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Der "Feind" lässt Lateinamerika gut aussehen

Renate Krieger13. Juli 2013

Das Spionage-Netzwerk der USA erstreckt sich nach Medienberichten auf ganz Lateinamerika. Die Staats- und Regierungschefs in der Region zeigen sich empört - könnten davon aber auch profitieren.

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Bei Protesten wird eine USA-Flagge verbrannt. (Foto: AFP/Ronaldo Schemidt)
Protest gegen die USA in Mexiko nach erzwungener Zwischenlandung von Boliviens Präsident Morales in WienBild: Ronaldo Schemidt/AFP/Getty Images

Sowohl neue Informationen des US-amerikanischen Whistleblowers Edward Snowden als auch die erzwungene Zwischenlandung des bolivianischen Präsidenten Evo Morales in Wien könnten eine Gelegenheit für Staats- und Regierungschefs in Lateinamerika sein, sich mit dem alten Feindbild der USA als Opfer und Helden darzustellen.

Sie haben am Freitag (12.07.2013) am Ende des Gipfels des südamerikanischen Länderbündnisses Mercosur ein Dokument veröffentlicht, um die Abhörung und Überwachung von Internetdaten und Telefonverbindung von Bürgern in Lateinamerika durch die USA zu verurteilen. Die gemeinsame Erklärung drückt die Besorgnis der Länder über die Spionage in der Region aus.

Enormes Ausmaß der NSA-Spionage

Am Dienstag (09.07.2013) hatte die brasilianische Zeitung "O Globo" berichtet, dass sich das Spionage-Netzwerk der USA, das durch Snowden aufgedeckt wurde, offenbar auf ganz Lateinamerika erstreckt. Die Spähprogramme zielten nicht nur auf militärische Angelegenheiten, sondern auch auf Geschäftsgeheimnisse, so der Zeitungsbericht. Hauptsächlich abgehört worden seien Brasilien, Mexiko und Kolumbien - letzteres der wichtigste militärische Partner der USA in der Region, in der die Amerikaner hauptsächlich den Drogenhandel und die Bewegungen der rebellischen FARC-Guerilla im Visier haben.

In Mexiko wurde den Informationen zufolge sowohl der Drogenhandel als auch die Energiebranche unter die Lupe genommen. In Venezuela sammelten die USA hauptsächlich Informationen über den Erdölsektor. Auch Argentinien, Ecuador, Panama, Costa Rica, Nicaragua, Honduras, Paraguay, Chile, Peru und El Salvador wurden in kleinerem Maße ausspioniert, wie aus den Dokumenten der NSA hervorgeht, die "O Globo" nach eigenen Angaben vorliegen.

Obama und Rousseff begrüßen sich (Foto: AP)
Obama trifft Präsidentin Rousseff 2011: Brasilien war das meist beobachtete Land in LateinamerikaBild: AP

Politische Abgrenzung und interne Mobilisierung

Die Empörung über die NSA-Affäre hat jedoch auch positive Auswirkungen für die lateinamerikanischen Staatschefs. Zum einen hätte die erzwungene Landung von Morales, durch die die Reaktionen gegen die USA letzte Woche eskaliert seien, für ein engeres Zusammenrücken der Länder Lateinamerikas gesorgt, erklärte Bettina Schorr. Sie ist Lateinamerika-Expertin bei dem Forschungnetzwerk DesiguALdades über soziale Ungleichheiten in der Region. "Lateinamerika hat sich in den letzten Jahren sehr stark geändert und ist von einer vorherigen großen Abhängigkeit von den USA weggekommen", sagt Schorr im Gespräch mit der Deutschen Welle. Diese Unabhängigkeit sei nicht nur auf die globalen wirtschaftlichen Entwicklungen zurückzuführen, sondern auch auf die Veränderung der politischen Situation seit dem Ende der 90er Jahre, als linke Parteien und Regierungen in der Region sukzessive an die Macht gekommen sind.

Zum anderen funktioniere der Skandal auch intern: Die Machthaber könnten sich dadurch profilieren, erklärt die Expertin. Die Affäre sei für Präsident Morales aus Bolivien, wo nächstes Jahr Wahlen stattfinden, eine "wahnsinnige Kampagnehilfe". So könnte er sich als Opfer "imperialistischer Machenschaft" gegenüber den Wählern darstellen - und auch als jemanden, der mit der Solidarität der Nachbarländer gegen diese Machenschaft ankämpft. "Die USA werden als der große Feind dargestellt, es ist ein Argument, das mobilisierend wirkt und das die Leute auf die Barrikaden bringt, weil man sich da so ungerecht behandelt fühlt."

Boliviens Präsident Evo Morales am 4. Juli 2013 in Cochabamba. (Foto: Reuters/David Mercado)
Morales nach der Rückkehr aus Wien: politische Chance?Bild: Reuters

Der historische Unmut über die gewollte Dominanz der USA in der Region sei mit zahlreichen Beispielen zu begründen, meint auch Bert Hoffmann, Direktor des Instituts für Lateinamerikanische Studien des GIGA-Instituts in Hamburg. Er nennt den Sturz der sozialistischen Regierung von Salvador Allende 1973 durch das Militär - die USA haben den Putsch politisch und finanziell unterstützt. Auch in Guatemala hat Washington beim Sturz des Präsidenten Jacobo Arbenz 1954 mitgemischt.

Starke Reaktion, die verpufft?

Neben der gemeinsamen Erklärung zu den Ausspäh-Aktivitäten der USA in Lateinamerika haben die Machthaber in der Region zum Ende des Mercosur-Gipfels auch den Zwangsstopp des bolivianischen Staatschefs Evo Morales in Wien verurteilt. Die Mitgliedsstaaten vereinbarten, aus Protest ihre Botschafter "zu Konsultationen" aus Frankreich, Italien, Spanien und Portugal zurückzurufen. Morales wurde der Überflug dieser vier europäischen Länder bei seinem Rückflug von einer Dienstreise aus Russland untersagt, weil er verdächtigt wurde, Whistleblower Edward Snowden mit an Bord zu haben.

Auch Kolumbien, Mexiko und Chile übten diese Woche verschärfte Kritik gegenüber den USA aus und verlangten Erklärungen über das Sammeln von Informationen. Die drei Regierungen gelten als traditionelle Verbündete Washingtons in der Region.

Augusto Pinochet und andere Uniformierte nehmen eine Militärparade ab (Foto: Picture Alliance/dpa)
Nach dem von den USA unterstützten Putsch in Chile 1973 regierte die Junta von Augusto Pinochet (l.)Bild: picture-alliance/dpa

Mehr als ein diplomatisches Aufbrausen Lateinamerikas sei andererseits nicht zu erwarten, sagt Bert Hoffmann vom GIGA-Institut. Die Staaten der Region wüssten, "dass es keine Entschuldigung geben wird". Zudem würden die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Nord- und Südamerika weiterhin eng bleiben. "Viele Staaten wollen nicht in einen offenen Konflikt mit den USA treten." Trotzdem haben Venezuela, Bolivien und Nicaragua Snowden Asyl angeboten.