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Neuer Strafverteidiger, alte Strategie

Marcel Fürstenau, zur Zeit München14. Juli 2015

Seit Beate Zschäpe einen vierten Pflichtverteidiger hat, wirkt die Hauptangeklagte im NSU-Prozess wie ausgewechselt. Aber ändert sich auch Grundlegendes? Aus München berichtet Marcel Fürstenau.

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Mathias Grasel NSU Prozess neuer Anwalt Zschäpe
Bild: Reuters/M. Rehle

Es ist eine Zäsur im Prozess gegen den Nationalsozialistischen Untergrund vor dem Münchener Oberlandesgericht. Zwei Jahre und zwei Monate oder 215 Verhandlungstage wurde die mutmaßliche Rechtsterroristin Beate Zschäpe von einem Trio verteidigt. Aus Sicht der Angeklagten erledigten Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl und Anja Sturm ihren Job aber mehr schlecht als recht.

Doch jetzt hofft sie auf Besserung. In der vergangenen Woche entschied der Vorsitzende Richter Manfred Götzl, der Hauptangeklagten einen vierten Pflichtverteidiger beizustellen. Der Neue, Mathias Grasel (im Bild oben), beantragte umgehend eine dreiwöchige Unterbrechung. Begründung: Er müsse sich zunächst einarbeiten. Götzl hielt eine Woche Vorbereitung für ausreichend. Deshalb wird der NSU-Prozess seit Dienstag fortgesetzt.

Das Interesse an dem 30-jährigen, also noch recht unerfahrenen Strafverteidiger Grasel, ist unübersehbar. Kurz vor Verhandlungsbeginn drängen sich etwa ein Dutzend Fotografen und Kameraleute im Sitzungssaal A 101. Sonst sind es nur halb so viele. Kurz vor halb zehn erscheint Zschäpes angestammtes Verteidiger-Trio und platziert sich vor der Anklagebank. Wenig später betritt Grasel den Saal, schlängelt sich an seinen Kollegen vorbei und nimmt rechts neben ihnen Platz. Ihre gemeinsame Mandantin fehlt noch. Alle scheinen auf Zschäpe zu warten. Auch von den Richtern und Vertretern der Bundesanwaltschaft ist noch niemand zu sehen.

Zschäpe vollführt das übliche Ritual

Nach etwa zehn Minuten beenden Stahl und Grasel das Schweigen und wechseln ein paar Worte. Auch Heer und Sturm sprechen wenig später kurz mit dem Neuen. Vielleicht unterhalten sie sich über das bevorstehende Ritual, das einsetzt wenn Zschäpe den Saal betritt. Immer wenn unmittelbar vor Verhandlungsbeginn fotografiert und gefilmt werden darf, wendet die 40-Jährige den Medienleuten ihren Rücken zu. Dieses Mal wird die Hauptangeklagte von vier Pflichtverteidigern abgeschirmt. So wird es auch künftig sein.

Zschäpe von hinten neben ihren Pflichtverteidigern Grasel, Stahl, Sturm und Heer (v.l.n.r.)
Zschäpe von hinten neben ihren Pflichtverteidigern Grasel, Stahl, Sturm und Heer (v.l.n.r.)Bild: Reuters/M. Rehle

Vier statt drei - viel mehr scheint sich zunächst nicht geändert zu haben. Die Verhandlungsstrategie der jetzt vier Pflichtverteidiger ist offenbar die alte: Zschäpe schweigt weiter. Vor ein paar Wochen hat sie in einem Schreiben an Richter Götzl angedeutet, sie würde vielleicht "etwas aussagen". Im Gegenzug erwartete sie, dass ihre Verteidiger der ersten Stunde entpflichtet werden. Es war wohl das durchschaubare Manöver einer zu diesem Zeitpunkt sichtbar gezeichneten Angeklagten. Der lange Prozess, die selbst auferlegte Verschwiegenheit, die Einsamkeit in der Haftanstalt haben Spuren hinterlassen.

Die Angeklagte trägt ihr Selbstbewusstsein zur Schau

Plötzlich scheinen die Strapazen verflogen zu sein. Zschäpe sieht zwar weiterhin blass aus, Gestik und Mimik erinnern jedoch an die ersten Monate des NSU-Prozesses: Sie strahlt Selbstbewusstsein aus. Am 217. Verhandlungstag trägt Zschäpe einen dunklen Hosenanzug und das braune Haar offen. So betrat die wegen zehnfachen Mordes, mehrfachen versuchten Mordes und Bombenanschlägen Angeklagte auch zu Prozessbeginn am 6. Mai 2013 den Gerichtssaal. Es soll wohl ein Statement der Stärke sein, das niemand übersehen möge: Richter, Ankläger, Opfer-Anwälte, die Öffentlichkeit - und die rechte Szene.

Für ihren vierten Pflichtverteidiger sind es neue Eindrücke. Grasel kannte seine Mandantin lange nur aus den Medien. Nun sitzt er direkt rechts neben Zschäpe, redet immer wieder mit ihr, lächelt manchmal. Er genießt das Vertrauen der mutmaßlichen Rechtsterroristin aus Jena. Warum das so ist, darüber kann nur spekuliert werden. Wie Grasels Verhältnis zu seinen drei Kollegen ist, darüber ist bislang nichts bekannt. Aus professionellen Gründen müssen sie zusammenarbeiten. Ein Ausscheiden aus diesem historischen Strafverfahren wäre ein Imageschaden. Dass Zschäpe die anderen drei am liebsten los werden würde, macht die Sache nicht gerade leichter.

Eine Zeugin erkennt Zschäpe auf Fotos

Um 11:58 Uhr bittet Grasel um eine kurze Unterbrechung. Er wolle sich mit seiner Mandantin besprechen. Richter Götzl verkündet daraufhin gleich die Mittagspause. Als es nach gut einer Stunde weitergeht, sagt eine Bürokauffrau aus Sachsen aus. Im Oktober 2011 hat sie einem Pärchen ein Wohnmobil vermietet. Es wird das Fahrzeug gewesen sein, in dem am 4. November Zschäpes Kumpane Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos nach einem misslungenen Banküberfall in Eisenach tot aufgefunden wurden. Die Zeugin erkannte auf Fotos Zschäpe wieder. Die Bilder werden auch im Gerichtssaal gezeigt.

Zschäpe von vorne in Begleitung einer Polizistin im Gerichtssaal
Zschäpe, diesmal von vorne, in Begleitung einer Polizistin im GerichtssaalBild: Reuters/M. Rehle

Pflichtverteidiger Grasel schaut sich das alles interessiert an. Anschließend wundert er sich wahrscheinlich wie alle anderen über die erstaunlichen Erinnerungslücken des letzten Zeugen an diesem Tag. Der Mann stammt aus der rechten Szene und kennt unter anderem Zschäpes Mitangeklagten André Eminger. Marcel S. wird zu seiner Rolle bei der Vermietung einer Wohnung in Zwickau befragt. Die Vernehmung gestaltet sich zäh. Mehrmals sehen sich Richter und Staatsanwalt veranlasst, den 38-Jährigen auf die Folgen einer Falschaussage hinzuweisen.

Der Neue kann nicht mehr viel retten

Die routinierten Prozessbeteiligten sind es schon lange gewohnt, dass Zeugen aus dem NSU-Umfeld ein schlechtes Gedächtnis haben. Zschäpes neuer Pflichtverteidiger wird davon gehört und gelesen haben. Dass Grasel seiner Mandantin eine neue Strategie empfiehlt, dafür gibt es im Moment keinerlei Anzeichen. Ein Kurswechsel käme wohl auch zu spät. Der NSU-Prozess ist in den entscheidenden Anklagepunkten weitgehend durchverhandelt. Der Neue im Pflichtverteidiger-Team kann da nicht mehr viel rausholen für Zschäpe. Mal sehen, wie lange ihre gute Laune noch anhält.