Ministerpräsidenten stimmen für NPD-Verbotsverfahren
6. Dezember 2012Die Bundesländer wollen zehn Jahre nach dem gescheiterten ersten Versuch, einen neuen Anlauf wagen, die rechtsextreme Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) zu verbieten. Die Ministerpräsidenten der Länder sprachen sich am Donnerstag (06.12.2012) geschlossen dafür aus. Die Bundesregierung will erst im kommenden Jahr darüber entscheiden, ob sie im Schulterschluss mit den Ländern einen NPD-Verbotsantrag stellen wird. "Wir haben unsere Meinungsbildung noch nicht abgeschlossen", sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel.
Zurzeit ist die rechtsextremistische Partei in zwei Landesparlamenten vertreten, in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen. Der erste Versuch, die NPD zu verbieten, scheiterte 2003 aus formalen Gründen. Die Richter zweifelten an der Glaubwürdigkeit der Beweisführung. Denn ein Großteil des belastenden Materials stammte von hochrangigen NPD-Funktionären, die gleichzeitig Vertrauensleute (V-Leute) des Verfassungsschutzes waren. Deren wahre Identität blieb den Bundesverfassungsrichtern verborgen - der Geheimdienst schützte seine Quellen.
V-Leute angeblich "abgeschaltet"
Um die Chancen für einen zweiten Anlauf zu verbessern, haben sich die für den Verfassungsschutz zuständigen Innenminister im Frühjahr darauf verständigt, die V-Leute in der NPD-Spitze "abzuschalten", wie es im Geheimdienstjargon heißt. Außerdem haben sie umfangreiches Material aus frei zugänglichen Quellen wie Internetseiten oder öffentlichen Auftritten gesammelt, das die Verfassungsfeindlichkeit der Partei belegen soll. Rund 1000 Seiten seien zusammengekommen, heißt es in Medienberichten. Offenbar schätzen die meisten Ministerien den Inhalt als brisant genug ein, um erneut ein Verbotsverfahren anzustrengen.
Auch der lange skeptische Innenminister des Landes Niedersachsen, Uwe Schünemann, unterstützt nun einen zweiten Anlauf. Der Christdemokrat hofft, dass der christlich-soziale Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich auf den Kurs der Befürworter einlenkt. Doch der zögert bislang. Zwar könnten die Bundesländer auch im Alleingang ein weiteres NPD-Verbotsverfahren vor dem Verfassungsgericht beantragen. Lieber wäre den Befürwortern allerdings ein gemeinsames Vorgehen mit der Bundesregierung und dem Deutschen Bundestag - davon ginge ein geschlossenes politisches Signal aus. Schünemann ist zuversichtlich, dass Friedrich und die Bundesregierung mitziehen werden, "denn 80 Prozent des belastenden Materials kommem vom Bundesamt für Verfassungsschutz". Und das untersteht dem Bundesinnenminister.
Skeptiker befürchten Aufwertung der Rechtsextremisten
Ginge es nach Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, dann gäbe es kein Verbotsverfahren. Die Freidemokratin warnt wie ihre gesamte Partei seit langem vor den Risiken eines Scheiterns - denn das würde die NPD unbeabsichtigt aufwerten. Ihr nachzuweisen, sie agiere "aggressiv-kämpferisch" gegen die demokratische Grundordnung, sei schwierig. Das ist jedoch gemäß Grundgesetz die Bedingung für ein Parteiverbot. Der Berliner Politikwissenschaftler Gero Neugebauer teilt diese Skepsis. Es müsse Belege für antidemokratische Aktivitäten "in Wort und Tat" geben, sagte er im Gespräch mit der Deutschen Welle.
"Es geht um den Beweis, dass die NPD-Ziele mit Gewalt durchgesetzt werden sollen", betont Neugebauer, der gleichzeitig vom verfassungsfeindlichen Charakter der rechtsextremistischen Partei überzeugt ist. Sie propagiere Ausländerfeindlichkeit, Antisemitismus und Chauvinismus. "Ihr Verhältnis zur Demokratie ist eine fundamentale Opposition", betont der Politologe von der Freien Universität Berlin.
Politischer Arm mutmaßlicher Mörder?
Seit dem Auffliegen des "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU) wird darüber spekuliert, ob die NPD der parteipolitische Arm des rechtsterroristischen Netzwerks ist. Dem NSU werden unter anderem zehn fremdenfeindlich motivierte Morde zur Last gelegt. Unter den Angeklagten, die sich schon bald vor Gericht verantworten müssen, ist der frühere stellvertretende NPD-Chef Thüringens, Ralf Wohlleben. In dem Bundesland war auch das 1998 untergetauchte NSU-Trio Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt aktiv. Belastbares Material über eine organisatorische Verbindung zwischen dem NSU und der NPD scheint es allerdings nicht zu geben.
Sollte ein zweites Verbotsverfahren in Gang kommen und die NPD am Ende wegen nachgewiesener Verfassungswidrigkeit verboten werden, will die Partei vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg ziehen. Nach dessen Rechtsprechung ist das Verbot einer politischen Partei das äußerste Mittel, die ultima ratio. Dass der EGMR strengere Maßstäbe anlegen könnte als das Bundesverfassungsgericht, ist die Hoffnung der NPD. Leitgedanke des Straßburger Gerichtshofs ist die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten. Im Zentrum stehen dabei die Meinungs- und Vereinigungsfreiheit.
Schlüsselrolle des Europäischen Gerichtshofs
Der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages untersuchte 2007 Urteile der europäischen Richter. Demnach haben sie in der Vergangenheit ein Parteiverbot auch an den Chancen einer Partei bemessen, "demokratiefeindliche Ziele politisch durchzusetzen". In dieser Logik wurde 1998 das Verbot der türkischen Wohlstandspartei bestätigt, die damals Umfragen zufolge sogar die Mehrheit der Bevölkerung hinter sich hatte. Davon kann die NPD nicht einmal träumen. In bundesweiten Umfragen bleibt sie unter einem Prozent potenzieller Wähler.
Gerade deshalb aber ist eine paradox anmutende Entwicklung denkbar, die Skeptiker als Horrorvision vor Augen haben: Das Bundesverfassungsgericht erklärt die NPD für politisch tot, und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte haucht der rechtsextremistischen Partei wieder Leben ein.