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"Nur hier will ich Arzt sein"

Vera Kern, Christoph Ricking21. Januar 2013

Arbeitslos, aber nicht ohne Arbeit: Michalis Charalampidis ist ein Krisendoktor. In Thessaloniki hält er Sprechstunden für verarmte Griechen. Geld kriegt er dafür keines.

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Michalis Charalampidis in Apotheke Foto: Vera Kern
Bild: DW/V.Kern

Eingefallen klebt die Milchschaumkrone am Glasrand. Wieder ein Vormittag, an dem Michalis Charalampidis kaum dazu kommt, seinen geliebten Kaffee Frappé zu trinken. Es ist kurz nach neun. Alle elfenbeinfarbenen Ledersessel im Wartezimmer sind besetzt. Gemurmel. Der Holzdielenboden knarzt. Es sind anonyme Schritte, denn wer hier Hilfe sucht, schämt sich. Eine zierliche Frau um die 40, die Augen tief schwarz geschminkt, mit schwarzer Glitzerrose im blondieren Haar, wartet darauf, endlich dran zu sein. Jetzt. "Der Nächste bitte", ruft Michalis. Sein weißer Kittel fliegt, wenn er zwischen Behandlungsraum, Apotheke und Wartezimmer hin- und herhetzt.

Kostenlose Medikamente und Untersuchung

Die Praxis liegt in einer Fünf-Zimmer-Altbauwohnung mitten in Thessaloniki. Ärzte, Psychologen und Sozialarbeiter bieten hier ihre Hilfe an. Nur jeder dritte Mitarbeiter ist fest angestellt. Die meisten arbeiten unentgeltlich. Es gibt Zahnwurzelbehandlungen und Blutabnahmen. Im Apothekenzimmer verteilt eine Krankenschwester Medikamente. Alles ist kostenlos. Doch die Arbeit ist schwieriger geworden. "Früher bekamen wir viele Medikamentenspenden", sagt Michalis. In letzter Zeit spenden die Menschen jedoch kaum noch.

Griechenland Plan B 1

Früher Migranten, heute Griechen im Wartezimmer

"Täglich kommen neue Leute zu uns. Wir legen jeden Tag neue Patientenakten an. Das heißt, dass viele Menschen hilfsbedürftig sind", sagt Marcela Kafetsios, eine freiwillige Sprechstundenhilfe. Seit der Krise hat sich die Zahl der Patienten verdreifacht. Praksis, so heißt die Nichtregierungsorganisation, die diese Polyklinik seit 1997 betreibt, ist eigentlich vor allem für Flüchtlinge gedacht.

Doch heute sind es auch griechische Familien, die hier Hilfe suchen. Viele sind verarmt und oft kurz davor, obdachlos zu werden. Selbst Griechen, die noch eine Krankenversicherung haben, lösen in der Praksis-Apotheke ihre Rezepte ein.

Patientenakten bei der NGO Praksis Foto: Vera Kern
Drei Mal mehr Patienten: vor allem verarmte GriechenBild: DW/V.Kern

Arzt ohne Berührungsängste

Nachmittags, etliche Behandlungen später, riecht es muffig im Wartezimmer. Nach monatealtem Schweiß und verdreckter Kleidung. Jemand öffnet das Fenster. Dezent, damit sich der Mann, der unter den anderen Patienten sitzt, nicht unwohl fühlt. Der Mann, um die 60, sieht eigentlich gepflegt aus, wie er da sitzt in Cordjackett und Strickpullunder, den ergrauten Vollbart ordentlich gestutzt. Nur der strenge Geruch verrät seine Situation.

Michalis setzt sich neben ihn, rückt etwas näher, es ist ein persönliches Gespräch. Kein Hauch von Berührungsängsten. Praktisch helfen kann Michalis dem Obdachlosen dann zwar nicht - zu tief oder zu fortgeschritten ist seine Depression. Aber wenigstens kann Michalis ihm das Gefühl geben, in der Krise nicht ganz alleine zu sein.

Arbeitslos trotz Arbeit

In Griechenland finden junge Ärzte wie Michalis keinen Job - Einstellungsstopp an öffentlichen Krankenhäusern. Seit über zwei Jahren ist er arbeitslos. Ohne Arbeit ist Michalis dennoch nicht. Er arbeitet sogar in einem Krankenhaus, im Papageorgiou in Thessaloniki. Neben seinem Engagement bei Praksis assistiert er dort zwei Tage pro Woche in der Abteilung für Innere Medizin. Ohne Vertrag, ohne Gehalt. Einziger Lohn: Berufserfahrung.

Michalis Charalampidis untersucht Blut Foto: Vera Kern
Michalis Charalampidis' Lohn: BerufserfahrungBild: DW/V.Kern

Im Ausland nach Arbeit suchen? Eigentlich kein Plan von Michalis, der finanziell von seinen Eltern unterstützt wird: "Ich liebe mein Land. Ich will mit all meinen Kräften kämpfen, um hier als Arzt zu arbeiten." Denn Michalis ist ein Grieche, der an sein Land glaubt und in Thessaloniki, der Stadt des Frappé, zu Hause ist. Das Kaffeeglas steht am späten Nachmittag immer noch zwischen Tablettenschachteln und Patientenakten. Unangerührt.