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NSU-Prozess: Kartell der Ahnungslosen

Marcel Fürstenau16. Dezember 2015

Eine Woche nach der Hauptangeklagten Beate Zschäpe bricht der frühere NPD-Funktionär Ralf Wohlleben sein langes Schweigen. Allein schon der späte Zeitpunkt lässt die Darstellungen der beiden unglaubwürdig erscheinen.

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Angeklagter im NSU-Prozess: Ralf Wohlleben (i.) neben seiner Verteidigerin Nicole Schneiders in einer Aufnahme aus dem Januar 2014
Im Januar 2014 dachten Wohlleben (l.) und seine Verteidigerin Schneiders noch nicht an eine AussageBild: picture-alliance/dpa

Zwei Jahre und sieben Monate haben sie keinen Ton gesagt im Strafverfahren gegen den Nationalsozialistischen Untergrund (NSU), das seit dem 6. Mai 2013 vor dem Oberlandesgericht in München geführt wird. Und plötzlich sprudelt es geradezu aus ihnen heraus. Vor einer Woche, am 249. Verhandlungstag, ließ Beate Zschäpe ihren Pflichtverteidiger Mathias Grasel eine 53 Seiten lange Erklärung verlesen. Der Tenor: Sie habe nichts zu tun mit den zehn rassistisch motivierten Morden, den Bombenanschlägen und Raubüberfällen, die der rechtsterroristischen Gruppe zur Last gelegt werden. Ähnlich äußerte sich nun, am 251. Verhandlungstag, der wegen Beihilfe angeklagte Ralf Wohlleben. Anders als Zschäpe trug er seine Aussage selbst vor.

Über die Beweggründe ihrer Kehrtwende kann nur spekuliert werden. Glaubt man Zschäpes erst seit Sommer tätigen vierten Pflichtverteidiger Grasel, hat seine Mandantin gegen ihre Überzeugung so lange die Aussage verweigert. Angeblich auf eindringliches Anraten ihrer drei seit Prozess-Beginn beteiligten Pflichtverteidiger, die sie schon seit längerem loswerden will. Bei Wohlleben lautete die Begründung, er wolle sich gegen "Lügen und Unterstellungen" zur Wehr setzen. So meldete sich seine Anwältin Nicole Schneiders schon Ende November via Facebook zu Wort. Dort hieß es auch: "Der Entschluss zur Aussage fiel unabhängig von der Ankündigung von Frau Zschäpe, ihrerseits Angaben zur Sache zu machen."

Wohlleben bestreitet Verwicklung in Beschaffung der Waffe

Auch in diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, warum Wohlleben erst jetzt redet? Denn die ihn belastenden Aussagen der ebenfalls wegen Beihilfe angeklagten Carsten S. und Holger G. liegen zweieinhalb Jahre zurück. Dabei ging es um die Beschaffung der Waffe, mit der Zschäpes Komplizen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos von September 2000 bis April 2007 auf Mord-Tour gegangen sein sollen. Carsten S. hat zugegeben, die Waffe vom Typ "Ceska" an die mutmaßlichen NSU-Täter übergeben zu haben. Den Auftrag will er von Wohlleben erhalten haben. Der bestreitet diese Darstellung nun mit reichlicher Verzögerung. Er will sogar "erschrocken und verärgert" gewesen sein, als S. bei ihm mit der Waffe aufgetaucht sei. Und als "Lüge" bezeichnete der 40-Jährige die von Holger G. stammende Aussage, er habe von Wohlleben eine Waffe erhalten.

Der wegen Beihilfe im NSU-Prozessa angeklagte Holger G. versteckt sein Gesicht hinter einer Mappe
Holger G. belastete Ralf Wohlleben schon zu Beginn des NSU-Prozesses schwerBild: Reuters

Zeitpunkt und Inhalt der Erklärung lassen den früheren Funktionär der rechtsextremen NPD kaum glaubwürdig erscheinen. Die maßgeblichen Anklagepunkte im NSU-Prozess sind weitgehend verhandelt worden. Für Wohlleben und Zschäpe zeichnen sich hohe Haftstrafen ab. Beide sind seit vier Jahren in Untersuchungshaft. Auch das zehrt an den Nerven. Dass sie die nun verloren haben, wäre sicherlich eine übertriebene Interpretation. Die Chance auf ein aus ihrer Sicht milderes Urteil dürften sie aber endgültig verspielt haben. Beide haben sich als Opfer inszeniert, die durch widrige persönliche Lebensumstände ins rechte Milieu geraten sein wollen.

"Mitgefühl" nach zweieinhalb Jahren NSU-Prozess

Die Verbundenheit mit dieser Szene ging so weit, dass Wohlleben dem Trio Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos 1998 beim Gang in den Untergrund half. Das gab er jetzt sogar zu. Von der Existenz des NSU will er aber erst erfahren haben, als der am 4. November 2011 aufgeflogen ist. "Entsetzt" sei er, dass seine alten Freunde kaltblütig Menschen getötet hätten. Warum jetzt erst? Und warum wartete er bis zum 251. Verhandlungstag damit, den Angehörigen der Opfer sein "Mitgefühl" auszudrücken?

Die gleichen Fragen muss sich Zschäpe gefallen lassen. Es dauerte bei ihr 249 Verhandlungstage, bis sie sich "aufrichtig" bei den Familien der NSU-Opfer entschuldigte. Für Taten, über die sie von den mutmaßlichen Mördern in 13 gemeinsamen Jahren in der Illegalität immer erst danach erfahren haben will. Was von ihrer Aufrichtigkeit zu halten ist, lässt sich an der Weigerung ablesen, Fragen der Opfer-Angehörigen, aber auch der Bundesanwaltschaft zu beantworten. Wohlleben will immerhin auf Fragen aller Prozessbeteiligten eingehen. Er wird das im Gegensatz zu Zschäpe mündlich tun.

Zschäpe verwischte Spuren und enttarnte den NSU

Die Komplizin von Böhnhardt und Mundlos will dem Vorsitzenden Richter Götzl nur schriftlich antworten. Der hat bereits am Dienstag 63 Fragen zu ihrer Erklärung aus der vergangenen Woche gestellt. Ungereimtheiten finden sich darin eine ganze Menge. Zum Beispiel, warum Zschäpe nach dem mutmaßlichen Freitod ihrer Weggefährten gleichzeitig Spuren beseitigt, aber auch die Bekenner-Videos verschickt hat? Damit enttarnte sich der NSU selbst. Es dauerte dann noch eineinhalb Jahre, bis der Prozess beginnen konnte. Das Urteil könnte im Frühjahr 2016 fallen.