen. Dass die "Nowaja Gaseta" am Donnerstag (10.5.2012) mit der Karlsmedaille geehrt wird, überrascht den Leiter der Moskauer Stiftung zur Verteidigung von Glasnost, Alexej Simonow, nicht. Sie sei schließlich "das klügste Blatt Russlands". "Für Vertreter der russischen Intelligenzia ist es eine Ehre, dort Artikel zu publizieren", sagte der Menschenrechtler im Gespräch mit der Deutschen Welle. Die Leser der "Nowaja Gaseta", so Simonow, seien vor allem Vertreter der Mittelschicht im Alter zwischen 25 und 45 Jahren.
Gefährliche Themen
Redaktionen der "Nowaja Gaseta", die für ihren Enthüllungsjournalismus bekannt ist, gibt es in zwölf russischen Städten, aber auch in Deutschland, Frankreich und Israel. Für das Hauptbüro in Moskau arbeiten 70 Journalisten. Elena Kostjutschenko ist seit acht Jahren dabei. Ihre Tätigkeit für die "Nowaja Gaseta" ist für die Reporterin mehr als nur ein Job. Sie schätze besonders die gute Atmosphäre in der Redaktion und die Zusammenarbeit mit ihren Kollegen. Wenn es viel Arbeit gibt, übernachtet die 24-Jährige sogar im Büro.
Kostjutschenko schreibt über regierungskritische Aktivisten und deren Proteste, aber auch über korrupte Polizisten, sexuelle Minderheiten und Drogenabhängige. Dass die Berichterstattung über solche Themen in Russland nicht ungefährlich ist, weiß die Journalistin aus eigener Erfahrung. Regelmäßig bekommt sie anonyme Drohanrufe. Doch Kostjutschenko bleibt gelassen. "Man will mich einschüchtern, aber ich denke, wenn jemand wirklich einen Überfall auf mich plant, wird er nicht vorher bei mir anrufen", sagt sie. Vor einem Jahr wurde die Journalistin bei einer Protestaktion tatsächlich überfallen und musste im Krankenhaus behandelt werden. An Aufgeben denkt sie aber nicht. "Wir müssen weitermachen für die Kollegen, die wir verloren haben", betont Kostjutschenko.
Blumen für Anna Politkowskaja
Sechs Mitarbeiter der "Nowaja Gaseta" wurden in den vergangenen zwei Jahrzehnten ermordet. Ihre Porträts hängen an der Wand des Moskauer Redaktionsbüros, darunter auch das von Anna Politkowskaja. Der Arbeitsplatz der erschossenen Journalistin mit Telefon, Lampe und Büchern im Regal sieht heute noch genauso aus wie vor ihrem Tod. Sie war vor fast sechs Jahren in ihrem Wohnhaus erschossen worden. Der Fall erregte damals großes Aufsehen. Bis heute ist der Auftraggeber der Tat nicht bekannt. Auf Politkowskajas Tisch in der Redaktion steht ein Blumenstrauß. "Die Blumen bringen unsere Leser", sagt die Pressesprecherin der Zeitung, Nadeschda Prusenkowa.
Ihr zufolge ist die regierungskritische Berichterstattung auch Grund für die gegenwärtigen Finanzprobleme der Zeitung. "Die Werbeeinnamen sind gering, weil nur wenige Unternehmen sich trauen, bei uns zu inserieren", erläutert Prusenkowa. Finanzprobleme hatte die "Nowaja Gaseta" seit ihrer Gründung im Jahr 1993 schon öfter. Finanziert wird die Zeitung zu einem Großteil vom russischen Bankier Alexander Lebedew, der 39 Prozent der Aktien an der "Nowaja Gazeta" hält.
"Die Auszeichnung gibt uns Auftrieb"
Die Nachricht über die Auszeichnung mit der Karlsmedaille kam für die Redaktion der "Nowaja Gaseta" überraschend. "Das gibt uns Auftrieb, weiterzumachen", sagt Prusenkowa. Die Mitarbeiter der Zeitung seien glücklich und stolz.
Für ihre kritische Berichterstattung wurde die Zeitung bereits mit dem Henri-Nannen-Preis für Pressefreiheit, dem Bucerius-Förderpreis "Freie Presse Osteuropas" und mehreren anderen Preisen geehrt. "Jede internationale Auszeichnung ist ein wichtiges Signal an die russische Regierung", unterstreicht Kostjutschenko. Alle Preise würden zum Schutz von Journalisten in Russland beitragen.