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NSU-Prozess: "Piatto" trägt Perücke

Marcel Fürstenau, zurzeit München3. Dezember 2014

Der ehemalige V-Mann des Verfassungsschutzes sagt im Strafverfahren gegen den Nationalsozialistischen Untergrund aus. An Details kann sich der Zeuge nicht erinnern, obwohl er tief in die rechte Szene verstrickt war.

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Der ehemalige V-Mann "Piatto" wird mit einer Kapuze über dem Kopf von zwei Männer in den Gerichtssaal geführt (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa/Marc Müller

Manfred Götzl fackelt nicht lange. Der Vorsitzende Richter im NSU-Prozess vor dem Münchener Oberlandesgericht (OLG) will von Carsten Szczepanski alias "Piatto" wissen, ob er in seiner aktiven Neonazi-Zeit Kontakt zu Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe gehabe habe. "Alle drei Personen waren mir persönlich nicht bekannt", antwortet der Zeuge, der sein Äußeres mit einer Perücke verfremdet hat. So wollen die staatlichen Stellen seine neue Identität schützen. Der langjährige V-Mann des Brandenburger Verfassungsschutzes gilt seit seiner Enttarnung vor 14 Jahren als gefährdet.

"Piattos" doppeltes Spiel flog zur Jahrtausendwende auf, damals begann auch die Mordserie des Nationalsozialistischen Untergrunds. Zehn Menschen fielen den Rechtsextremisten zum Opfer, neun hatten ausländische Wurzeln. Dass der NSU diese Taten begangen hat, zwei Sprengstoffanschläge verübte und immer wieder Banken überfiel - all das ist erst seit November 2011 bekannt. Damals flog die Terrorgruppe auf. Von den mutmaßlichen Tätern sitzt nur Beate Zschäpe auf der Anklagebank. Ihre Komplizen starben in einem Wohnmobil, das sie selbst angezündet hatten.

Ein verurteilter Neonazi heuert als V-Mann an

Das aus Thüringen stammende NSU-Trio war bereits 1998 untergetaucht, obwohl es unter Beobachtung des Verfassungsschutzes stand. Hinweise auf ihren möglichen Aufenthaltsort gab es zwar, aber die Suche blieb erfolglos. Auch "Piatto" hatte zumindest Anhaltspunkte, dass drei Neonazis im Untergrund waren und auf Unterstützung angewiesen waren. Entsprechende Passagen aus Vernehmungsprotokollen des Bundeskriminalamtes (BKA) hält Richter Götzl dem Zeugen vor. Der war 1995 wegen versuchten Totschlags an einem Nigerianer zu acht Jahren Gefängnis verurteilt worden, arbeitete allerdings als Freigänger mit persönlichem Diensthandy für den Verfassungsschutz. 1999 wurde ihm die Hälfte seiner Strafe erlassen, "Piatto" durfte raus.

Richter Manfred Götzl am Schreibtisch (Foto: Tobias Hase/dpa)
Seit 167 Verhandlungstagen wälzt der Vorsitzende Richter im NSU-Prozess, Manfred Götzl, hunderte AktenordnerBild: picture-alliance/dpa

Als V-Mann sollte er Informationen aus dem gesamten rechten Milieu liefern. Seine Kontakte reichten bis nach Sachsen, dort vor allem zu Blood & Honour (B&H). "Piatto" bezeichnet diese später verbotene Gruppe als "absolute Hardliner". Da hätten sich Leute zusammengefunden, "die nationalsozialistisch eingestellt waren und auch keinen Hehl daraus gemacht haben". Der B&H-Verband in Sachsen sei der "größte und aktivste" gewesen. Die Aktivitäten hätten vom "kleinen Liederabend bis zum Großkonzert" gereicht, auch Fußball-Turniere habe es gegeben.

Erinnerungslücken, als es um Waffen geht

Der Vorsitzende Richter Götzl will schließlich mehr über das Thema Waffen erfahren. Die seien "verherrlicht" worden, antwortet der ehemalige Verfassungsschutz-Spitzel. "Das Besorgen von Waffen war in der Szene tagesaktuell." Ob er selbst mal darauf angesprochen worden sei, wisse er nicht mehr, behauptet "Piatto" zunächst. Im weiteren Verlauf der Befragung muss er einräumen, einmal in einen Waffendeal verwickelt gewesen zu sein, für den er zu einem Jahr Freiheitsstrafe verurteilt worden sei.

Die Fragen zu Waffen interessieren Richter Götzl auch deshalb, weil beim NSU-Prozess vier Männer wegen Beihilfe zum Mord angeklagt sind. Zwei von ihnen sollen den mutmaßlichen NSU-Mördern die Tatwaffe besorgt haben, einer hat seine Beteiligung zu Beginn des Strafverfahrens Mitte 2013 eingestanden. Die Namen der Angeklagten will "Piatto" damals jedoch nicht gekannt haben.

Kontakte zu Blood & Honour-Aktivisten

Auch an ein besonders brisantes Detail kann oder will sich der Ex-V-Mann zunächst nicht erinnern. Demnach hat ein sächsischer Blood & Honour-Aktivist gegenüber Ermittlern ausgesagt, Szczepanski alias "Piatto" auf Waffen für drei Untergetauchte angesprochen zu haben. Eine entsprechende Gesprächsnotiz findet sich auch in einem Protokoll des Bundeskriminalamtes (BKA), aus dem der Vorsitzende Richter zitiert. Diese und andere Erinnerungslücken erklärt sich der Zeuge damit, dass alles "zu lange her" sei. "Das ist für mich ein komplett anderes Leben gewesen." Inzwischen bezeichnet sich der verurteilte Neonazi Szczepanski, der als V-Mann "Piatto" hieß, als "Aussteiger".