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NSU-Prozess: Ankläger setzen Plädoyer fort

1. September 2017

Noch weiß die Hauptangeklagte im NSU-Prozess nicht, welches Strafmaß die Anklage für sie fordern wird. Mit einem milden Urteil wird sie nicht rechnen können - im Gegenteil. Marcel Fürstenau berichtet aus München.

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Deutschland | NSU-Prozess
Bild: picture-alliance/dpa/P. Kneffel

Hohe Strafen für alle fünf Angeklagten - diese Forderung der Bundesanwaltschaft zeichnet sich im Strafverfahren gegen den "Nationalsozialistischen Untergrund" (NSU) vor dem Münchener Oberlandesgericht ab. Am Freitag setzten die Ankläger ihr Plädoyer fort; jetzt geht es um die rechtliche Würdigung der zur Last gelegten Taten. Die Ankläger erläutern also, auf der Basis welcher Paragrafen des Strafgesetzbuches sie Beate Zschäpe und ihre mutmaßlichen Helfer für schuldig halten.

Bei der 42-jährigen Hauptangeklagten sieht Oberstaatsanwältin Anette Greger den Tatbestand der Bildung einer terroristischen Vereinigung als erwiesen an. Der NSU habe dafür alle Voraussetzungen erfüllt: Er sei "strukturiert" und "freiwillig" auf Dauer angelegt gewesen. Eine terroristische Vereinigung muss laut Strafgesetzbuch-Paragraf 129 aus mindestens drei Personen bestehen. Im Falle des NSU waren das neben Zschäpe ihre rechtsextremistischen Gesinnungsfreunde Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos.

Zschäpe war aus Sicht der Anklage die "Stallwache" des NSU

Die beiden Männer haben nach Überzeugung der Anklage zehn Menschen erschossen, darunter neun mit ausländischen Wurzeln. Außerdem sollen sie zwei Sprengstoff-Anschläge mit mehr als 20 Verletzten und 15 Raubüberfälle zur Geldbeschaffung begangen haben. Zwar kann Zschäpe keine unmittelbare Tatbeteiligung nachgewiesen werden; trotzdem soll sie nach dem Willen der Bundesanwaltschaft als Mittäterin verurteilt werden. Begründung unter Verweis auf die Rechtsprechung in anderen Fällen: Eine solche Verurteilung "setzt keine Anwesenheit am Tatort voraus".

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Die Ankläger haben das Wort: Bundesanwalt Diemer neben den Oberstaatsanwälten Greger und Weingarten (v.l.n.r.)Bild: picture-alliance/dpa/P. Kneffel

Zschäpe, sagt Oberstaatsanwältin Greger, sei während der Taten die "Stallwache" gewesen. Sie habe sich bewusst im Hintergrund gehalten, um die Gruppe nicht zu gefährden. Das Trio sei auf "Gedeih und Verderb" aufeinander angewiesen gewesen. Als "Drittel eines verschworenen Triumvirats" bezeichnet Greger die Hauptangeklagte.

Die Morde sollten "schnell und lautlos" geschehen

Die Angeklagte hört sich den sie betreffenden Teil des Plädoyers konzentriert an. Kerzengerade sitzt sie auf ihrem Stuhl, die Arme auf den Laptop gestützt. Gelegentlich verschränkt sie die Hände vor dem Mund oder macht sich handschriftliche Notizen. Welche Gedanken ihr durch den Kopf gehen, als die Oberstaatsanwältin die Voraussetzungen für eine Sicherungsverwahrung als gegeben bezeichnet, lässt sich nur erahnen. Eine solche Maßnahme ist nach verbüßter Freiheitsstrafe bei Verurteilten möglich, denen man das Potenzial unterstellt, erneut straffällig zu werden. 

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Sicherungsverwahrung nach verbüßter Freiheitsstrafe? Die Bundesanwaltschaft hält das bei Beate Zschäpe für möglichBild: picture-alliance/dpa/P. Kneffel

Nach der rechtlichen Würdigung der gegen Zschäpe erhobenen Tatvorwürfe wendet sich Gregers Kollege, Oberstaatsanwalt Jochen Weingarten, den Angeklagten Ralf Wohlleben und Carsten S. zu. Sie gelten als Beschaffer der Waffe vom Typ "Ceska", mit der die ersten neun NSU-Opfer geradezu hingerichtet wurden. "Gemeinschaftliche Beihilfe“ zu neun Morden hätten die beiden geleistet. Sie hätten gewusst, wem sie die Waffe mit Schalldämpfer lieferten, führt Weingarten aus. Wohlleben und S. sei die "politische Agenda" des untergetauchten NSU-Trios bekannt gewesen. Die Morde hätten "schnell und lautlos" geschehen sollen.                                       

Auch André E. und Holger G. haben schlechte Karten

Auch für die als Terrer-Helfer angeklagten Holger G. und André E. zeichnen sich hohe Strafmaß-Forderungen der Anklage ab. Anders als E., der als einziger im NSU-Prozess kein Wort gesprochen hat, hatte sich G. zu den Vorwürfen geäußert. Dass er sich "die Dimension der Verbrechen nicht habe vorstellen können", hält Weingarten für eine "reine Schutzbehauptung". Der Angeklagte selbst hatte zu Prozess-Beginn vor mehr als vier Jahren eingeräumt, dem NSU bei der Beschaffung falscher Reisepässe und der Anmietung von Wohnmobilen behilflich gewesen zu sein.  

NSU-Prozess Angeklagter Holger G am 06.06.2013
Holger G. verbirgt sein Gesicht, wenn Fotografen und Kameraleute im NSU-Prozess zugelassen sind (Archivbild von 2013) Bild: picture-alliance/dpa

Ankläger Weingarten zitiert aus der Akte des Ermittlungsrichters nach dem Auffliegen des NSU am 4. November 2011 und der Festnahme G.s. kurz danach. Demnach habe er die mutmaßlichen NSU-Mörder Böhnhardt und Mundlos bewundert, sie seien "Macher" und hätten "Charakter".

Auch nach seinem angeblichen Ausstieg aus der rechten Szene 2005 habe er sich der Szene verbunden gefühlt. Weingarten nennt belastende Anhaltspunkte: Nazi-Propaganda und rechtsextreme Musik auf der Festplatte von G.s Computer, Hakenkreuze auf seinem Mobiltelefon.

Strafmaß-Forderung am 12. September?

In der nächsten Verhandlungswoche, die am 12. September beginnt, wird die Bundesanwaltschaft höchstwahrscheinlich ihre rechtliche Würdigung der Beweisaufnahme beenden. Unter dem Eindruck der ersten sieben Tage des Plädoyers wären vermeintlich milde Strafmaß-Forderungen eine Überraschung. Während Zschäpe und Wohlleben am Freitag wieder ins Untersuchungsgefängnis gebracht werden, verlassen die drei anderen Angeklagten den Gerichtssaal auf freiem Fuß. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie es nach den frühestens im Spätherbst erwarteten Urteilen auch noch tun werden, ist eher kleiner geworden.